Reflexion über aktuelle Missstände

Beate Passow und Margret Eichner zeigen moderne Tapisserien in der Villa Stuck in München

28.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:36 Uhr
Vielschichtige Bildcollagen: Beate Passows Tapisserien "Brexit" von 2020 und"Gibraltar" von 2017 werden in der Villa Stuck ausgestellt. Von Margret Eichner stammt "Lob der Malkunst", von 2013/2020. −Foto: Steglich

München - Der Malerfürst Franz von Stuck dekorierte um 1900 sein Atelier mit Wandteppichen, weil er durchschaut hatte, dass dieses künstlerische Medium Macht und Einfluss signalisiert.

Tapisserien mit mythologischen oder historischen Szenen dekorierten einst zugige Schlösser und schmücken bis heute die Empfangsräume des Elysee-Palastes in Paris. Umso raffinierter, dass zwei Künstlerinnen sich dieses Mediums bedienen, um aktuelle Machtströmungen zu spiegeln und zu entlarven: Beate Passow und Margret Eichner zeigen ihre digital bedruckten Bildteppiche, die bei den Betrachtern die Frage aufkeimen lassen: "Wer hat eigentlich heute die Macht? "

Michael Buhrs, Direktor der Villa Stuck, gelingt es als Kurator, zwei Ausstellungen zu zeigen, die sich geradezu perfekt ergänzen. Unter dem ironischen Titel "Lob der Malkunst" hängt die 1955 in Viersen am Niederrhein geborene Margret Eichner ihre eigenen Bildteppiche vor die Repliken der Wandteppiche Stucks und dekoriert das ehemalige Badezimmer mit ihrem seriell ausgedruckten und zum Muster gespiegelten Bildmaterial aus der Werbung. Ganz ungeniert macht sie aber nicht nur Anleihen in der Welt des Konsums, der Filme und des Comics. Vielmehr knüpft sie an Werke der klassischen Kunst an, indem in Dürers "Rasenstück" ein moderner Kampfsoldat liegt und die "Geburt der Venus" nach Botticelli sich zwischen Rolltreppen einer U-Bahn ereignet.

Menschen, die vertraut sind mit der Event-Kultur vor den Beschränkungen durch Corona, erkennen in dem titelgebenden Bildteppich die angesagte "Paris Bar" in Berlin als Interieur - aber sie müssten auch Jan Vermeers Gemälde "Mädchen mit dem Perlenohrring" und die Verfilmung mit Scarlett Johansson kennen, um die Vielschichtigkeit des gedruckten Teppichs vollständig lesen zu können. Gefeiert wird in diesen Bildteppichen die Fälschung, das "fake", denn die Objekte sind keinesfalls Handarbeit, sondern werden als Bildvorlage am Computer konstruiert und dann industriell gefertigt im belgischen Brügge. Einen ganz ähnlichen Fertigungsweg wählt Beate Passow, die im Obergeschoss der Künstlervilla ihre schwarzweißen Bildteppiche zeigt unter dem Titel "Monkey Business" (Affenwirtschaft). Sie ist selbst erstaunt, dass auf der Grundlage ihrer Entwürfe im Staatlichen Textil- und Industriemuseum Augsburg ein wandgroßer Teppich in einer halben Stunde ausgedruckt werden kann. Umso umfangreicher sind die Vorarbeiten auf ihren Reisen und bei Recherchen.

Die 1945 in Stadtoldendorf geborene Künstlerin, die an der Münchner Akademie studiert hat, legt ihren künstlerischen Schwerpunkt auf die Arbeit der Erinnerung. So zeigt sie ein Foto des Schiffsfriedhofs auf Lampedusa, und die zerstörten Flüchtlingsboote werden bildlich überlagert vom Skelett eines Kentaur, der als Mischwesen von Pferd und Mensch für Zügellosigkeit und Bosheit steht. Ein anderes Bild zeigt die "Schuhe am Donau-Ufer", ein Denkmal für die von Faschisten ermordeten ungarischen Juden in Budapest - und darüber trägt ein Greifvogel in seinen Klauen ein Foto der aktuellen Flüchtlinge, die in Ungarn nicht willkommen sind.

Zeitungsseiten zur britischen Selbstüberschätzung beim Brexit, die Pariser Gelbwesten-Demonstranten mit der demolierten französischen Nationalfigur der "Marianne" oder ein Affe, der auf der Halbinsel Gibraltar europäische Kanonen bewacht, die gen Afrika gerichtet sind - all dies sind Beispiele dafür, wie sehr Passow aktuelle Missstände reflektiert und durchdringt, bis sich alles zu einer vielschichtigen Bildcollage verdichtet. Solche Wandteppiche feiern nicht länger eine tradierte und gefestigte Herrschermacht, sondern stellen eine unbequeme Frage: Wer regiert in Europa und zu wessen Wohl?

DK


Villa Stuck München, bis 13. September, Di bis So von 11 bis 18 Uhr. Eintritt mit Maske und ohne Anmeldung möglich - eine von Beate Passow gestaltete Maske wird auch zum Verkauf angeboten.

Annette Krauß