Ingolstadt
Recherchen auf der Autobahnraststätte

Fatih Akin verfilmt gerade Heinz Strunks Roman "Der Goldene Handschuh" - Heute Abend liest der Autor in der Eventhalle

15.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:27 Uhr
"Fleisch ist mein Gemüse" machte ihn bekannt, "Der Goldene Handschuh" wird gerade verfilmt. Seinen neuen Erzählband "Das Teemännchen" bringt Heinz Strunk heute nach Ingolstadt mit. −Foto: Charisius/dpa

Ingolstadt (DK) Heinz Strunk ist in aller Munde - als Autor ("Fleisch ist mein Gemüse"), Musiker (Fraktus) und Comedian (Studio Braun). Sein Tatsachenroman "Der Goldene Handschuh" über die Geschichte des Frauenmörders Fritz Honka wird gerade von Starregisseur Fatih Akin verfilmt und Strunk selbst war sogar für den Deutschen Schauspielerpreis 2018 nominiert. Mit dem Kurzgeschichtenband "Das Teemännchen" entführt der Hamburger seine Leser jetzt in eine trostlose Welt mit grenzenlos einsamen Menschen, die dennoch voller Hoffnung und kurioser Komik ist. Heute Abend liest Heinz Strunk in der Ingolstädter Eventhalle.


Herr Strunk, "Wo einst Liebe war, ist heute Hass", heißt es in Ihrem aktuellen Buch "Das Teemännchen". Was interessiert Sie als Autor an Paaren, die zwischen Liebe und Hass pendeln?
Heinz Strunk: Für einen Autor ist es deutlich interessanter, sich mit gebrochenen Biografien zu beschäftigen, als mit der Welt der Reichen, Schönen und Glücklichen. Bei der Geschichte, auf die Sie sich beziehen, ist die Frage, ob es überhaupt jemals so was wie Liebe gewesen ist. Er redet z.B. von ihr niemals anders als "meine Lebensabschnittsgefährtin". Diese Beziehung ist eine "Need-Company". Nicht wenige Paare finden sich, weil sie einfach nicht alleine sein wollen und vielleicht auch nicht ihren Traumpartner bekommen.

Ist Ausharren im Leid attraktiver als Freiheit?

Strunk: Der Mensch neigt dazu, eine schwierige Situation eher auszuhalten, als den Befreiungsschlag zu wagen. Weil immer die Befürchtung besteht, dass eine Veränderung eine Verschlechterung bedeutet. In einer anderen Geschichte versauert eine Frau in einem Imbiss. Irgendwann sind die Verhältnisse so zementiert, dass kein Befreiungsschlag mehr möglich ist.
Sind Sie beruflich Beobachter verschiedener Ereignisse und Menschen um sich herum?
Strunk: Ja, da verschmelzen Beruf und Passion. Das genaue Beobachten ist im Lauf der letzten Jahre viel ausgeprägter geworden. Daraus beziehe ich auch meine Anregungen.

Ihre Geschichten drehen sich um Alkoholiker, Drogensüchtige, psychisch Kranke, Deformierte, Unglücksraben.
Strunk: Das gerade nicht! Mir wird gelegentlich vorgeworfen, ich würde eine Freakshow inszenieren. Tatsächlich gibt es von mir nur wenige Geschichten, die wirklich vom Präkariat handeln. Ich finde, man sollte das nicht RTL2 überlassen. Es gab in der deutschen Gegenwartsliteratur in den 60er- und 70er-Jahren eine Tradition. Jörg Fauser und Rolf Dieter Brinkmann behandelten Außenseiter, Abgehängte und Verzweifelte. Das ist leider zu Gunsten des bürgerlichen Familienromans ersetzt worden. Ich empfinde mich da als letzten Mohikaner. Die meisten der sozialrealistischen Geschichten in "Das Teemännchen" behandeln unspektakuläre Biografien, die unterhalb jeder Beobachtung liegen. Die meisten Menschen machen keine Karriere, sondern sie haben Werdegänge.

Wie recherchieren Sie für Ihre Geschichten?
Strunk: Ich bin relativ häufig auf Autobahnraststätten. Dort habe ich ein richtig fettes Paar beobachtet, das seltsamerweise aussah wie Bruder und Schwester. Die haben sich eine Riesencurrywurst besorgt und sind sofort an den Spielautomaten gegangen. Aus dieser Beobachtung habe ich dann eine Kurzgeschichte gemacht.

In Deutschland entlädt sich der Hass immer öfter auf den Straßen. Wie erklären Sie sich diese Hassbereitschaft?
Strunk: Mir ist unbegreiflich, wie man im Jahre 2018 Faschist sein kann.
Sie lassen Ihre skurrilen Figuren zum Teil furchtbar leiden. Liegt im Leid auch die Hoffnung auf eine bessere Welt?
Strunk: Die Hoffnung auf eine bessere Welt habe ich schon lange aufgegeben aufgrund meiner persönlichen Erfahrung. Es gibt ja den schönen Schlager "Über sieben Brücken musst du gehen". Aber es können Leute auch über 700 Brücken gehen, und es wartet am Ende doch nicht der helle Schein auf sie. Die Vorstellung der Schicksalsgerechtigkeit erfüllt sich aus meiner Beobachtung heraus nicht. Die meisten Biografien verlaufen relativ linear. Ich finde übrigens nicht, dass ich meine Figuren leiden lasse. Eigentlich versuche ich, Menschen so genau und nüchtern zu beobachten wie ich sie erlebe. Das mag mit meiner Sicht auf die Welt zusammenhängen, weil ich selbst schon einiges miterlebt habe.

Ist der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen?

Strunk: Das ist nicht zu bestreiten. Aber es ist ein ewiger Kampf zwischen Vernunft und dem tierischen Teil wie Sexualität. Das kann auch ein sehr dunkler Bereich sein. Das Thema zieht sich seit "Fleisch ist mein Gemüse" durch meine Bücher, weil es zum Menschen dazu gehört. Manche sind von einer wahnsinnig ausgeprägten und pervertierten Sexualität gegeißelt. Als ich das erste Mal Houellebecq gelesen habe, dachte ich: "Mensch, endlich sagt das mal einer!" Es ist aber nicht so, dass alle meine Geschichten sich explizit um Sexualität drehen.

In "Ein Weltstar" versetzen Sie Axl Rose in einen bedauernswerten Zustand. Der Sänger wird von Frauen zurückgewiesen und von seinen Fans verhöhnt. Fühlen Sie sich irgendwie mit ihm verbunden?
Strunk: Nein, überhaupt nicht. Weniger geht nicht! Das Konzert von Guns N'Roses am Volksparkstadion gab es wirklich. Er wird anschließend ganz normal ins Hotel oder allenfalls in einen exklusiven Nachtclub gefahren sein und sicher nicht auf den Hamburger Berg. Aber ich fand die Vorstellung lustig. Ich war ein paar Mal mit A-Promis am Hamburger Berg, u.a. in Rosi's Bar und im Goldenen Handschuh. Im ersten Moment können die Leute dort es gar nicht fassen, dass dieser Promi jetzt da ist. Aber sie beruhigen sich erstaunlich schnell.
Fatih Akin verfilmt gerade Ihr Buch "Der Goldene Handschuh". Haben Sie die Dreharbeiten besucht?
Strunk: Ja, ich habe den Film begleitet und bin auch sehr zufrieden. Ich habe sogar eine kleine Nebenrolle gespielt. Fatih Akin lag daran, dass ich da auch mal auftauche. Was davon im Film übrig bleibt, weiß ich nicht. Und der Hauptdarsteller Jonas Dassler ist ein ganz liebenswerter junger Mann.

Warum hat Fatih Akin die Rolle des Fritz Honka mit einem sehr jungen Schauspieler besetzt?
Strunk: Fatih sagte mir, dass Jonas Dassler eine Begabung habe, wie man sie nur alle paar Jahrzehnte erleben würde. Er hat auch genug andere gecastet, die in einem passenden Alter gewesen wären.

Wie aufwändig ist das Projekt?

Strunk: Der Aufwand ist groß. Fatih Akim hat den Film nur in so kurzer Zeit realisieren können, weil er einen großen Namen hat. Andere hätten sich vielleicht acht Jahre lang bemüht, das hinzubekommen. Bei ihm ging es wirklich rasend schnell.

Was haben Sie für die "Teemännchen"-Lesereise geplant?
Strunk: Ich werde eine repräsentative Auswahl an Geschichten aus dem Buch lesen. Und ich will den Leuten ein bisschen was zum Lachen bieten. Ich möchte nicht, dass sie mit betretenen Gesichtern rausgehen und denken, bei mir gäbe es gar nichts mehr zu Lachen. Das fände ich traurig. Bei den Lesungen mit dem "Goldenen Handschuh" wurde erstaunlich viel gelacht. Das hatte ich so nicht vermutet.

Die Fragen stellte
Olaf Neumann.


Heinz Strunk: Das Teemännchen, Rowohlt-Verlag, 208 Seiten, 20 Euro. Die Lesung heute Abend in der Ingolstädter Eventhalle am Westpark beginnt um 20 Uhr.