Allein 2700 Kilometer gelaufen
Rebecca Maria Salentin auf dem Bergwanderweg der Freundschaft unterwegs

06.08.2021 | Stand 23.09.2023, 20:12 Uhr
Rebecca Maria Salentin auf dem "Weg der Freundschaft". Ihre durchgelaufenen Wanderschuhe landeten in Budapest in einer Mülltonne. −Foto: Salentin

Mann weg. Kinder weg. Wohnung weg. Für Rebecca Maria Salentin der richtige Zeitpunkt für eine Zäsur. 2019 lief sie den rund 2700 Kilometer langen Bergwanderweg der Freundschaft von Eisenach nach Budapest. Ihr Buch "Klub Drushba" erzählt davon.

136 Tage hat Rebecca Maria Salentin gebraucht für den knapp 2700 Kilometer langen Weg der Freundschaft von Eisenach nach Budapest. In dieser Zeit hat sie etwa 136 Kaktuseise gegessen, drei Paar Socken und ein paar Schuhe komplett durchgelaufen. Ist von einem Wetterextrem ins nächste geraten. Hat knorrige Wälder durchstreift, schneebedeckte Berggipfel erklommen, schwindelerregende Gratwege bewältigt, Burgruinen besichtigt und pittoreske Dörfer erkundet. Dabei hat sie Angst vor Spinnen, Hunden und Gewittern, vor tiefen Seen, steilen Höhen und allein zelten im Wald. Und Funktionskleidung findet sie hässlich. "Bei mir passen normalerweise die Schuhe zum Gürtel, der Gürtel zur Handtasche, die Handtasche zu den Ohrringen und die Ohrringe zum Nagellack."

Trotzdem ist sie aufgebrochen zu diesem Abenteuer, das sie viereinhalb Monate durch Deutschland, Tschechien, Polen, die Slowakei und Ungarn über 75000 Höhenmeter führte und an ihre eigenen Grenzen. Sie hat es durchgestanden. Trotz aller Zweifel und Verzweiflungen. Trotz der Wetterkapriolen von Schnee über Starkregen bis Knallhitze. Hat auf dem Weg der Freundschaft, wie der 1983 als Beitrag zur Völkerverständigung gegründete internationale Fernwanderweg genannt wurde, neue Freundschaften gefunden und alte vertieft. Und hat darüber ein Buch geschrieben: "Klub Drushba" - so hieß auch ihre WhatsApp-Gruppe, über der sie alle, die an ihrem Abenteuer teilhaben wollten, auf dem Laufenden hielt. Man kann das Buch als Wanderführer lesen. Von der Wartburg in Eisenach geht es von der Hohen Sonne bis Neuhaus am Rennweg auf dem Rennsteig. Weiter durch das Schwarzatal, das Thüringer Schiefergebirge, Erzgebirge, die Sächsisch-Böhmische Schweiz, das Lausitzer Gebirge, das Altvatergebirge, Beskiden, Mátra und Bükk bis Budapest. Die Strecke ist kulturhistorisch interessant. Denn immer wieder stößt der Wanderer auf alte Handelswege und Salzstraßen, Burgen und Schlösser, Mahnmale großer Schlachten, Holzkirchen und jüdische Friedhöfe. Aber weil Rebecca Maria Salentin diesen Wanderweg mit ihrem ganz persönlichen Weg verbindet und das alles mit viel Humor beschreibt, ist "Klub Drushba" ein unterhaltsames Buch geworden, das auch vom Mut des Beginnens erzählt.

"Ich hatte beim Schreiben den Wunsch, dass ich damit Menschen motivieren kann, die denken: Ich bin zu alt, zu dick, zu ängstlich, um dieses oder jenes zu beginnen. Aber man ist nie zu alt, zu dick, zu ängstlich, um sich in ein Abenteuer zu stürzen", sagt sie.

Rebecca Maria Salentin wurde 1979 geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in der Eifel auf. Ihren ersten Sohn bekam sie vor dem Abitur, den zweiten kurz danach. Nach diversen Nebenjobs zog sie 2003 nach Leipzig. Später eröffnete sie dort in einem alten Zirkuswagen ein Café. Als die Söhne aus dem Haus waren, hatte sie das Bedürfnis, etwas nur für sich zu tun. "Es war von Anfang an gedacht als Break. Ich wollte einen symbolischen Übergang haben zwischen meinem Leben als Mutter, Gastronomin und Autorin hin zum nur noch frei Schreiben. Und genauso empfinde ich das rückblickend - eine Brücke zwischen zwei bedeutenden Lebensabschnitten. In dieser Hinsicht ist der Plan genau aufgegangen", erzählt sie. In anderer Hinsicht nicht. Denn eigentlich sollte sie ihr Partner ein Stück begleiten. Dann zerbrach die Beziehung mit einem lauten Knall und Rebecca Maria Salentin stand vor dem Nichts: "Laden weg, Wohnung weg, Kinder weg, Mann weg", schreibt sie im Buch. Und erklärt im Gespräch: "Aber ich wollte nicht auf das Projekt verzichten. Für mich war das auch keine Flucht, sondern bewusst ein Weg zu etwas Neuem. Also dachte ich mir: Ich habe doch so viele Freunde. Und es ist doch der Weg der Freundschaft. Die meisten wussten von meinen Wanderplänen. Und viele wollten mich wirklich ein Stück begleiten."

Die Organisation war nicht so einfach und teilweise mit weiten Anreisen verbunden. Die Strecken suchten sich die Wandergefährten selbst aus. Und auf diese Weise hatte Rebecca Maria Salentin immer wieder Gesellschaft. "Wenn man 24 Stunden am Tag miteinander verbringt, dann kommt man so intensiv ins Gespräch wie sonst nie. Seitdem sind diese Freundschaften noch enger geworden", erzählt sie.

Sogar eine Familie mit einem Vierjährigen wanderte ein paar Tage mit. "Das war auch noch mal eine tolle Erfahrung, weil man die Welt durch die Augen eines Kindes sieht. Man bleibt an jeder Pfütze mit Fröschen stehen. Oder erklärt vieles, weil man plötzlich mit ganz vielen Fragen konfrontiert wird. Dadurch erschließt man sich die Natur noch mal ganz anders", erzählt sie.

Auch sie selbst hat sich auf dem Weg verändert. "Eine der wichtigsten Erfahrungen für mich war, mich vom Leistungsdruck zu befreien", erzählt sie. "Damit hatte ich am Anfang wirklich zu kämpfen. In allen Blogs und Büchern über Fernwandern gab es immer diese magische Zahl 30 bis 35 Kilometer, die man am Tag schaffen sollte. Ich bin da relativ entspannt rangegangen. Ich dachte, am Anfang läufst du erst mal entspannt. Du wirst schon mit der Zeit schneller und fitter werden. Aber tatsächlich habe ich diese dubiosen 30 Kilometer auf der gesamten Strecke nur fünfmal geschafft. Irgendwann habe ich mich entschieden, auf mein eigenes Tempo zu vertrauen. Das war eine große Befreiung, die sich auf ganz viele Bereiche im Leben übertragen lässt. Weg vom Vergleich. Weg vom Leistungsdruck. Mittlerweile meide ich auch Menschen, die mir aus irgendeinem Grund nicht guttun. Auch das fühlt sich wie eine Befreiung an."

Und wie war das Nachhausekommen? "Wir sind mit dem Nachtzug zurückgekehrt und als erstes zu meinem alten Café gefahren. Und dann hatte mein Klub Drushba schon länger die Ohren aufgehalten nach einer neuen Wohnung für mich. Ich hatte also gleich ein neues Zuhause." Auf die schicken Schuhe, die sie jetzt wieder tragen können würde, hatte sie sich umsonst gefreut. "Meine Füße haben sich verändert. Sie sind eine Schuhgröße größer geworden. Ich bin jetzt meist in Turnschuhen unterwegs", sagt sie und lacht.

Obwohl nicht danach gesucht, hat Rebecca Maria Salentin auf dem Weg der Freundschaft auch eine neue Liebe gefunden. Johann hatte ihr die Regenjacke nachgetragen, die sie verloren hatte. Dann liefen sie immer wieder mal ein Stück zusammen. "Wir sind beide so verschieden, dass wir dachten, wenn die Wanderung vorbei ist, geht jeder in sein Leben zurück. Da gibt es keine Berührungspunkt oder Überschneidungen", erzählt sie. Es ist dann doch anders gekommen.

DK

Anja Witzke