Eichstätt
"Raumschiff über dem Untergang"

"LiteraPur": Hans Pleschinski las in Eichstätt aus seinem Roman "Wiesenstein"

16.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:15 Uhr
Hans Pleschinski beschäftigt sich in seinem neuen Roman mit dem alternden Dichter Gerhard Hauptmann. −Foto: Foto: Buckl

Eichstätt (DK) Gerhart Hauptmann war zu Lebzeiten der weltweit bekannteste deutsche Dichter - "und auch der reichste", schiebt Martin Hielscher, Belletristik-Programmleiter beim Münchner C.

H. Beck-Verlag, bei seiner Einführung zu Beginn der Lesung nach. Daher konnte sich der schlesische Autor auch die Villa Wiesenstein im Riesengebirge errichten lassen, ein prächtiger Sommersitz in einer betörend schönen Landschaft: Nach ihr hat der Münchner Autor Hans Pleschinski seinen opulenten neuen Roman benannt. Beim zweiten Abend des Eichstätter Lesefestivals "LiteraPur18" stellte er ihn am Dienstag im gut gefüllten Kinosaal vor.

In "Wiesenstein" erzählt Pleschinski vom letzten Lebensjahr Hauptmanns, in dem sich der Dichter mit seiner Ehefrau Margarete und seinem gesamten Hofstaat, nachdem er bis zum nahenden Ende in Deutschland geblieben war, vom bombardierten Dresden aus ausgerechnet nach Osten auf den Weg macht. Während ringsum Leichen in der Landschaft liegen und das Land dem Bombardement ausgesetzt ist, ein Szenario voller Skurrilität, das Pleschinski mit Wortgewalt schildert.

Sein Roman ist ein teils dokumentarischer Text, der Autor hat viel recherchiert und macht darin bislang unpublizierte Tagebuchpassagen des Dichterfürsten zugänglich. Doch hat er zur Romanform gegriffen, da er Details der Handlungen und Dialoge kongenial nachdichtet und poetisch überhöht: "Ein Schriftsteller will inszenieren, eine Handlung in Szene setzen. "
Daraus trägt er drei inhaltlich sehr konträre Passagen vor. zunächst über den Lazarett-Transport des verwundeten Dichters und seiner Entourage im März 1945 aus Dresden zum Wiesenstein, dann eine anrührende Romanze des zu diesem Gefolge gehörigen Masseurs Paul Metzkow mit der hübschen Doris Künast, die als Cafe-Besitzerin in Schlesien und somit auf verlorenem Posten verblieben war, dies aber nicht wahrhaben will: eine Textpassage voller Zärtlichkeit, die im krassen Kontrast steht zu den bestialischen Gräueln ringsum, zuletzt ein Dialog des der Realität entrückten alten Dichters mit seiner Kasperlfigur.

Pleschinski konturiert plausibel die Gestalt Hauptmanns heraus, der sowohl von den Nazis hoch geschätzt war, wie ihn auch die Kommunisten verehrten, Stalin kannte und liebte seine Dramen. Ihm durfte inmitten der vorrückenden Front nichts zustoßen, "er gehörte sich geschützt". Die Villa wurde zum Refugium für flüchtende und verfolgte Deutsche in Schlesien. Zugleich lebte man hier mit Hauptmann in einer völlig abgehobenen Irrealität voller sinnentleerter Riten, "in einem Raumschiff über dem Untergang", so der Romancier. Während ringsum alles in Schutt, Asche und Trümmer sank, herrschte hier noch Frackzwang beim Dinner, standen Zofe, Butler und Archivar bereit, es herrschte "gespenstische Stille vor dem Untergang", in der Villa gab es bald weder Strom noch Seife noch Zeitungen mehr.

Engagiert und empört benennt Pleschinski seinen Zorn auf die Nazis als Movens zu diesem Buch, das er nicht als Künstlerroman verstanden wissen will, obwohl er auch schon Thomas Mann mit "Königsallee" einen Roman gewidmet hat: "Literatur ist immer auch ein Fundstoff für weitere Literatur", hier gehe es ihm um die verheerende deutsche Geschichte, um den folgenden Verlust der deutschen Literatur-Landschaft Schlesien, aus der sich einst fast der gesamte literarische Barock speiste: "Es war schmerzhaft, darüber zu schreiben. "

Zu Beginn der 1980er-Jahre hatte Horst Bienek in seinem Roman "Erde und Feuer" aus der "Gleiwitz"-Tetralogie beschrieben, wie "der alte Dichter" das Bombardement Dresdens erlebt hat - ob Pleschinski das inspirierte? "Nein, Bieneks Romane habe ich bewusst vorher nicht gelesen, um mich nicht beeinflussen zu lassen. " Die Handlung von "Wiesenstein" setzt nun zufällig genau dort ein, wo Bieneks Handlung endet. Pleschinskis Lesung daraus und das Gespräch mit ihm darüber dürfte zu den Höhepunkten dieses "LiteraPur"-Festivals zählen.

Walter Buckl