Rau klingendes Endspiel

Geld regiert die Welt: Tatjana Gürbaca inszeniert Massenets "Manon" am Staatstheater Nürnberg

21.01.2020 | Stand 02.12.2020, 12:09 Uhr
Böses kapitalistisches Märchen: Eleonore Marguerre ist als Manon in Nürnberg zu erleben. −Foto: Olah/Staatstheater Nürnberg

Nürnberg - Hier geht es um "Sex für Geld" und später um "Spiel oder Tod".

Ein Lichtrahmen beschönigt das metallisch-faulige Ambiente, in dem sich Bunnies mit müden Blow-Jobs noch ein paar Kröten verdienen. Die nächste in der Abwärtsspirale vom Star zum Wrack ist Manon. Am Staatstheater Nürnberg gab es die in Deutschland inzwischen weitaus seltener als Puccinis grob-leidenschaftliche Vertonung gespielte Opéra comique von Jules Massenet seit langem nicht mehr: Die hochgelobte Regisseurin Tatjana Gürbaca und ihr Bühnenbildner Marc Weeger machen dieses französische Opernjuwel, das allein am Uraufführungsort Paris seit 1884 über 800 Vorstellungen erlebte, zum kapitalistischen Endspiel.

"Money Makes The World Go Round". Hier arbeitet niemand außer dem kurzfristig wegen Liebesfrust zum Geistlichen werdenden Chevalier Des Grieux. Dafür quälen sich alle für schnöden Mammon mit Lust zu Tode. "Der Mensch ist ein Tier", heißt es gleich in der ersten Szene. Manon kommt nicht wegen Falschspiels mit Karten ins Abseits, sondern wegen eines manipulierten Munitionsrings beim Russisch Roulette. Ein Wesen - Dealer, Zuhälter, Drag Queen und Rächer - wird ihr zum Verhängnis: Hans Kittelmann spielt den Drahtzieher und Verführer Guillot als Windhund, dessen Stimme bröselt.

Das ist symptomatisch für diese Premiere, bei welcher der Chor vor allem Lautstärke zeigt (Leitung: Tarmo Vaask). "Born This Way" steht auf Manons T-Shirt, wenn sich die Kerle an ihr schadlos halten und sich dann haufenweise abwenden. Nach zweieinhalb Stunden spuckt die Lusthölle ein von Geld- und Liebesgier zerfressenes Opfer mit strohigen Haaren aus. Tatjana Gürbaca hält es mit Lady Gaga: "Ich will meine 'this-is-who-the-fuck-I-am'-Hymne, aber ich will nicht, dass sie hinter poetischer Zauberei und Metaphern versteckt ist. " Mit fatalen Folgen für ein im deutschen Sprachraum noch immer unterschätztes Meisterwerk.

Denn es hat Delikatesse und Extraklasse, wie Massenet in seiner Vertonung des Romans von Abbé Prévost (1731) den Niedergang Manons, die vor einem Besserungsaufenthalt im Kloster mit dem Studenten Des Grieux nach Paris flieht, dort zur Kurtisane aufsteigt und ebenso jäh abstürzt, mit einer unerhört geschmeidigen Musik umgibt. Im Idealfall scheint diese ständig mit sich selbst zu flirten, zu moussieren und unter akustischen Streicheleinheiten durch die Musiker zu implodieren. Doch diese Pikanterien aus dem Widerstreit von Psychologie, Poesie und Pseudonaivität muss erarbeitet werden: Das musikalische Fundament, durch das Gürbacas turbokapitalistische Schauerballade zur subtilen Leistung hätte werden können, fehlte. So blieb das Resultat leider flach.

Möglicherweise wollte Guido Johannes Rumstadt den Sängern der Hauptrollen helfen. Eleonore Marguerre, die in Nürnberg gefeierte Natasha in Prokofieffs "Krieg und Frieden", findet erst, wenn es fast zu spät ist, zu den Piano-Schattierungen, die diese Paradepartie und Vorstufe zu Bergs "Lulu" zum nicht nur knalligen, sondern auch bewegenden Zentrum der Aufführung hätte machen können. Tadeusz Szlenkier spart als trotz Zerrissenheit recht standfester Des Grieux Schmelz und Dolcezza für seine Arien. Die Studentenbude und Liebeslaube wird zur Pornobude und Des Grieux darin ein Kunde, der vom Kuscheln im Grünen träumt. Einiges erschließt sich nicht, sogar wenn Dialoge und Melodramen in deutscher Sprache erklingen.

Das Flirrende von Massenets Tonsprache und dessen Nähe zu Offenbach hört man diesem Abend nur von Julia Grüter, Nayun Lea Kim und Paula Meisinger als fantastisches Trio geschäftstüchtiger Gespielinnen sowie vom Opernstudio-Mitglied Michael Fischer. Richard Morrison als Sugar-Daddy und sogar Levent Bakirci als Manons Cousin, der sie eigenhändig mit Lippenstift aufhübscht, bleiben flach.

Vokaler Verteidigungsnotstand gegen die musikalische Leitung: Guido Johannes Rumstadt dirigiert Massenet so, als sei dieser Wagner für Arme. Die Staatsphilharmonie Nürnberg übermalt Aquarelle mit breiten Pinseln. So ist es wohl kein Zufall, dass Manon in einem ihrer zahlreichen Outfits mit rotem Wallehaar aussieht wie die Heroine Waltraud Meier als Kundry in "Parsifal". Am Ende: Explosiver Applaus.

DK


ZUM STÜCK
Theater:
Oper Nürnberg
Musikalische Leitung:
Guido Johannes Rumstadt
Regie:
Tatjana Gürbaca
Bühne:
Marc Weeger
Kostüme:
Silke Willrett
Vorstellungen
bis 10. April
Kartentelefon
(0180) 1344276