Ingolstadt
"Rasen betreten verboten"

Lesung im Kleinen Haus in Ingolstadt: Bettina Röhl und ihre Abrechnung mit der 68er-Generation

07.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:54 Uhr
Nicht einer Meinung: Autorin Bettina Röhl und Friedrich Kraft. −Foto: Auer

Ingolstadt (DK) 50 Jahre nach der Studentenrevolte von 1968 bewegt die Frage, wie dieses Protestjahr und seine Folgen zu werten sind, die Gemüter.

Das umso mehr, wenn jemand die gängige Einschätzung und Geschichtsschreibung konsequent gegen den Strich bürstet. Das tut die Journalistin und Buchautorin Bettina Röhl, ausgehend von ihrer eigenen Familiengeschichte. Ihre Mutter war die RAF-Mitgründerin und -ikone Ulrike Meinhof. Als Röhl nun zu einer Lesung nach Ingolstadt kam, konnte das Kleine Haus die Besucher kaum fassen. Rund 200 waren es am Ende, nachdem der Saal um ein paar Stuhlreihen erweitert worden war. Intendant Knut Weber, der Röhl eingeladen hatte sagte beeindruckt: "Wir hatten mit diesem Andrang nicht gerechnet. "

Freilich hatte Bettina Röhl schon zuvor im Interview mit unserer Zeitung unmissverständlich klar gemacht, was sie vom "Mythos 1968" hält: "Das Bild von 1968 ist ein Riesenbluff. " Wahrlich eine steile, provokative These. In ihrer Lesung schilderte sie dann, wie sich die 68er-Bewegung die mörderische "Kulturrevolution" von Mao Tse Tung in China zum Vorbild genommen habe. Es sei "gegen die Autoritäten schlechthin" gegangen. Der Kampf gegen "Altnazis" in den Institutionen habe hingegen "eine unwahrscheinlich geringe Rolle gespielt". Das habe man erst später kolportiert, als hehres Ziel sozusagen. Gleiches gelte für die Themen Feminismus und Schwulenrechte. Ebenfalls kein gutes Haar ließ sie an der berühmten Enteignungs-Kampagne gegen den Springer-Konzern und dessen Flaggschiff, die "Bild"-Zeitung. Das nannte sie einen erfolgreich durchgeführten und bis heute nachwirkenden "Rufmord".

Röhls Fazit: Bei der deutschen Bevölkerung sei "irgendwann in den 60er-Jahren der Protest um jeden Preis in Mode gekommen" - eine "extrem hysterische Diskussion in allen Bereichen", und wenn es nur um das Betretungsverbot von Rasenflächen ging. Auf dem Staat aber liege seit 50 Jahren "immer ein Generalverdacht". Zur RAF aber hätten die 1968er bis heute ein "schizophrenes Verhältnis": ablehnend, aber dann doch irgendwie "solidarisch". Ulrike Meinhof selbst aber sei zur "guten Terroristin" stilisiert worden. Dabei sei die Beweislage erdrückend, dass sie nicht nur in Wort - als Chefideologin der RAF - , sondern auch in Tat aktiv an Morden beteiligt war. Inzwischen sähen zwar viele der damaligen Protagonisten das Protestjahr kritisch. Aber bei den weitgehend Unbeteiligten und den Nachgeborenen konstatiert Röhl eine "ungebrochene Glorifzierung des 68er-Phänomens".

Und dann ging's holterdipolter in die aktuelle Politik, die das Gewaltmonopol des Staates nur mangelhaft verteidige. "Ulrike Meinhof war die Urmutter der Antifa. Angela Merkel und die Groko sind die Könige der Antifa! " Es fiel auch noch das Wort von Merkel als "Kopf der Schlange". Das gab im Publikum großes "Oho! " - und mit dieser Behauptung verscherzte sich Bettina Röhl gewiss Sympathien von Zuhörern, die viele andere Aussagen gut oder einigermaßen hatten nachvollziehen können. Wie die Sache mit dem Schlangenkopf gemeint war? 2011, als Merkel den Ausstieg aus der Atomenergie durchsetzte, habe sie sich an die Spitze der Protestkultur gesetzt, erklärte Röhl. "Merkel macht jetzt einen Teil der grünen Politik - insofern ist das alles durcheinander geraten. "

In der Diskussion, moderiert von Friedrich Kraft, war das gleich Thema. Der ehemalige DK-Herausgeber selbst ("Ich darf mich zu den Alt-68ern zählen") sprach von "heftigen Übertreibungen und Pauschalisierungen bis hin zur Polemik". Die Jahre vor 1968 seien nicht so golden gewesen wie geschildert. Und Weber gab in seinem Schlusswort gleichfalls kontra: "Ich finde manche Dinge, die Sie gesagt haben, skandalös! " Konkret meinte er die Bedeutung der Altnazis in der jungen BRD oder auch die Rolle der Springer-Presse als Scharfmacher 1968. "Das vernachlässigen Sie total! " Und: "Ich rege mich noch heute darüber auf, dass es in Deutschland verboten ist, Rasen zu betreten. " Kein Wunder, dass manche Besucher später draußen noch weiterdiskutierten. Auf oder neben dem Rasen.

Richard Auer