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Die 27. Ingolstädter Literaturtage mit neuem Konzept: Fleißerpreisträgerin Iris Wolff kuratiert ein Festival im Festival

03.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:01 Uhr
Kommen zu den Literaturtagen: Fleißerpreisträgerin Iris Wolff (von links), die Autoren Paul Maar und Matthias Politycki sowie Regisseurin Doris Dörrie. −Foto: Hauschild, Fischer, Derlath/dpa, Constantin Filmverleih

Ingolstadt - Künftig wird Ingolstadt mit seinem literarischen Pfund wuchern: Der alle zwei Jahre verliehene renommierte Fleißerpreis wird mit dem zweiten Ingolstädter Literaturschwerpunkt, den Literaturtagen, verbunden.

Erstmals wird es ein von einer Fleißerpreisträgerin kuratiertes Festival im Festival geben, stellte gestern Tobias Klein, Leiter der INKult-Veranstaltungsgesellschaft, das neue Konzept vor. Vier der insgesamt elf Termine von 30. April bis 11. Mai hat Iris Wolff, Fleißerpreisträgerin 2019, ausgewählt, die sie gestern vorstellte. Neben den Konstanten des Lesefestes - Autoren mit ihren Neuerscheinungen zu präsentieren, der Kinder- und Jugend-Literaturszene ebenso Raum zu geben wie dem regionalen Autorenkreis - sollen die Preisträger jeweils zwei folgende Literaturtage mitgestalten, sagte Klein. "So sollen die Preisträgerinnen und Preisträger stärker mit Ingolstadt und seinen Bürgern verbunden werden und ihren jeweils eigenen Stil einbringen. " Diese Verbindung mit der Stadt wird durch unterschiedliche Leseorte verstärkt. Neben dem Kleinen Haus des Stadttheaters, dem Altstadttheater und der Stadtbücherei auch eine Bar und der Anatomiegarten.

Oder die Harderbastei, wo Iris Wolff den ersten ihrer zwei Autorinnen und zwei Autoren als ihre "persönliche Leseempfehlung" für die 27. Literaturtage vorstellen wird. Die Auswahl erzähle von ihr und den Büchern, die sie geprägt haben. Die Themen Zuhause, Verlust, Schuld und Freundschaft verbinden alle Autoren. Auch von den Gespenstern der Vergangenheit erzählen sie auf poetische Art und Weise. Überdies werden drei von ihnen durch andere als den deutschen Kulturkreis und die deutsche Sprache mitgeprägt. "Die Autoren bewegt, wie Sprache die Beziehung des Ichs zur Welt prägt und wie das Ich die Welt durch Sprechen mitgestaltet", sagte Wolff.

Der Erste dieses Festivals im Festival ist Illustrator Mehrdad Zaeri, mit dem Iris Wolff am 1. Mai beim "Abend mit Illustration und Erzählung" in der städtischen Galerie Harderbastei sprechen wird. 1970 im Iran geboren, kam Zaeri mit 14 Jahren zuerst in die Türkei, dann nach Deutschland. Er wird live zeichnen und dabei erzählen, wie seine Bilderwelten für Kinderbücher (unter anderem: "Jimmy" von Werner Holzwarth), für Wandkalender, Magazine oder Theater entstehen, in denen er die Kraft der Träume ebenso zeichnerisch beschreibt wie Krieg, Migration, Demokratie, Heimat, Verlust und Erinnerung. "Zaeri zeichnet nicht nur auf Papier, sondern auch auf Haut und Häuserfassaden, überschreitet also auch in seiner Kunst Grenzen", sagte Wolff. Das Überschreiten von Grenzen sei die grundlegende Erfahrung der Moderne und täglich gelebte Realität.

Am 5. Mai wird Autorin Marica Bodro? ic im Arzneipflanzengarten des DeutschenMedizinhistorischen Museums - passend zur Ausstellung "scheintot. Von der Ungewissheit des Todes und der Angst, lebendig begraben zu werden" - aus ihrem Roman "Das Wasser unserer Träume" lesen. Darin übt sich ein Namenloser, im Koma liegend, ein Jahr lang im Erwachen. Er kann seinen Körper nicht bewegen, ist sich aber seines Selbst bewusst und liest die Gedanken und Sehnsüchte anderer. Der Leser werde in eine "höhere Heimat", in "faszinierende geistige Landschaften" mitgenommen, so Wolff. Marica Bodro? ic wuchs bis zu ihrem zehnten Lebensjahr in Dalmatien auf, zog 1983 nach Hessen und lernte dort Deutsch als ihre "zweite Muttersprache". In zwei Sprachen zu Hause ist Zsuzsa Bánk, die 1965 als Tochter ungarischer Eltern geboren wurde, die nach dem Ungarnaufstand 1956 nach Deutschland geflohen waren. Bánk wird - im Gespräch mit Literaturwissenschaftlerin Julia Knapp - im Altstadttheater am 6. Mai ihren Roman "Schlafen werden wir später" vorstellen. Einen modernen Briefroman, in dem sich zwei Frauen, die Schriftstellerin Márta und ihre Freundin Johanna per E-Mail austauschen. Die Eine ist verheiratet, hat drei Kinder, die Andere, Lehrerin, kinderlos, arbeitet an ihrer Doktorarbeit zu Annette von Droste-Hülshoff.

Am 10. Mai kommt der Freiburger Autor Kai Weyand mit seinem 2019 erschienenen Roman "Die Entdeckung der Fliehkraft". Weyand fasziniere mit seiner humorvollen und zutiefst ehrlich-reflektierenden Sprache, begründete Wolff ihre Wahl. Auch diesen Termin wird sie selbst moderieren und gemeinsam mit dem 52-jährigen Autor über die im Roman thematisierten fließenden Grenzen von Wirklichkeit und erträumter Welt sprechen. Dieses Werk ist die einzige Neuerscheinung in Wolffs Auswahl: "Ich habe bewusst die Freiheit genutzt, nicht wie bei Literaturfestivals wichtig auf Neuerscheinungen zu setzen. Literarische Qualität hat, wie bei Marieluise Fleißer zu sehen, kein Verfallsdatum. "

Mit einer Neuerscheinung werden die 27. Literaturtage aber eröffnet: Am 30. April ist Doris Dörrie mit ihrer Biografie "Leben, schreiben, atmen - Eine Einladung zum Schreiben" im Kleinen Haus des Stadttheaters zu Gast. Die Autorin und Regisseurin ("Männer") erzählt mit Leidenschaft und Humor davon, wie es sich mit täglichem Schreiben intensiver leben lässt.

Brandaktuell ist Michael Lüders' Thriller "Die Spur der Schakale", Ende Januar bei C. H. Beck erschienen, in dem es um Investmentfonds und Geheimdienste geht. Die Moderation für diesen Abend am 9. Mai im Kamerariat liegt bei Literaturagent Thomas Kraft, der erneut die Autoren für die Literaturtage ausgewählt hat. Ebenfalls neu erschienen ist Matthias Polityckis' "Das kann uns keiner nehmen", aus dem er am 7. Mai im Studio Famos liest.

Kinder und ihre Familien können sich auf zwei musikalische Lesungen im Kap94 am 2. Mai freuen: Paul Maar bringt "Der kleine Troll Tojok" mit (Oettinger-Verlag, 2019) und singt gemeinsam mit Konrad Haas und Wolfgang Stute eigens für dieses "Kap der Kinder" geschriebene und komponierte Lieder.

Literarische Überraschungen hält traditionell der Schülerschreibwettbewerb bereit, der heuer das Motto "Freiheit" trägt. Die Preisverleihung am 3. Mai in der Stadtbücherein im Herzogskasten übernimmt Kulturreferent Gabriel Engert.

Der Ingolstädter Autorenkreis lädt am 8. Mai zur 27. Literarischen, musikalisch begleiteten, Nacht in die Neue Welt. Ebendort setzt am 11. Mai der Poetry Slam den Abschluss des Festivals. Hier zeigen die Nachwuchs-Poeten, was sie in den Workshops mit Pauline Füg und Tobias Heyel gelernt haben.

DK

Barbara Fröhlich