Prozesshafte Identitätssuche

Im Tongewölbe T25 in Ingolstadt stellt mit Rindon Johnson ein weiteres Mal ein wichtiger internationaler Künstler aus

28.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:12 Uhr
  −Foto: Weinretter

Ingolstadt - Die Fenster sollen bestenfalls geöffnet sein, so der Wunsch von Rindon Johnson.

 

Das Grün und das Licht des idyllischen Hinterhofs sollen in den luftigen Raum hineinwirken, in dem eine in der flatternden Bewegung wie festgefrorene und einen hellen Schatten werfende Skulptur unter dem Gewölbe hängt. Eine schlichte, aber höchst effektvolle Inszenierung. Ein sakraler Moment fast, erinnert die Form doch an das Lendentuch Christi bei Kruzifixen oder auf Kreuzigungsdarstellungen. Oder aber an erstarrte Nebel- oder Rauchschwaden, an einen Flügel aus Wachs oder an ein seltenes Exponat aus einem Naturkundemuseum.

Im Tongewölbe T25 in Ingolstadt stellt der gefragte US-amerikanische Künstler Rindon Johnson aus. Um ein weiteres Mal lassen das Sammlerehepaar Manuela und Andreas Wittmann damit Kunstfreunde an ihrem untrüglichen Gespür für international wegweisende und wichtige zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler teilhaben. Nach documenta-Teilnehmern wie Daniel Gustav Cramer oder Haris Epaminonda, oder Martine Syms, Diamond Stingely und Aria Dean bespielt nun also ein vielseitiger Vertreter der Video- und Virtual-Reality-Kunst, der jedoch ebenso - gewissermaßen analog - skulpturale Objekte schafft und als Schriftsteller und Essayist tätig ist, die beiden kleinen Räume.

Aus welchem Material die an einer Leine schwebende Skulptur genau beschaffen ist, erschließt sich dem Betrachter nicht auf den ersten Blick. Möglicherweise auch nicht auf den zweiten. Es ist getrocknete Kuhhaut. Eines der bevorzugten Werkstoffe des 1990 in San Francisco geborenen Künstlers, der inzwischen in New York und Berlin lebt und im vergangenen Jahr seine erste Einzelausstellung in Europa in der renommierten Julia Stoschek Collection in Düsseldorf hatte. Kuhhaut, weil es einst das für ihn erschwinglichste Material war. Kuhhaut aber vor allem, weil ihm die Kuh eine elementare Kreatur ist, die jedoch in unseren modernen Zeiten ein hochspezialisiertes Produkt ist, bei dem mit der Massentierhaltung die Maximierung des Profits im Vordergrund steht.

 

Wochen- und monatelang werden die Häute in Teiche gelegt, manchmal, so heißt es, hüllt er sich auch selbst in die Haut ein, die er mit Indigo, Erde, Kaffee oder Vaseline bearbeitet, beziehungsweise dem Sonnenlicht oder dem Wasser aussetzt. Ein langwieriger Prozess. Vaseline ist - wie die Kuhhaut ein Abfallprodukt der Fleischindustrie ist - ein Nebenprodukt der Erdölgewinnung. Beides, so Johnson, Produkte einer erschöpfenden und maximalen Ausbeutung der Natur. Johnson geht es darum, sichtbare Spuren zu hinterlassen, wahrnehmbare und virtuelle gleichermaßen. Er reflektiert über Auswirkungen von Globalisierung, Kapitalismus, Klima und Konsum. Und über die afroamerikanische Identität, über den Umgang mit Schwarzen in den USA. Die ausgebeutet wurden und heutzutage noch immer häufig am Rande der Gesellschaft leben.

Nach Ingolstadt hat Johnson auch "Fanny Mae - Fire - Muriel" mitgebracht. Eine Videoarbeit mit einem für Rindon Johnsons Verhältnisse erstaunlich kurzem Titel - häufig sind diese zeilenfüllende Gedichte. Für sich selbst schon Kunstwerke. Während Filmaufnahmen von brennenden Häusern aus der Vogelperspektive flimmern, erzählt er eine poetische, fragmentierte Familiengeschichte. Von seiner Großmutter Fanny, die als Kind das Haus angezündet hat, von seiner Großtante Muriel, die immer neue Wendungen der Geschichte dazuerfunden hat, von seinem Großvater, der seine Mutter vor seiner "dunklen Seite" gewarnt hat, als Rindon noch Kristina war.

Ganz aktuell sind Arbeiten auf Rohleder, die während des Lockdowns entstanden sind. Johnson, der als Associate Fellow an der Universität der Künste in Berlin lehrt und Medienkunst und virtuelle Realität studiert, saß mit seiner Familie in der Hauptstadt fest. Da hat er zu bunten Stiften gegriffen. Vielleicht, weil seine virtuellen Werke unter den Hygieneanforderungen nicht gezeigt werden können, weil die Welt seit Corona eine andere ist. "Systeme können schnell kollabieren", zitiert er seine Großtante Muriel.

DK


T25, Theresienstraße 25, Ingolstadt: bis 14. November. Samstag von 16 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung unter www. slg-wittmann. de.

 

Katrin Fehr