Ingolstadt
Philosophin am Theater

Judith Werner hat über Heidegger promoviert - Nun ist sie stellvertretende Intendantin in Ingolstadt

12.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:23 Uhr
Will eigene Akzente setzen: Dramaturgin Judith Werner steht vor dem Stadttheater Ingolstadt. −Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Vielleicht versteht man einen Menschen dann am besten, wenn man ihn danach fragt, wie er seine Freizeit verbringt. Judith Werner, die die Position der stellvertretenden Intendantin des Stadttheaters Ingolstadt gerade von Donald Berkenhoff übernommen hat, muss nicht lange grübeln, um von ihren Leidenschaften zu sprechen.

"Ich habe einen äußerst charmanten und sehr in die Jahre gekommenen Zwerghamster, mit dem ich bereits seit drei Jahren zusammenlebe", erzählt sie. Angeschafft hat sie ihn fast aus einer Notsituation heraus - als sie an ihrer Doktorarbeit schrieb. "Während der Doktorarbeit lag ich oft wach im Bett, die Gedanken ratterten." Dann stand sie auf und beobachtete, wie der Hamster am Rad drehte. Der Blick auf die immer gleiche Bewegung, bis auch die Gedanken zur Ruhe kommen, ist ein Akt der Kontemplation.

Kaum anders das andere Hobby der Dramaturgin -- bei dem sie zugibt, dass es ihr lange ein klein wenig peinlich war: Judith Werner strickt gerne. "Jetzt ist das ja total in Mode im Zeitalter der Do-it-yourself-Bewegungen. Überall gibt es sehr hippe Wollgeschäfte und nicht nur diese Omaläden", sagt sie. Auch hier geht es um Beruhigung der Nerven und der wild mäandernden Gedankenströme. "Nach einem anstrengenden Tag ist es gut, etwas mit den Händen zu tun und vielleicht dabei ein paar lustige Videos zu sehen."

Warum benötigt die 35-Jährige den Fluss immergleicher Bewegungen, um intellektuell auszuspannen? Nun, vielleicht weil Judith Werner eine so kluge und gebildete Frau ist. Eine Dramaturgin, die hervorragend formulieren kann, die ihre Ideen mit großer Klarheit und Eloquenz zum Ausdruck bringt. Eine Denkerin, mit der man stundenlang über die Grammatik verschiedener Sprachen diskutieren kann und was für Weltbilder sich daraus entwickelt haben. Oder über den Vor- und Nachteil des sogenannten Regietheaters. So viel Gedankenschwerarbeit verlangt womöglich nach Ausgleich.

Vielleicht hat das mit ihrem langen Philosophiestudium zu tun. Zuletzt hat Werner in Regensburg mit einer Arbeit über Antisemitismus im Werk Martin Heideggers promoviert - ein Thema, das seit einigen Jahren mit großer Intensität diskutiert wird und sicher gerade einen Nerv trifft. Die Schrift ist im renommierten Metzler-Verlag unter dem Titel "Poesie der Vernichtung" erschienen. Davor hat Werner gleich zwei Magisterarbeiten geschrieben: in Literaturwissenschaft über die "Buddenbrooks" von Thomas Mann und in Philosophie eine Arbeit über den jüdischen Philosophen Emmanuel Levinas (1905-1995). In diesem Zusammenhang entwickelte sich bei Werner auch ein Interesse für das Judentum. So schrieb sie für die Zeitung "Jüdische Allgemeine".

Überhaupt interessierte sie sich während des Studiums immer stärker für den Journalismus - und zwar besonders im Zusammenhang mit ihrer Neigung zum Theater. Ihr liebstes Kind: Seit 2016 betrieb sie zusammen mit einer Freundin einen privaten Theater-Blog in Regensburg,. Das Interesse für die darstellende Kunst wurde dann immer stärker. "Man unterstellt Theaterkritikern ja gerne, dass sie am liebsten Theatermacher geworden wären. Bei mir hat das total zugetroffen." So bewarb sie sich nach der Doktorarbeit für eine Stelle als Dramaturgin an verschiedenen Häusern und fand - ziemlich unerwartet - Arbeit in Ingolstadt.

Dabei kommt Judith Werner im weitesten Sinne aus der Region. Sie wuchs in Abensberg auf, war aber in ihrer ganzen Jugend und während der Studentenzeit in ihren kulturellen Interessen auf die Stadt Regensburg fixiert. Dort besuchte sie regelmäßig seit ihrer Kindheit das Theater und dort auch ging sie zur Schule und studierte. Später arbeitete und studierte sie auch in Verona und Frankfurt. Ingolstadt war ihr so zunächst fremdes Terrain.
Dennoch: In das Stadttheater Ingolstadt bringt sie Lokalkolorit, wie sie erzählt. Denn Theaterleute reisen und arbeiten bundesweit und darüber hinaus. Abgesehen von den Mitarbeitern in Verwaltung und Technik ist kaum jemand im Umfeld von Ingolstadt aufgewachsen. Judith Werner hingegen spricht sogar die bayerische Mundart perfekt - wenn sie will.

In Ingolstadt hat Werner wieder einen Theater-Blog eingerichtet, diesmal als Ergänzung des Internetangebots des Stadttheaters. Inzwischen hat sie sich gut in der Stadt eingelebt, schätzt die Altstadt und mokiert sich wie viele Ingolstädter über den schlecht ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr. Nun möchte sie eigene Akzente setzten. So liegt es ihr sehr am Herzen, dass mehr Stücke von Autorinnen im Theater aufgeführt werden. "Frauen sind genauso befähigt, Texte zu schreiben wie Männer", sagt sie. "Dennoch haben es Autorinnen schwerer. Frauen und Männer haben einen unterschiedlichen Blick auf die Welt. Mit Autorinnen wird das Spektrum erweitert", betont sie. "Wir sollten in die Entwicklung junger Schriftstellerinnen investieren." Man spürt, dass ihr das ein besonderes Anliegen ist.
 

Jesko Schulze-Reimpell