Pfaffenhofen
"Das ist der Stoff meines Lebens"

02.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:44 Uhr

"Meine Literatur geht sehr stark von bestimmten Gesetzmäßigkeiten aus": Der Schriftsteller Steffen Kopetzky in seinem Arbeitszimmer in Pfaffenhofen. - Foto:Schmidt

Pfaffenhofen (DK) Steffen Kopetzky wollte Schriftsteller werden, seit er denken kann. Fünf Romane hat er publiziert, dazu Erzählungen, Hörspiele, Radiofeatures und ein Theaterstück. Zuletzt erschien sein Monumentalwerk "Risiko". Mit dem 47-jährigen Pfaffenhofener

Schon als kleiner Junge tippte Steffen Kopetzky auf der Reiseschreibmaschine seines Vaters kleine quadratische Zettel voll. "Ich wollte Geschichten schreiben, etwa über eine Ufo-Sichtung", erinnert er sich. Er lacht. Am Ende stand da nur: "Das Ufo". "Ich bin nicht über den Titel hinausgekommen." Aber: Der Be-rufswunsch Schriftsteller blieb.

Steffen Kopetzky, 1971 in Pfaffenhofen geboren, studiert Philosophie und Romanistik in München, Paris und Berlin. "Die Sprache versetzte einen in die Lage, Literatur im Original zu lesen. Und Philosophie war damals ein Studium generale, wenn man so will. Auch da gibt es die Möglichkeit, sich von Ethnologie bis Kybernetik mit allen möglichen Fragestellungen zu beschäftigen", sagt er heute. Er schließt das Studium nicht ab. Denn er reüssiert schon mit Anfang 20 als Autor für den Rundfunk. Der SFB produziert sein Hörspiel "Die Entdeckung der Pyramiden", eine polyphone Sinfonie über "Finnegans Wake", das letzte Werk von James Joyce, mit dessen Übertragung ins Deutsche sich Kopetzky schon länger beschäftigt hatte. Es folgen weitere Projekte in der Abteilung des literarischen Worts - "der Chefdramaturg der Abteilung Hörspiel hat mich gefördert" - und Steffen Kopetzky verdient so viel Geld, dass er als freier Autor davon leben kann. "Ich hatte keine Zeit mehr fürs Studium."

Gerade in den frühen 90er-Jahren ist die Medienszene in Berlin sehr lebendig. Im Zuge der Wiedervereinigung gibt es große Zusammenschlüsse, die westdeutschen Verlage breiten sich in den Osten aus. Berlin wird ein wichtiger Markt. Viele Zeitungen eröffnen Dependancen, gründen Berliner Seiten. "Die Aufbruchstimmung war groß, es gab viel Arbeit und eine Szene, wo es wirklich Spaß machte, als freier Autor dabei zu sein", erzählt Kopetzky.

1996 veröffentlicht er seinen ersten Roman "Eine uneigentliche Reise", in dem er einen jungen Mann auf eine Zugreise quer durch Europa schickt. Drei Jahre lang hatte er daran gearbeitet. Dann lernt er den Verleger von Volk & Welt kennen. "Am Freitagabend habe ich ihm das Manuskript gegeben, am Montag hat er angerufen, ich soll vorbeikommen und den Vertrag unterzeichnen." Dabei ist der Roman alles andere als kommerziell. "Er war sogar sehr sperrig. Trotzdem hat er funktioniert. Es war vielleicht eine gewisse Energie darin", sagt er. Die Kritik feiert den Autor als virtuosen Gedankenseiltänzer. Wenig später wird er beim Bachmann-Preis in Klagenfurt ausgezeichnet - für seinen 20-seitigen Text "Einbruch und Wahn". "Ich habe überlegt, ob man daraus ein Buch machen könnte. Aber das schrieb ich nicht einfach neu, sondern ich setzte den Text genauso, wie er war, in einen Roman, den es noch gar nicht gab. Damit das funktionierte, bedurfte es wahnsinnig komplizierter Überlegungen. Aber das gehörte für mich einfach zu meiner künstlerischen Integrität", erklärt Kopetzky. Rückblickend gesteht er schon eine "gewisse Verbissenheit" ein - vor allem, was die formale Strenge betrifft. Die beiden Debütromane - "Ich würde sie als Geschwister sehen" - beziehen sich aufeinander, das eine ironisch-komisch, das andere dunkel-düster und paranoid, wurden geschrieben "mit dem unbedingten Willen zur Kunst und in meiner Poetik".

Erst mit dem Schlafwagenroman "Grand Tour" schafft er eine stärkere Öffnung zur Erzählung. Steffen Kopetzky steht auf und zieht das Buch aus dem Regal, das die ganze Wand seines Arbeitszimmers einnimmt. Früher befand sich hier die Garage des kleinen Hauses. Jetzt gibt es dort einen Kamin, in dem ein gemütliches Feuer der Kälte trotzt, einen Eames Lounge Chair und einen riesigen Schreibtisch, an dem der Autor arbeitet. "Der Tisch ist meine Heimat", sagt Steffen Kopetzky. Und das klingt völlig unpathetisch. Natürlich könnte er auch woanders schreiben. Aber die Platte bekam er einst als Bezahlung von einem Schreiner, wo er während der Schulzeit gearbeitet hatte. Und den Tisch fertigte sein Vater für ihn. Aus Pfaffenhofen nahm er ihn mit nach München, Berlin, Hamburg. Jetzt steht er wieder in Pfaffenhofen - nur wenige hundert Meter von seinem Elternhaus entfernt. Ideal findet Kopetzky seinen Arbeitsplatz. Nicht nur, weil er hier ungestört ist. Sondern auch weil er sich auf der Nordseite befindet und kein direktes Sonnenlicht ins Zimmer fällt. "Ich vertrage kein Sonnenlicht beim Schreiben, weil ich mich dann sofort in die Sonne legen möchte. Deshalb habe ich früher auch gern nachts gearbeitet", erzählt er.

Steffen Kopetzky schlägt "Grand Tour" auf: Ein internationaler Eisenbahnfahrplan markiert das Netzwerk der Strecken und der Geschichten gleichermaßen. Wie seine Romanfigur, der Architekturstudent Leo Pardell, hat auch Kopetzky als Schlafwagenschaffner gearbeitet. Anfang der 1990er-Jahre kehrt er "unter etwas unglücklichen Umständen" aus Paris zurück. "Ich hatte keine Wohnung mehr und mir mit dem letzten Geld ein Schlafwagenticket gekauft, um nach München zurückzufahren. Einfach um mich in diese Behaglichkeit des Schlafwagens zu retten." Auf der Fahrt lernt er den Schlafwagenschaffner kennen. "Ich fand toll, was der machte. Und kaum war ich in München, habe mich dort beworben. Die haben mich genommen. Schon war ich gerettet aus meiner Misere. Und habe dann Europa bereist. Was ich schon immer tun wollte", erzählt er. Das tragisch endende Paris-Abenteuer bekommt eine glückliche Wendung.

Zwei Jahre lang jobbt er dort, schreibt schon während der Zeit an einem Roman. Denn wie seine Romanfiguren trifft auch er während seiner nächtlichen Reisen auf den Schienennetzen Europas ungewöhnliche Leute. 2002 erscheint "Grand Tour". Im gleichen Jahr wird Steffen Kopetzky künstlerischer Leiter der Biennale Bonn. Wieder ein Job, der sehr viel mit dem Unterwegssein zu tun hat.

Längst keimt die Idee zu einem neuen Roman in ihm. Während der Arbeit an "Grand Tour" hatte er in einer Kneipe in Neukölln Schließtechnikfreaks kennengelernt, deren Hobby es war, Räume zu öffnen. Nicht um etwas zu stehlen, sondern einfach um des Adrenalin-Kicks willen, die Mechanik überlisten zu können. Um Schlösser, Spionage, Verbrechen und Verrat geht es in seinem nächsten Buch: "Der letzte Dieb" raubt Kostbarkeiten auf Bestellung und erscheint 2008.

Da steckt Steffen Kopetzky schon mitten in den Arbeiten zu "Risiko". Im Sommer 2003 war er bei einem Besuch in der Spionageabteilung des Imperial War Museums in London auf ein Buch gestoßen: In "East of Constantinople" berichtet Peter Hopkirk von einer legendären Afghanistan-Expedition im Auftrag des deutschen Kaisers. Doch die deutsch-türkische Aktion, in der die arabische Welt zum Kampf gegen Briten, Franzosen und Russen aufgestachelt werden soll, scheitert. Es geht um Krieg und Strategien, um territoriale Interessen und Geschäftemacherei, um Visionäre und Abenteuerer. Geschichtsschreibung in überbordender Fantasie, klug verzahnt mit der Gegenwart. Insgesamt zehn Jahre schreibt der Autor an "Risiko". 2015 erscheint es unter großem Medienecho, bringt dem Autor eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis. Und noch während der Rechnerchen stößt er auf einen neuen Stoff. "Das ist der Stoff meines Lebens. Das Aufregendste, woran ich je gearbeitet habe", schwärmt Steffen Kopetzky. Thema ist der Zweite Weltkrieg - aus der Sicht eines amerikanischen Offiziers, der nach Deutschland kommt. Mehr will er nicht verraten. Aber die Recherche macht ihm großen Spaß. "Ich bin schon Schriftsteller geworden aus der Begeisterung fürs Lesen."

Steffen Kopetzky hat sich verändert. Früher trug er Dreiteiler und Glatze, rauchte Roth-Händle, trat maniriert als Dandy aus der Großstadt auf. Heute steht er mit beiden Beinen und in gestrickten Socken auf dem Boden einer oberbayerischen Kleinstadt. Souveräner. Er nickt. Ein bisschen angestrengt sei das früher gewesen, "von jugendlicher Unsicherheit geprägt, von Ehrgeiz und unbedingtem Erfolgswillen". Jetzt fühlt sich Steffen Kopetzky auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Die Rückkehr nach Pfaffenhofen 2005 war für ihn wegen der Familie, seinen zwei Kindern wichtig. Hier hat er Wurzeln, hat den Neuen Kunstverein mit aufgebaut, das (Ehren-)Amt des Kulturreferenten übernommen. "Wenn man Kinder bekommt und für andere verantwortlich ist, begreift man, wie viel notwendig ist, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten. So wie man für die Familie verantwortlich ist, ist man auch für die Stadtfamilie verantwortlich. Und da gibt es ja 1000 Möglichkeiten, sich zu engagieren - ob im Verein oder in der Politik."

Irgendwann will er auch ein Buch über Bayern schreiben, seiner Herkunft ein literarisches Denkmal setzen. "Meine Mama ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Und ich spreche oft mit ihr über ihre Kindheit. Da gab es eine Lehmgrube, eine Sandgrube, einen Wald, jede Art von Viehzeug und einen ausgeprägten katholischen Glauben", erzählt Steffen Kopetzky. Viel von diesem Wissen sei heute verloren gegangen. "Ich möchte festhalten, wie das mal war." Er lacht: "Auch Schreiben ist old fashion. Ich bin ein Dinosaurier. Ich komme mir vor wie jemand, der eine Arche baut - mit jedem Buch. Ich versuche, Dinge in eine andere Zeit hinüberzuretten. Ich bin ein Mittler zwischen der Zeit, aus der ich komme und der Zeit, in der unsere Kinder groß werden, in der Information in ihrer Erreichbarkeit, Verfügbarkeit, beliebig geworden ist", sagt Steffen Kopetzky. "Man ist beim Schreiben sehr allein. Aber mich macht es glücklich."