Ingolstadt
Perfekte Gesangsetikette

Der Ingolstädter Jugendkammerchor spannt auf seiner geistlich-weltlichen Vokalreise den Bogen vom Barock bis zur Popmusik

06.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:27 Uhr
Tiefsinnig, humorvoll und unterhaltsam: Eva-Maria Atzerodt leitet den Jugendkammerchor in der Kirche St. Matthäus. −Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) „Kümmert Euch nicht – wir schaffen's schon!“ – so umschreibt Dirigentin Eva-Maria Atzerodt das Credo, das alle ihre jungen Sänger und Sängerinnen antreibt und zusammenhält. Deshalb wurde der Titel „Ain't Misbehavin'“ von Swing-Legende Thomas „Fats“ Waller als Symbol für diese Grundhaltung auch zum Motto des diesjährigen Frühlingskonzerts in der Matthäuskirche gewählt.

Mit dem Jazzsong transportiert das trotz der unvermeidlich häufigen Fluktuation enorm routinierte 34-köpfige Vokalensemble einen ironischen, leicht augenzwinkernden und doch zuversichtlichen Unterton, der den ganzen Abend begleitet.
 
Gleich die sakralen Werke aus unterschiedlichen Epochen verströmen zu Beginn neben ihren Andachtsmomenten auch Frohsinn und Leichtigkeit. „Also hat Gott die Welt geliebt“, eine bekannte Motette des frühbarocken Protestanten Heinrich Schütz, wird – ähnlich wie das sich anschließende „Cantate Domino“ seines Zeitgenossen Hans Leo Hassler – als gelungenes Spiel zwischen religiöser Ehrfurcht und beinahe tänzerischer Anmut gestaltet.
 
Wie wohltuend letztere Textvorlage selbst in modernen Versionen klingen kann, beweist der Jugendkammerchor anhand der beiden Vertonungen des Litauers Vyautas Miskinis (rhythmisch schwungvoll-synkopiert mit ruhigem, homogenem Klangteppich im Mittelteil) und des Spaniers Josu Elberdin (akzentuiert-jubelnd in einer Kombination aus englischer, lateinischer und baskischer Sprache). Der romantische Bruckner-Klassiker „Locus iste“ fügt sich durch seine ergreifende Schlichtheit wie auch durch seine verhaltene Chromatik und fließend abgestimmte Dynamik nahtlos ein; sogar das aufrüttelnde doppelchörige „Warum toben die Heiden“ von Mendelssohn findet trotz seiner brüsken, spottenden Anklage, unterstrichen anhand von souverän einfließenden Solopassagen, zu versöhnlicher Stimmung zurück.
Damit ist der Übergang geschaffen für einen Reigen idyllischer Abend- und Naturlieder: Brahms' „Abendständchen“ beschwört die dämmrige Atmosphäre am Tagesende herauf, während das ungarische „Esti dal“ von Zoltán Kodály zum innigen, folkloristisch kolorierten Gute-Nacht-Gebet gerät.
 
Die pessimistischen Seiten der Dunkelheit beleuchtet der Jugendkammerchor eindrucksvoll im unheilahnenden Volkslied „Ich hab die Nacht geträumet“ in einer zeitgenössischen Fassung von Max Beckschäfer; fast nostalgisch wird es dagegen beim traurigen und zugleich tröstlichen mundartlichen Wiegenlied „Aber heidschi bumbeidschi“, durchzogen von Echo-Effekten, wie auch beim vor allem von Gesangsvereinen gepflegten „Kein schöner Land“, hier allerdings noch weit kreativer und anspruchsvoller als üblich umgesetzt. Nach Mendelssohns sehnsüchtig-anrührend zelebriertem „Abschied vom Walde“ bringt das hochmotivierte Vokalensemble mit der „Vogelhochzeit“ in einer textlich-harmonisch geschickt ineinander verzahnten Version von Volker Wangenheim die heitere Laune erneut zurück, indem es die einzelnen gefiederten Gäste musikalisch treffend humorvoll charakterisiert.
 
Den letzten Liederblock eröffnet Nico Nebes „Comedian Harmonistisches Medley“, das einige der größten Erfolge dieser berühmten Berliner Gesangsformation der 1920er- und 30er--Jahre originell zueinander in Beziehung setzt. So schenkt „Wochenend und Sonnenschein“ uns die „Veronika, der Lenz ist da“, der Liebhaber der „Schönen Isabella aus Kastilien“ singt „Liebling, mein Herz lässt Dich grüßen“, und „Mein kleiner grüner Kaktus“ sticht nicht nur, sondern ist zugleich auch „Ein Freund, ein guter Freund“. Ebenso optimistisch kommt John Rutters fröhlich-freches Glücksbringer-Stück „Sing a song of sixpence“, vertont nach einem märchenhaften Kinderreim, daher. Ganz anders „Warning to the rich“ des schwedischen Komponisten Thomas Jennefelt – eine in enger Wort-Ton-Beziehung schonungslose Abrechnung mit den kapitalistischen Reichen in der Wohlstandspyramide der industrial workers, die sich über einem monotonen, immer lauter anschwellenden Summen zunächst mahnend geflüstert, dann nachdrücklich rufend, unter wehklagendem Schreien und wirrem Lachen in einem schmerzvoll herausgeschleuderten Bariton-Solo entlädt.
 
Ihren einfühlsamen, auswendig vorgetragenen Soloauftritt genießen die Männerstimmen bei Robbie Williams‘ Welthit „Angels“ (Einstudierung: Steffen Utech), begleitet am Klavier von Magdalena Sixl. Da hört sogar Chorchefin Eva-Maria Atzerodt einfach nur andächtig zu, ehe sie unter anderem zum Jazzstandard „Blue Skies“ von Irving Berlin das Zepter wieder übernimmt. Gekonnt spielen die jugendlichen Sänger und Sängerinnen dabei mit der Doppeldeutigkeit des englischen Ausdrucks „blue“ als „traurig“ einerseits und „strahlend blau“ andererseits. Mit Jack Hallorans schwungvollem Spiritual „Witness“ liefert der durchweg gut verständlich artikulierende Jugendkammerchor, der stets prompt auf das präzise austarierte Dirigat seiner Leiterin reagiert, nicht nur ein Zeugnis religiöser Begeisterung ab, sondern setzt zugleich einen strahlenden Schlusspunkt unter sein Frühlingsprogramm.

Unter stehenden Ovationen werden zu guter Letzt die dem Ensemble entwachsenen, scheidenden Chormitglieder traditionell mit einer Rose und Rheinbergers „Abendlied“ gebührend verabschiedet – was nach diesem wunderbaren Konzert allen doppelt schwerfällt.