München
"Parsifal" steht Kopf

Georg Baselitz hat zur Eröffnung der Münchner Opernfestspiele die Wagner-Oper ausgestattet - und ist gescheitert

29.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:36 Uhr
Parsifal der Erlöser: Szene mit Jonas Kaufmann (rechts) und Christian Gerhaher als Amfortas. −Foto: Foto: Hösl

München (DK) Georg Baselitz musste sich überwinden.

Zur Musik Richard Wagners hatte der Maler immer ein distanziertes Verhältnis. Dann hat er sich doch entschlossen, an der Neuinszenierung von "Parsifal" mitzuwirken - "weil es München ist, weil ich hier lebe, weil meine Werke in der Pinakothek der Moderne glänzend vertreten sind - ich hätte es als Kneifen empfunden, wenn ich nein gesagt hätte".

Hätte Baselitz sich doch anders entschieden! Dann wären ihm und dem Publikum manches erspart geblieben, etwa der Buh-Orkan, der ihn empfing, als er nach der Premiere am Donnerstagabend mit dem Regieteam zusammen die Bühne des Nationaltheaters betrat.

Keine Frage: Baselitz ist ein großer Maler, vielleicht derzeit der bekannteste und erfolgreichste in Deutschland. Aber ein genialischer bildender Künstler macht noch keine gelungene Opern-Inszenierung aus - selbst wenn dem Künstler ein so erfahrener Theatermacher wie Pierre Audi zur Seite steht. Das Resultat ist schlicht langweilig. Die Sänger-Darsteller stehen verlegen in Baselitz' Szenerie herum und agieren mit dem Bewegungsrepertoire von Verkehrspolizisten. Ein Regiekonzept ist weit und breit nicht zu entdecken. Dafür ziemlich viel Baselitz-Ästhetik: Interessant, vielleicht sogar schön anzuschauen, aber für Wagners Bühnenweihfestspiel liefert sie keine neuen Sichtweisen oder Erkenntnisse.

Im ersten Aufzug zeigen Baselitz und Audi einen entlaubten Wald, die Gralsritter sehen ein wenig wie Samurai-Krieger aus, in der Mitte steht eine Art germanisches Heiligtum aus zusammengebundenen Holzstämmen. Wenn Amfortas den Gral enthüllt, lassen die Ritter ihre Kleider fallen und umkreisen den mystisch schimmernden Kelch. Danach welkt der Wald dahin, als wäre alles nur ein Traum gewesen.

Auch die Blumenmädchen treten nackt auf, in Pappmaché-Kostümen voller schwabbeliger Busen und Hintern, vor Klingsors Burg, gezeichnet in wackeliger Kinderästhetik. Der heilige Speer ist bei Baselitz nur ein schlichtes christliches Kreuz. Nachdem Parsifal es dem bösen Ritter Klingsor abgenommen hat, fällt auch hier die Welt in sich zusammen. Schließlich, im dritten Akt, das, was zu erwarten war: Der Wald des ersten Aufzugs steht Kopf. Gänzlich misslungen ist der neue Münchner "Parsifal" keineswegs - und das hat mit den Darstellern und vor allem mit dem Dirigenten Kirill Petrenko zu tun. Denn Prominenz wurde nicht nur im Regieteam aufgeboten, sondern auch bei den Musikern - was in diesem Fall der Oper guttut. Bessere Wagner-Sänger hätte man heute kaum finden können: ein Jonas Kaufmann als Parsifal, der mit heldischem Charme und dunkel getöntem Tenor die Partie ausgestaltet. Eine Kundry, die von Nina Stemme mit hell flammenden Spitzentönen gesungen wird. Und ein Gurnemanz, den René Pape so rund und differenziert gestaltet, so voller leiser nachdenklicher Töne, dass man staunt. Noch verblüffender ist der von dem eigentlich als Liedersänger berühmt gewordenen Christian Gerhaher gesungene Amfortas. Wie er, rasend vor Schmerz und Wut, vor Eitelkeit und Verzweiflung, am Stock über die Bühne hinkt, das ist schon sensationelle. Wie er den Tönen mal einen falschen, quäkenden Klang gibt, dann wieder die Phrasen frei schwingen lässt, wie sich dahinter ein Gefühlsabgrund offenbart, das ist psychologisch erhellend und ganz großes Theater.

Vor allem aber ist das ein Abend Kirill Petrenkos. Der Dirigent, der ab 2019 auch die Berliner Philharmoniker leiten wird, gehört nicht zu den Mystikern unter den Wagner-Dirigenten, die den "Parsifal" im Schleichtempo in Schönheit zugrunde gehen lassen. Ganz im Gegenteil. Petrenko liebt schnelle Zeitmaße, den Wagner-Rausch. Das Bayerische Staatsorchester trumpft bei ihm kraftvoll auf, aber er hat gleichermaßen Sinn für die leisen, intimen Momente. Vor allem aber lässt er die eigentlich so getragen-statische Musik immer wieder tänzeln. Und Petrenko weiß mit Sängern umzugehen. Er gibt ihnen Raum sich zu entfalten, sie müssen sich nicht mit vokaler Gewalt, gegen das Orchester stemmen, sondern er gestaltet den Klang, fordert Differenzierungen bis hin zum Pianissimo.

Das ist große Kunst und wiegt letztlich schwerer als alle Bühnenunbeholfenheit der Regie.

Am Samstag, 8. Juli, ab 17 Uhr, wird "Parsifal" auf "www. staatsoper. tv" kostenlos und in voller Länge übertragen. Ab 9. Juli, 12 Uhr, ist die Vorstellung für 24 Stunden als On-demand-Service abrufbar. Weitere Vorstellungen: 1., 5., 8., 31. Juli.

Jesko Schulze-Reimpell