Nürnberg
Zwischen Trauer und Trauma

Das Stück "Gift. Eine Ehegeschichte" der holländischen Dramatikerin Lot Vekemans am Staatstheater Nürnberg

03.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:12 Uhr

Psychoduell: SIE (Adeline Schebesch) sucht seine Nähe, ER (Michael Hochstrasser) geht auf Distanz. - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) Erst verlieren sie ihren Sohn, dann verliert jeder sich selbst und am Ende verlieren sie einander für immer. Nur vordergründig meint der Titel "Gift. Eine Ehegeschichte" die verseuchte Erde des Friedhofs, die eine Umbettung ihres tödlich verunglückten Kindes nötig macht.

Viel mehr hebt das Stück der holländischen Autorin Lot Vekemans auf die vergiftete Atmosphäre ab, die nach dem Unfalltod des Sohnes zwischen den Eheleuten herrscht. Im Staatstheater Nürnberg wird dieses melancholische Kammerspiel zu einem glänzend gespielten Duell zweier Stars des Nürnberger Schauspiel-Ensembles: Adeline Schebesch und Michael Hochstrasser als SIE und ER, als Mutter und Vater, die nach diesem Schicksalsschlag nicht mehr zueinander finden.

Zehn Jahre des Schweigens liegen hinter ihnen, als sie sich zur Umbettung auf dem Friedhof zum ersten Mal wieder begegnen und in peinlicher Stille keine Worte finden. Düster das Ambiente, ein Haufen dunkler Erde, darüber ein Gerüst wie eine Brücke, die ins Nichts führt (Bühnenbild Birgit Leitzinger). Die schwebende Inszenierung der österreichischen Regisseurin Christina Gegenbauer schafft eine Beckett'sche Endzeitstimmung zwischen Trauer und Trauma - der Trauer der Mutter und der traumatischen Verdrängung des Vaters, der scheinbar "darüber hinweggekommen" ist. Aber jetzt, bei dieser merkwürdigen Begegnung, bricht bei beiden alles wieder auf: die Verbitterung der verlassenen Frau, die, alleingelassen, am Grab ihres Sohnes in all den Jahren Halt suchte, während ER, der Vater, zu neuen Ufern aufbrach, ins Ausland ging und in seiner neuen Beziehung bald wieder Vater werden wird.

Eine fast lehrbuchhafte Freud'sche Psycho-Studie liefern in dieser gleichsam experimentellen Situation die beiden Schauspieler, die die Kehrseiten ihrer Trauermedaille, ein aktives, dem Leben und der Zukunft zugewandtes Trauern dem passiven, in sich versenktem Trauern gegenüberstellen. Dazwischen blendet die Inszenierung immer wieder Szenen ein, die wie Standbilder gleichsam eingefroren sind und den unendlichen Schmerz in ein fahles Licht tauchen und damit aus dem Geschehen auf dem Friedhof herausheben. Eindringlich in ihrem ganz zurückgenommen, madonnenhaften Leiden Adeline Schebesch; nervös und ungeduldig in seinem unerschütterlichen Tatendrang Michael Hochstrasser, der gleichwohl glaubhaft macht, wie tief er in seiner Trauer seinen Schmerz in seiner Brust verschlossen hat.

Im Schlussbild kehrt die Regisseurin dieses ungleiche psychologische Kräftespiel aber überraschend um: SIE verlässt ihn, lässt ihn, der erstmals an sich selbst zweifelt, auf dem Erdhaufen sitzend zurück und geht in eine strahlend erleuchtete Zukunft. Heftiger Beifall für zwei wunderbare Schauspieler!

Weitere Vorstellungen: 10., 28. und 30. Mai, 5. Juli - Karten unter Telefon (01 80) 5 23 16 00.