Neue Wege, das Lesen zu entdecken

22.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:30 Uhr

Ingolstadt/München - Gefeiert wird später - die bekannteste der Veranstaltungen zum heutigen Welttag des Buches, die Aktion "Ich schenk dir eine Geschichte", ist auf den 20. September, den Weltkindertag, verschoben.

Doch gelesen wird weiter. Von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Deshalb ist den meisten Buchhändlern zwar nicht zum Jubeln zumute, doch Trauerstimmung herrsche auch nicht, sagt Friederike Eickelschulte vom Börsenverein des Bayerischen Buchhandels in München. "Es ist nicht ganz so dramatisch gekommen wie befürchtet. " Manche hätten schon von einer Götterdämmerung im Einzelhandel gesprochen, da ja das Tagesgeschäft von einem Tag auf den anderen weggebrochen war. Aber es habe eine große Solidarität der Kundschaft gegeben, die weiter Bücher bestellt hat.

Neue Potenziale "Die Buchhändler haben sich ebenfalls als flexibel und kreativ erwiesen mit Liefer- und Bestelldiensten und neue Formate im Digitalbereich entwickelt", zieht Eickelschulte eine erste Bilanz nach fünf Wochen Schließung des stationären Buchhandels - in Bayern wird dieser Zustand sogar erst am Montag beendet: "Es haben sich neue Potenziale aufgetan. Verrückt, dass erst diese Krise kommen musste, dass das Buchland Deutschland merkt, wie sehr Lesen und Bücher das Leben begleiten. " Lebenswichtig sind, umso mehr, wenn man so auf sich selbst zurückgeworfen ist, andere Ablenkungsmöglichkeiten wegfallen, "und weil man nicht immer nur fernsehen oder streamen kann". Bücher können nicht nur spannend sein, Freude bereiten, sie können auch trösten und helfen, besondere Zeiten zu durchleben oder Menschen besser zu verstehen, wie die Lyrikerin Nora Gomringer in ihrem neuen Band schreibt: "Wie anders als in den Gedichten erklärt sich mir, dass sie litt. . . "

Eickelschulte kann nicht von Themen- oder Genreschwerpunkten berichten. In manchen Regionen seien Beschäftigungsbücher zum Basteln, Rätseln, Malen und Hilfen fürs Homeschooling gefragter als sonst gewesen. "Nur die klassischen Reiseführer liegen jetzt wie Blei in den Lagern und Regalen. " Das bestätigt Buchhändlerin Martina Sonnenberg aus Ingolstadt. "Nur Harry Potter hat ein spürbares Comeback erlebt. " Sonst sei alles "querbeet" bestellt worden. Und das über die Stammkundschaft hinaus. Das Team der Buchhandlung Stiebert hat festgestellt, das auch Menschen per Mail oder Telefon bestellt haben, die das vorher noch nicht getan haben. "Wir haben Lieferscheine und Rechnungen geschrieben für Menschen, deren Namen uns zwar etwas gesagt haben, die unseren Laden besuchen, sich beraten lassen und dann an der Kasse zahlen. " Und es haben sich neue Kunden eingefunden, die "durch Mund-zu-Mund-Propaganda über den Gartenzaun hinweg auf die Buchhandlung aufmerksam geworden sind. " Nachdem Buchhändler Gerd Stiebert mit dem Fahrrad Buchpakete ausgeliefert hatte, kamen Bestellungen von Menschen aus derselben Straße in die Buchhandlung. Eine neue Kundin, die kurz vor Tour-Abfahrt im Laden anrief, habe nach Erhalt des Buches angerufen und sich sehr bedankt: "Sie sind ja schneller als Amazon! " Tatsächlich, so Friederike Eickelschulte, hätte den Buchhändlern auch in die Hände gespielt, dass der Online-Riese Bücher, Zeitschriften oder DVDs als nicht so lebenswichtig eingestuft habe wie Waren des täglichen Bedarfs, die bei den Lieferungen vorgezogen wurden. Und Sonnenberg ergänzt: "Unser Großhändler hat trotz der zusätzlicher Arbeiten wie Desinfektion der Bücherwannen und der Schutzmaßnahmen für Mitarbeiter genauso schnell wie im Vorweihnachtsgeschäft agiert. "

Ähnliche Erfahrungen hat die Buchhandlung Rupprecht in Eichstätt gemacht. Der Filialist hat davon profitiert, dass ein Online-Shop existiert. "Doch normalerweise wird online bestellt und in der Buchhandlung abgeholt", sagt Auszubildende Agnes Schönauer. Alternativ wurde mit dem Auto, dem Fahrrad "und in der Innenstadt auch schon mal zu Fuß ausgeliefert". Am Telefon wurde auch beraten und auf der Internetseite gibt es Lesetipps des Eichstätter Teams.

Trotzdem freuen sich alle Buchhändler auf die Öffnung, ab Montag. "Unser Konzept setzt auf die persönliche Beratung. Wir haben auch keine eigene Web-Seite", sagt Cornelia Duft vom kleinen Buchladen in Beilngries. Sie und ihre Mutter konnten aber eine Abhol-Paketstation vor ihrem Laden einrichten. "Deshalb war unser Lieferdienst nicht so exzessiv wie andernorts. " Zurzeit sind sie - wie andere auch - dabei, den Laden für die Öffnung vorzubereiten mit Abstandspunkten auf dem Boden, Desinfektion, Mundschutz. "Wir überlegen, wie wir das organisieren, dass pro 20 Quadratmeter Fläche nur eine Person im Laden sein darf - bei uns wohl nur drei Kunden. " Über den Berg und "dass alles so wieder läuft wie zuvor" sieht Cornelia Duft den Buchhandel nicht. Zum einen fehle sicher noch eine Weile die Schullektüre. "Gerade in der Zeit nach Ostern wird in den Schulen verstärkt gelesen. Und die Aktion ,Ich schenk dir eine Geschichte' wird zwar nachgeholt. Aber wie sollen kleine Läden die dazu gehörenden Besuche von Klassen bewerkstelligen? " Auch die Urlauber fehlen noch auf lange Sicht. "Das ist zwar regional unterschiedlich. In einer Ferienregion wie Beilngries aber macht das einiges aus. "

Persönliche BeratungGerade in der persönlichen Begegnung können die engagierten Buchhändlerinnen und Buchhändler auch auf Bücher jenseits des Mainstreams aufmerksam machen. "Da geht es einmal um Debüts und um Neuerscheinungen kleinerer Verlage, die es immer schwerer haben, auf sich aufmerksam zu machen. Gerade, weil die Leipziger Buchmesse und Lesefeste in der Region komplett abgesagt oder verschoben wurden", sagt Martina Sonnenberg. Auch Friederike Eickelschulte blickt besonders auf die kleineren Verlage - insgesamt sind 277 Verlage im bayerischen Landesverband organisiert. Eickelschulte, die Projektleiterin der Münchner Bücherschau junior ist, sorgt sich auch darum, dass Kinder, deren Eltern es schwerer fällt, zum Lesen zu motivieren, weniger Bildungschancen haben. Lesen ist die Grundkompetenz. "Wir mussten die Bücherschau im März früher schließen, überdies war die ganze Schau von Corona überschattet. Es kamen weniger Schulklassen als gewöhnlich. " Eickelschulte setzt darauf, dass die auf September, bzw. Schuljahresende verschobene Aktion zur Leseförderung "Ich schenk dir eine Geschichte", die traditionell um den Welttag des Buches stattfindet, diese Kinder erreicht. "Nicht alle haben ein Tablet daheim oder kennen die Digitalangebote der Stiftung Lesen und des Buchhandels, wo es von Lesungen über Bücher- und Beschäftigungstipps viel Attraktives gibt. "

BegegnungsorteAuch für die Bibliotheken stelle die Schließung eine große Herausforderung dar, sagt Ute Palmer-Horn, Leiterin der Landesfachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen in Bayern an der Bayerischen Staatsbibliothek: "Viele Bibliotheken weisen auf ihre digitalen Angebote hin und bieten diese für Nicht-Kunden an, indem sie eine zeitlich beschränkte Online-Anmeldung ermöglichen. Einzelne Bibliotheken konnten geplante Starts von Streaming-Angeboten wie Feegal, Naxos und Filmfriend vorziehen. " Die öffentlichen Bibliotheken bieten neben Büchern, Zeitungen und Zeitschriften auch Filme, Spiele und Musik-CDs. Die analoge Ausleihe sei aber weitgehend eingeschränkt. Höchstens Versendung per Post war möglich. "Einige Bibliotheken bieten Lieferdienste an, andere haben nach Rücksprache mit ihrem Träger Take-Away-Angebote und verlängern großzügig die Rückgabe von Medien. "

Und sie halten auf ihren Kanälen in den Sozialen Medien Kontakt, geben Lesetipps und laden zum Dialog ein unter den Hashtags #lesenbayern und #lesendaheim ein und verweisen auf die Seite www. lesen. bayern. de, einem Füllhorn rund ums Lesen. Aber auch die Teams der Bibliotheken warten darauf, wieder zu öffnen. Schließlich sind sie Orte des kulturellen Austausches mit Cafés, Leseecken und Veranstaltungen.

DK