Ingolstadt
"Musikalisch offen für alles"

Mit der Verleihung des Jazzförderpreises an den Posaunisten Carsten Fuss starten die Ingolstädter Jazztage

28.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:48 Uhr
  −Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Die Musik, so schrieb Wassily Kandinsky, habe keine praktischen Zwecke - außer Marsch und Tanz.

Aber im Gegensatz zur Malerei wenigstens eine Theorie, wenn auch eine vielleicht etwas einseitige Wissenschaft. Es war das Jahr 1923, als der Künstler sein bahnbrechendes Werk "Punkt und Linie zu Fläche" veröffentlichte, worin er die Grundlagen der Malerei analysierte: Die Linie als dynamischer Punkt, der aus sich heraustritt.

85 Jahre später demonstriert die Jazzrausch Bigband im Ingolstädter Kulturzentrum neun, dass die Musik zwar immer noch kaum einen praktischen Nutzen hat, aber ungemein mitreißend sein kann. Zumindest, wenn man knackige Bläsersätze und gefühlvolle Soli auf einen unerschütterlich vorantreibenden elektronischen Beat legt. So wie in "Punkt und Linie zur Fläche" von Leonhard Kuhn, ein Diplom-Mathematiker, der die meisten Stücke komponiert hat und am Laptop die elektronischen Souds live einspielt.

Der Anlass für den Auftritt der 15-köpfigen Formation vor zahlreichen Zuhörern war die Verleihung des mit 5000 Euro dotierten Ingolstädter Jazzförderpreises an Carsten Fuss, einer der Posaunisten der Bigband. Kulturreferent Gabriel Engert war natürlich besonders erfreut darüber, dass der 25-Jährige seinen ersten Klavierunterricht im Alter von sechs Jahren an der Simon-Mayr-Sing-und-Musikschule Ingolstadt erhielt. Mit neun Jahren entlockte er der Posaune die ersten Töne. Wie Engert in seiner Laudatio hervorhob, war der gebürtige Ingolstädter zwei Jahre Mitglied im Landes-Jugendjazzorchester sowie im Bundesjugendorchester, mit dem er unter der Leitung von Sir Simon Rattle schon auf Tourneen durch Südamerika und China ging.

Auch Bandleader Roman Sladek war voll des Lobes über den im Kollegenkreis nicht zuletzt wegen seines trockenen Humors geschätzten Musiker. "Understatement und großes Können" attestiert er dem "wandelnden musikalischen Lexikon", der die trendigsten norwegischen Metalbands genauso gut kenne wie die besten Veröffentlichungen der Opernszene. Carsten Fuss habe ein "hohes musikalisches Niveau", und zwar sowohl im Jazz als auch in der Klassik. Denn der studierte Bachelor of Music (Hauptfach Posaune an der Musikhochschule München bei Professor Wolfram Arndt) spielt nicht nur bei der Jazzrausch Bigband mit, sondern nach Stationen beim Münchener Rundfunkorchester oder dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt seit Ende 2016 im Philharmonischen Orchester des Landestheaters Coburg.

Jazz und Klassik sind für den jungen Berufsmusiker kein Widerspruch: "Das ergänzt sich", erklärt der im Ingolstädter Piusviertel geboren Fuss, der von Jazztage-Organisator Jan Rottau als Preisträger vorgeschlagen worden war. Musikalisch sei er offen für alles, Grenzen gebe es da keine. "So wie es jetzt läuft, gefällt es mir gut", sagt der frühere Abiturient am Katharinen-Gymnasium, der sich eher als musikalischer Teamplayer sieht. Doch er kann auch solistisch glänzen, wie er und andere Musiker beim Auftritt mit der Jazzrausch Bigband mehrmals eindrucksvoll beweisen.

Das 2014 gegründete Projekt, an dem Fuss von Beginn an mitspielt, verbindet Bigband-Elemente aus dem Jazz mit elektronischer Tanzmusik wie Techno und absolviert an die 100 Konzerte im Jahr. Es dürfte wohl die einzige Bigband sein, die regelmäßig in einem Technoclub wie dem "Harry Klein" in München auftritt. "Bigbands haben früher Tanzmusik gespielt", sagt Bandleader und Techno-Fan Roman Sladek: "Und wir gehen jetzt in die Nachtclubs, wo junge Leute sind. Authentisch muss es sein. " Über eine Stunde lang können sich die Zuhörer bei Stücken wie "Moebius Strip" oder "Dancing Wittgenstein" selber davon überzeugen, dass die Mischung aus Techno, Jazz und elektronischen Live-Sounds so richtig abgeht. Ein fulminanter Auftakt der Jazztage.

Bernhard Pehl