Ingolstadt
"Musik ist mehr als Unterhaltung"

Michael Patrick Kelly über seine Entwicklung, den Soundtrack des Lebens und die Bayern

14.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:01 Uhr
Auf der Suche nach der eigenen Identität: Singer-Songwriter Michael Patrick Kelly spielt 2019 die letzten 25 Konzerte seiner "iD"-Tour. −Foto: Arnold/dpa

Ingolstadt (DK) Michael Patrick Kelly verdankt seinem Nachnamen, dass er niemandem erklären muss, was er beruflich macht oder wie er seine Jugend verbracht hat.

Der 41-Jährige wuchs überall und nirgendwo auf, heute lebt der Singer-Songwriter mal in London, mal in Niederbayern, mal im Kloster. In seinem Album "iD" geht es um Identität und Entwicklung, nach mehr als zwei Jahren endet die "iD"-Tour im September 2019 in München.

Herr Kelly, 2017 startete die Tournee zu Ihrem Album "iD". Für 2019 sind 25 weitere Konzerte geplant. Warum dauert die Tour so lange?

Michael Patrick Kelly: Die Resonanz ist Wahnsinn. Ich bin sehr positiv überrascht, wie gut dieses Album angekommen ist. Die Leute wollen es live erleben, deswegen haben wir auch eine Live-DVD gemacht.

Dafür wurde das Konzert in der Grugahalle in Essen aufgenommen. Ein besonderer Ort?

Kelly: Dort habe ich als Zehnjähriger mit der Kelly-Family zum ersten Mal eine so große Halle gefüllt. Und "iD" steht ja nicht nur für "Identität", sondern auch für "in development", also "in Entwicklung". Als Solokünstler habe ich mich ja von einer Family-Band emanzipiert. Ich hatte mir selbst versprochen, mit 40 meine erste kleine Arena zu bespielen. Und das wollte ich dort machen, weil das für mich ein historischer Ort ist.

Wie würden Sie denn Ihre persönliche Identität beschreiben?

Kelly: Die Frage nach der Identität begleitet mich schon mein ganzes Leben. Ich bin in einem Vagabunden-Leben großgeworden, war immer unterwegs und habe keine kulturellen Wurzeln. Und außerdem bin ich Künstler - und die verbringen sehr viel Zeit mit Fantasien und Kreationen. Manchmal können Realität und Idealität verwechselt werden. Jeder Künstler hat irgendwo eine Schraube locker (lacht). Letzten Endes habe ich die Antwort auf die Frage "Wer bin ich? " im Glauben gefunden. Das war in den sechs Jahren, die ich als Mönch im Kloster verbracht habe.

Also ist "iD" ein spirituelles Album?

Kelly: Ich würde nicht sagen, dass ich religiöse Musik mache, auch wenn auf jedem Album zwei, drei Songs mit einer spirituellen Ader sind. Zum Beispiel "Last Words". Das ist ein Lied, das komplett aus Sätzen, die berühmte Menschen kurz vor ihrem Tod gesagt haben, besteht.

Was für einen Sound hat "iD" dann?

Kelly: Ich bin im Pop, Rock und Folk zu Hause. Ich befinde mich aber dauernd in einem Wachstumsprozess, habe sehr viele musikalische Interessen und schreibe ständig Songs. Die Teilnahme an "Sing meinen Song" hat meinen Horizont als Musiker erweitert. Ich saß mit dem Reggae-Musiker Gentleman zusammen oder habe mit dem Rapper Moses Pelham zusammengearbeitet. Das sind Begegnungen mit Künstlern und Genres, auch mit deutschsprachiger Musik von Mark Forster oder Silbermond, mit denen ich vorher keine Berührung hatte. Seitdem bin ich auf der Suche nach Begegnungen mit dem Unbekannten.

Sie waren nicht nur bei "Sing meinen Song" im Fernsehen zu sehen, Sie sind auch bei "The Voice of Germany" in der Jury. Was muss ein Nachwuchssänger haben, um in Ihr Team zu kommen?

Kelly: Das Wichtigste ist für mich eine Stimme, die einen berührt. An zweiter Stelle kommt, ob jemand eine Unverkennbarkeit in der Stimme hat, und an dritter Stelle die Technik. Du kannst zwar ein großes Herz haben, aber wenn du immer schief singst, kann das keiner toll finden. Aber das Wichtigste ist das Gefühl. Bei Musik geht es um Emotionen, und da muss es von Herz zu Herz gehen.

Lassen Sie bei Ihren eigenen Auftritten alle Emotionen raus?

Kelly: Wenn ich bei Konzerten auftrete, dann passiert etwas mit mir. Manche nennen mich eine Rampensau (lacht). Aber da ist was dran. Wenn ich auf der Bühne bin, dann ziehe ich alle irgendwie in den Bann.

Was ist denn schöner? Bühnenauftritte oder Songs schreiben?

Kelly: Beides, Songs schreiben und sie dann live teilen. Wenn man etwas, das es vorher nie gab, sozusagen erfinden darf, das ist etwas ganz Besonderes. Ich bin ein Singer-Songwriter und schreibe meine eigenen Songs. Ich bin kein Interpret, wie viele andere Künstler, der die Songs von anderen singt.

Und dann präsentiert man die eigenen Lieder vor 5000 Menschen.

Kelly: Diese Songs, die man in seinem Kämmerlein oder seinem Studio geschrieben hat, finden dann Relevanz. Weil die Leute sie sich zu eigen gemacht haben, zu einem Teil ihres Lebens. Ich bekomme manchmal Feedback von Leuten, die haben zu meinen Songs geheiratet oder die Oma beerdigt. Ich habe einmal sogar mitbekommen, dass ein Priester an Heilig Abend in der Predigt Texte von meinen Liedern zitiert hat. Da dachte ich: krass. Das ist für mich sehr erfüllend und fast wichtiger als eine goldene Schallplatte.

Weil man dann merkt, dass sich der Aufwand gelohnt hat?

Kelly: Eher weil mir das zeigt, dass die Musik mehr als Unterhaltung ist. Sie wird dann wirklich zum Soundtrack des Lebens für viele Menschen.

Mehr als Unterhaltung ist auch ihr Friedensglocken-Engagement "Peacebell". Was wollen Sie damit erreichen?

Kelly: Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden mehr als 150000 Kirchenglocken beschlagnahmt, um das Metall einzuschmelzen und Waffen daraus herzustellen. Ich habe diesen Prozess umgekehrt, habe Kriegsschrott gesammelt und ihn in der 300 Jahre alten Glockengießerei in der Stadt Gescher eingeschmolzen. Daraus wurde eine Friedensglocke geschmiedet. Und diese Peacebell geht mit auf Tour und läutet bei jedem Konzert eine Schweigeminute ein. Der friedliche Ton wird mit einem G3-Gewehr als Klöppel angeschlagen. Wir sind aktuell dabei, kleine Peacebells herzustellen, die sich jeder kaufen kann. Mit dem Geld werden wir friedensstiftende Projekte unterstützen.

Das passt ja gut zum religiösen Aspekt Ihrer persönlichen Identität.

Kelly: Die drei großen Fragen "Wer bin ich? ", "Wer bist du? " und "Wer sind wir? " sind die Leitfäden der Songs auf dem "iD"-Album. Ich freue mich ganz besonders auf das Abschlusskonzert der Tour am Königsplatz in München. Das ist für mich ein krönender Abschluss dieser Tour, die über zwei Jahre gedauert hat. Das wird etwas ganz Besonderes, deshalb haben wir uns ein paar Sachen einfallen lassen, und es werden auch zwei oder drei Gäste dabei sein. Wer das ist, bleibt aber eine Überraschung. Ich erhoffe mir, das eine oder andere Identitätsmerkmal der Bayern zu sehen. Weil, darum geht es ja: um Identität.

Was wissen Sie denn vom bayerischen Lebensgefühl?

Kelly: Die Menschen sind sehr ehrlich. Wenn man hier ein Wort bekommt, dann ist es ein echtes Wort und nicht blabla. Es gibt aber auch die traditionelle und feierliche Seite der Bayern, die mir gefällt. Man steht hier zu seinen Wurzeln und Werten und zelebriert das auch. Aber keine Angst, ich werde nicht in einer Lederhose auf die Bühne gehen. Auch wenn es lustig wäre (lacht).

Das Interview führte

Christian Missy.