Berlin
Album zur Lage der Nation: Grönemeyer mit „Tumult“

09.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:17 Uhr
Im Hier und Jetzt: Herbert Grönemeyer. −Foto: Antoine Melis

Grönemeyer liefert mit „Tumult“ das passende Werk zur aktuellen Zeit. Der Rechtsruck, das Hassgeschwätz im Netz, das Schüren von Ängsten, all das beschäftigt den 62-Jährigen. Das Album hält zudem die ein oder andere Überraschung parat.

Herbert Grönemeyer, so hat er mal erzählt, geht eher ohne Konzept an ein neues Album. Er klimpere vor sich hin, und wenn er fünf oder sechs sinnvolle Stücke beisammen habe, merke er: „Jetzt hast Du wieder Hunger, jetzt könntest Du wieder eine Platte machen.“

Der Hunger war wieder da, jetzt ist Grönemeyers neues Album „Tumult“ erschienen. Der Name ist Programm. Inspiriert habe ihn „mein Leben, meine Gedanken, Deutschland natürlich und die Zeit, in der wir uns befinden, diese sehr nervöse, unruhige Zeit.“

Ein Album zur Lage der Nation also. Das Erstarken von Rechts, das Hassgeschwätz im Netz, das Schüren von Ängsten, all das beschäftigt Grönemeyer. „Bist Du da, wenn zuviel Gestern droht, wenn wir verrohen, weil alte Geister kreisen“ fragt er in dem Widerstandslied „Bist Du da“. Und: „Kein Meter nach Rechts, Verständnis ist nie schlecht“, heißt es in „Fall der Fälle“.

Natürlich mache man sich Sorgen, wo das alles hinführe, sagt Grönemeyer im Interview der Deutschen-Presse-Agentur. Doch der 62-Jährige ist Optimist - und zuversichtlich: „Gleichzeitig glaube ich, sind wir auch stabil und erwachsen genug, uns dem zu stellen.“

Aufgewachsen in Bochum, als Kind des Ruhrgebiets, ist die Vielfalt für Grönemeyer schon immer normal gewesen. „Da waren wir stolz drauf!“. Er sei mit Kindern aus Griechenland, der Türkei oder Polen in die Schule gegangen oder habe Fußball gespielt, während die Väter die Kohle aus der Wand geholt, den Stahl gepresst und das Wirtschaftswunder vorangetrieben hätten.

Das vielleicht überraschendste Stück auf der Platte ist „Doppelherz / Iki Gönlüm“, in dem Grönemeyer einige Passagen auf Türkisch singt. Darauf sei er auch bei einer Lesung für den damals noch inhaftierten Journalisten Deniz Yücel gekommen. „Da habe ich auch Türkisch gelesen. Und dann haben alle gesagt: Oh, das kannst Du ja recht ordentlich!“

Der Song dreht sich um die Sehnsüchte der Menschen, ob nach dem nächsten Urlaubsziel oder der zweiten Heimat. Diese Sehnsüchte im Kopf und diese Sehnsüchte nach anderen Plätzen, das eine uns, so Grönemeyer. Unterstützung bekommt er bei „Doppelherz / Iki Gönlüm“ von BRKN, einem jungen Rapper aus Berlin-Kreuzberg - eine Kooperation, die gut aufgeht.

Auch wenn „Tumult“ ein politisches Album ist, hat es auch etwas Leichtes und Unbeschwertes - und kann durchaus als Mutmacher gesehen werden. Dafür, Haltung einzunehmen und Stellung zu beziehen. „Haltung ist nicht irgendwas Strenges oder Anstrengendes, sondern kann auch leichtfüßig, kraftvoll und lebendig daherkommen“, sagt er.

Grönemeyer gilt seit Jahrzehnten als Stimme der Nation. Kaum ein Sänger berührt die Deutschen so sehr wie er. Dabei wollte er ursprünglich gar nicht Musiker werden - „eher Fußballer oder Gebrauchtwagenhändler“.

Doch bekanntermaßen kam es anders: Neben Stationen im Theater und einer Rolle im Kinoepos „Das Boot“ versuchte er sich zunächst erfolglos als Sänger. Dann kam „4630 Bochum“, die Platte wird 1984 das erfolgreichste Album des Jahres. Einen Schicksalsschlag erlebt er 1998, als innerhalb weniger Tage erst der Bruder und dann seine Frau an Krebs sterben. Grönemeyer zieht sich zurück, verarbeitet seine Trauer auf dem Erfolgswerk „Mensch“. Weitgehend unbehelligt wohnt er in den Folgejahren mit seinen beiden Kindern in London. Jetzt hat er längst wieder einen Wohnsitz in Berlin. Seit einigen Jahren ist er glücklich verliebt und inzwischen auch wieder verheiratet.

Auch auf „Tumult“ beschäftigen sich mehrere Songs mit dem Glück und der Liebe. So ist „Mein Lebensstrahlen“ in seiner ergreifenden Schlichtheit eines der schönsten Liebeslieder, das Grönemeyer je geschrieben hat. Und „Sekundenglück“ dreht sich um die unerwarteten und überraschenden Momente des Glücks, von denen man bisweilen überrumpelt wird.

So vielfältig das Album thematisch daherkommt, so vielfältig ist auch der Sound. Die insgesamt 16 Songs (plus zwei Bonustracks) bedienen sich unterschiedlichster Stile. Eine Bandbreite, die zumeist überzeugt.

Die Chancen stehen sicher nicht schlecht, dass Grönemeyer mit „Tumult“ an seine ungeheure Erfolgsserie anknüpfen kann. Seit mehr als drei Jahrzehnten landeten alle seine deutschsprachigen Studioalben auf Platz eins der Charts. Steigt angesichts eines solchen Erfolgs der Druck vor der neuen Platte - oder wird man gelassener? „Nö. Ich spiel schon auf Sieg. Alles andere ist Quatsch“, sagt Grönemeyer und lacht. „Wenn ich aufs Spielfeld gehe, will ich auch ein Tor machen. Jetzt habe ich wieder den Ball zum Freistoß hingelegt und dann hoffe ich, dass der oben in den Winkel geht.“

Website Grönemeyer