London
Poetischer Konzertfilm: Bruce Springsteens „Western Stars“

24.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:46 Uhr
Bruce Springsteen in einer Szene seines Films „Western Stars“. −Foto: Rob Demartin/Sony/Columbia/dpa

Im Sommer begeisterte Bruce Springsteen Kritiker und Fans mit seinem Soloalbum „Western Stars“. Eine Tournee dazu wird es nicht geben. Dafür bringt der 70-Jährige die neuen Songs nun in einem wunderbaren Konzertfilm ins Kino.

Ein bisschen müde wirkt Bruce Springsteen, vermutlich vom Jetlag, als er an einem Samstagmorgen im Privatkino eines luxuriösen Londoner Hotels die Bühne betritt.

„Herzlich willkommen, Freunde des frühmorgendlichen Films“, ruft der „Boss“ unter dem Jubel des Publikums, das aus Journalisten, Mitarbeitern seiner Plattenfirma und ein paar britischen Promis besteht.

Der 70-Jährige ist in die britische Hauptstadt gekommen, um seinen Film „Western Stars“ vorzustellen. An diesem Montag (28. Oktober) ist er in deutschen Kinos zu sehen.

„Wenn ich Songs schreibe, dann gehe ich das an wie einen Film“, erzählt Springsteen nach der Vorführung in London. So habe er das bei seinen Alben „Nebraska“, „The Ghost Of Tom Joad“ oder „Devils & Dust“ gemacht. „Das sind meine Kurzgeschichten-Platten, und die sind im Prinzip meine kleinen Filme, für die ich vorher ein Drehbuch schreibe. Deshalb erzeugen meine Songs eine visuelle Landschaft.“

Springsteens Album „Western Stars“, insgesamt sein 19. und ohne die legendäre E Street Band, erschien im Juni. Es ist eine wunderschöne, melancholische Platte mit einer gewissen Cowboy-Romantik, aber ohne Kitsch. Das Werk wurde vom Songwriter-Pop der 60er und 70er Jahre inspiriert - von Glen Campbell, Jimmy Webb oder Burt Bacharach, wie Springsteen selbst erklärte. Und es klingt mit seinen feinen Orchester-Arrangements schon filmisch, fast wie ein Soundtrack.

„Es ist ein ungewöhnliches musikalisches Werk. Mir war deshalb klar, dass ich nicht damit auf Tournee gehen und ein Orchester mitbringen würde“, erklärt Springsteen. „Da habe ich mir gedacht, wir könnten es vielleicht einmal live spielen und filmen, damit die Leute die Chance haben zu erleben, wie es live klingt.“ Gesagt, getan. In einer restaurierten, 140 Jahre alten Scheune auf seinem Grundstück in New Jersey spielte Springsteen das komplette Album vor kleinem Publikum.

Dieser fast private Auftritt, dessen intime Wärme auch auf der großen Leinwand spürbar ist, steht im krassen Gegensatz zu seinen riesigen, energiegeladenen Stadionkonzerten mit der E Street Band. Und das, obwohl Springsteen den einmaligen Gig mit ihm unbekannten Musikern spielte. „Die Band war startklar, als ich reinkam“, sagt er nüchtern. „Ich habe sie vorher nie gesehen und auch seitdem nicht mehr.“

Die einzige Ausnahme: Sängerin und Gitarristin Patti Scialfa, mit der Springsteen seit rund 30 Jahren verheiratet ist. „Ich hätte Patti schon auf dem Album haben sollen, das war ein großer Fehler“, sagt er. „Patti bringt so viel ein, und wir sind schon so lange zusammen. Da kommt eine Menge Erfahrung an dem kleinen Mikrophon zusammen.“

Zwischen den Konzertaufnahmen zeigt Regisseur Thom Zimny herrliche Bilder, die an die aufwendigen Marlboro-Werbespots der 80er und 90er Jahre erinnern. Anstelle des Cowboys, der auf seinem Pferd durch die Natur reitet, fährt Springsteen mit dem Truck über sandige Straßen auf dem Land. „Im Zweifel steige ich einfach ein und fahre Auto“, scherzt er. „Was machen wir mit diesem Lied? Ah, Autofahren.“

Im Film gibt sich der „Boss“ nachdenklich, philosophiert aus dem Off. „Autos waren für mich immer eine starke Metapher“, sagt er. „Vor 40 Jahren standen sie für Freiheit - heute nicht mehr so sehr, allenfalls noch als Metapher für Bewegung. Aber bewegen wir uns vorwärts? Die meiste Zeit bewegen wir uns nur.“ Er reflektiert poetisch über Leben, Liebe, Musik und Heimat - große Gefühle.

„Eines Abends saß ich vor dem Fernseher und habe einfach angefangen, zu jedem Song meine Gedanken aufzuschreiben. Es war alles da“, erzählt der 70-Jährige. Seinem langjährigen Kollaborateur Zimny überließ er künstlerisch freie Hand, sogar mit alten, privaten Filmaufnahmen.

„Thom hat all das wunderbare Archivmaterial rausgekramt“, schwärmt Springsteen - darunter sehr persönliche Aufnahmen mit Ehefrau Patti. „Das sind meine Flitterwochen! In einer Berghütte! Das war 1988. Ich hatte das noch nie gesehen.“ Einige der Zuschauer in London haben bei der Szene feuchte Augen. Sogar der Moderatorin, die Springsteen und Zimny auf der Bühne darauf anspricht, kommen plötzlich die Tränen.

Der „Boss“ hat eben nichts von seiner Magie verloren. Mehr als 46 Jahre nach seinem Debütalbum „Greetings from Asbury Park, N.J.“ begeistert Bruce Springsteen weiter als Musiker und fasziniert als Künstler. „Western Stars“ ist Konzertmitschnitt, musikalisches Roadmovie - und irgendwie auch der Film zum Soundtrack.

Im Anschluss an die 13 Albumtracks, deren Live-Versionen als „Western Stars - Songs From The Film“ parallel auf CD erscheinen, spielt Springsteen übrigens eine charmante Zugabe. Er covert den Country-Hit „Rhinestone Cowboy“, den Glen Campbell 1975 berühmt machte - „ein kleiner Gruß an meine Inspiration für die Platte und den Film“. Der Text passt irgendwie perfekt zum alternden Springsteen: „On the road to my horizon, but I'm gonna be where the lights are shinin' on me.“

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