München
Die entzauberte "Zauberflöte"

Enoch zu Guttenberg präsentiert die eigenwillige Kino-Fassung der Mozart-Oper beim Münchner Filmfest

03.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:36 Uhr

Was macht der Kini in Mozarts "Zauberflöte"? Er spielt den Sarastro (Tareq Nazmi). - Foto: Filmstill

München (jsr) Die besten Ideen hat man bekanntlich auf der Toilette. So ging es jedenfalls Enoch Freiherr von und zu Guttenberg, als er einmal bei einem Familienessen geradezu überstürzt das stille Örtchen aufsuchen musste.

 "Ich wohne ja in Burg Guttenberg", erzählt er, "einem sehr großen Haus, in dem ich auch nicht alle Räume wirklich kenne. Ich ging also auf ein Klo, das ich bisher noch nicht besucht hatte." Und da war es: ein eingerahmter Programmzettel, etwa aus dem Jahr 1830, "wo fränkische Aristokraten sich an Schiller vergriffen haben". Und plötzlich war sie da, die Grundidee für seine Inszenierung von Mozarts Oper "Die Zauberflöte". Guttenberg wollte die einzelnen Rollen von Adeligen aus dem Hofstaat Ludwigs II. spielen lassen. Die Produktion, die ab 2010 bei den Festspielen in Herrenchiemsee und auch im Münchner Prinzregententheater mit riesigem Erfolg lief, kommt nun aufwendig verfilmt in die Kinos.

Für die Inszenierung war nur noch ein wenig Recherche notwendig. Tatsächlich, so ergaben ein paar Telefonate in Adelskreisen, wurde auch am Hofe Ludwig II. heftig gemimt. Gerade der bayerische König selbst war ein Theaterfan, der nicht nur "seinen Schiller rauf und runterzitieren konnte", sondern auch ein Opernfan, der durchaus in den Sommermonaten im noch unfertigen Park des Schlosses Herrenchiemsee Musiktheater produzieren ließ. Und zwar nach dem damals neusten Stand der Technik: mit kunstvoll arrangierten elektrischen Beleuchtungseffekten. Dass der Kini den Hohepriester Sarastro verkörperte, ist zwar nicht überliefert. Aber immerhin denkbar.

Es bedurfte also dieser zündenden Idee für Enoch zu Guttenberg, um sich auf den schwierigen Stoff zu stürzen. Denn eigentlich hatte der Dirigent und Regisseur schon seit Jahrzehnten die Absicht, die musicalartige Geschichte einmal auf die Bühne zu hieven. Allerdings gab es erheblich Geburtsschmerzen beim künstlerischen Prozess. Denn Guttenberg liebte Mozarts Musik, haderte jedoch mit dem Stoff. "Schon als Kind ist mir der Sarastro auf die Nerven gegangen", erzählt er. Dann rattert er herunter, was ihn stört: die Frauenfeindlichkeit des Geheimbündlers, die merkwürdigen Männerbünde, der heuchlerische Humanismus, bei dem es offenbar wenig anstößig ist, wenn Monostatos eben mal zu 77 Sohlenstreichen verurteilt wird, obwohl er doch nur das tut, was ihm von Sarastro aufgetragen wurde. "Das ist mir gehörig auf den Keks gegangen", sagt Guttenberg.

Aber wie kann man Mozart inszenieren, wenn man seiner Oper einfach nicht glaubt? Wenn man viel lieber die "Zauberflöte entzaubern" möchte? Nun, man produziert einfach ein neues Stück, in das Mozarts Geschichte und seine wunderbare Musik integriert sind: "Des Königs Zauberflöte".

In Enoch zu Guttenbergs Inszenierung sind die Anführungsstrichelchen, in die Mozarts Original eingebettet ist, so groß, dass man Angst um das ganze Unternehmen hat. Aber es funktioniert erstaunlich gut. Und das liegt vor allem an den zusätzlich von Klaus Jörg Schönmetzler eingefügten Texten, die der meisterhaft grummelnde Gerd Anthoff zu sprechen hat. Denn erzählt wird Mozarts "Zauberflöte" retrospektiv: Der inzwischen ergraute Papageno, alias Gerd Anthoff, berichtet, wie es wirklich war, damals, als Sarastro die Prinzessin Tamina raubte und er, der Vogelfänger, Papagena eroberte. Und im Rückblick wirkt natürlich alles ein wenig anders. Das heilige Getue der Priester ist für Papageno hohles Esoterikgeschwätz. Die Feuer- und Wasserprobe ist ihm ein Gräuel. Und mit dem großen ideologischen Ost-West-Konflikt zwischen der Königin der Nacht und den Sonnenanbetern um Sarastro will er überhaupt nichts zu tun haben.

Der Erfolg der Produktion beruht zum wesentlichen Teil auf den brillanten, anspielungsreichen neuen Texten und auf dem komödiantischen Talent Anthoffs. Und zusätzlich natürlich auf dem Witz der Situationen. Ein Monostatos als dick mit Ruß angemalter Fürst Bismarck ist an sich schon zum Lachen. Der schneidige Kaiser Franz Joseph als Tamino wirkt ebenso erheiternd wie die Kaiserin Sisi als Tamina.

Das alles ist keineswegs überintellektualisiert, sondern vielmehr geistreich und erfrischend frech auf die Bühne gebracht und findet eine schöne Entsprechung in der musikalischen Darstellung. Denn Enoch zu Guttenberg hatte erstaunlich gute Sänger zur Verfügung: etwa Jörg Dürmüller als kraftvoll schmetternden Tamino oder die auch optisch eine sehr gute Figur machende Susanne Bernhard als Tamina/Sisi, sowie den sonoren Bass Tareq Nazmi als Sarastro und die glanzvoll virtuose Antje Bitterlich als Königin der Nacht.

Als Dirigent geht Enoch zu Guttenberg einen überzeugenden Kompromiss ein zwischen den jüngeren, radikaleren Originalklang-Apologeten und einer eher altmodisch romantisierenden Auffassung. Sein Orchester KlangVerwaltung, das demnächst auch beim Open-Air der Audi-Sommerkonzerte auftreten wird, spielt packend, durchsichtig manchmal vielleicht ein wenig zu drastisch, sodass die Sänger überdeckt werden.

Das alles ist hervorragend hörbar im Kino durch den 3D-Sound Dolby Atmos. Ja, man kann sagen: Eine so gute Tonwiedergabe einer Oper hat es möglicherweise noch nie im Kino gegeben. Und das trifft auch auf die Bildqualität zu. Denn die Oper wurde in "Higher Frame Rate" aufgenommen, mit 50 statt der sonst üblichen 24 Bildern pro Sekunde, was zu extrem ruhigen Bildbewegungen führt. So macht Oper im Kino fast noch mehr Spaß als im Theater.

 

"Des Königs Zauberflöte", Deutschland, Regie und Dirigent: Enoch zu Guttenberg, mit Gerd Anthoff; 183 Minuten; der Film ist seit gestern in den deutschen Kinos zu sehen, u.a. in mehreren Münchner Häusern.