Schrobenhausen
Magisches Klangfest

Das Vokalensemble AUXantiqua und das Orchester La Banda bei den Barocktagen Schrobenhausen

16.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:36 Uhr
Überwältigende Klangvirtuosität: Unter dem dem Dirigat von Stefan Steinemann erklang Claudio Monteverdis Marienvesper. −Foto: M. Schalk

Schrobenhausen (DK) Gewidmet hat er das bahnbrechende, richtungsweisende geistliche Werk Papst Paul V.

- denn mit seinem 1610 veröffentlichten "Vespro della Beata Vergine" wollte Claudio Monteverdi offenbar eine Anstellung im Vatikan erwirken. Diese Hoffnung erfüllte sich zwar nicht -erst später sollte er als Kapellmeister an den Markusdom von Venedig berufen werden. Dennoch gilt die Marienvesper heute als Monteverdis bedeutendstes sakrales Musikwerk. Und das mit gutem Grund. Monumentaler, stilübergreifender und grenzüberschreitender hatte in dieser Form zuvor wohl noch niemand komponiert.

Mit welch vollendeter, faszinierender, lebendiger Hingabe man aus dem heutigen Verständnis der damaligen Zeit heraus das Opus musizieren kann, zeigten bei den Tagen der Barockmusik in Schrobenhausen die neu gegründete Gesangsformation AUXantiqua sowie das renommierte Originalklang-Orchester La Banda unter der Leitung des erst 26-jährigen Stefan Steinemann. Der designierte Augsburger Domkapellmeister verstand es meisterhaft, selbst d feinsten Nuancen aus seinen beiden Klangkörpern herauszuholen.

Insgesamt elf Sänger und Sängerinnen aus neun Nationen, die an der Schweizer "Schola Cantorum Basiliensis" zusammengefunden hatten, nahmen das Publikum in der Stadtpfarrkirche St. Jakob mit in Monteverdis mystische Welt aus sinnlicher, kontemplativer, schwebender und kunstvoll verflochtener Tonsprache, aus subtiler Textdeutung und nahezu szenischer Präsenz der Musik. Organisch fließend stellten die durchweg makellosen Stimmen insbesondere bei den Psalmen ihre sowohl insgesamt überwältigende als auch jeweils individuelle Kunst der Vokalpolyphonie unter Beweis, aber auch ihre gemeinsame Perfektion hinsichtlich der feinfühlig austarierten chorischen Artikulations- und Klangbalance.

Durch unterschiedliche Stimmkonstellationen und klug durchdachte Positionswechsel des Vokalensembles entstand eine vielschichtige, aufblühende und abschwellende, zart bis leidenschaftlich leuchtende Intimität und Intensität der Stücke, eine magische Klangsynthese, die nicht nur an jedem Phrasenende die Resonanz des Raums optimal auslotete. Ebenso sensibel wie höchst virtuos akzentuierend legte die Gesangsformation auf visionäre Weise die schillernde Komplexität der kantablen Strukturen frei, sei es solistisch, wie etwa in der anrührenden Tenor-Motette "Nigra sum" (gesungen vom Mittelgang aus nur mit Chitarrone-Begleitung), sei es im wundervollen Duett zweier Soprane "Pulchra es" oder im ergreifenden Terzett mit drei Tenören "Duo Seraphim". Ganz besondere mehrdimensionale Raum-Klang-Erlebnisse schufen beispielsweise die faszinierenden Momente des koloraturreichen "Audi coelum", als sich zu raffinierten Echo-Effekten gleichzeitig noch geniale wortspielerische Textumdeutungen gesellten. Eine atemberaubende Symbiose aus Gregorianik, Motette, Tanzmusik, Oper und Madrigal, aus Cantus firmus, rhythmischen Proportionen, Monodie, Taktwechseln und kühner Harmonik.

Einen wesentlichen, ja imposanten Anteil daran hatte das 20-köpfige Orchester La Banda. Auf seinen historischen Instrumenten präsentierte es sich - darunter auch der künstlerische Festivalleiter und Gambist Jakob David Rattinger - ganz in seinem Element. Furiose Frische vereinten die großartig agierenden Musiker mit geerdeter Transparenz, erzeugten von filigraner Anmut bis hin zu fulminanter Wucht ungemein plastische, affektvolle Wirkungen. Die wurden verstärkt durch das außergewöhnliche Instrumentarium: Vor allem bei den zurückgenommenen Passagen kamen die feinsinnigen Akkorde des Lirone (ein Streichinstrument mit sehr vielen Saiten) zum Tragen, im Psalm "Laetatus sum" entfaltete der Dulzian (ein Vorläufer des heutigen Fagotts) seine näselnde Färbung, und die Zinken (eine Art Holztrompete mit Grifflöchern) waren besonders exponiert in der "Sonata" zu hören. Hier wurde noch einmal die Bandbreite der instrumentalen Klangpracht offenbar, die technische Brillanz wie auch das interpretatorische Gespür des hervorragenden Ensembles. Dazu kreierten vier der Sängerinnen mit Marienanrufungen hinter dem Auditorium am Eingangsportal einzigartige ätherische Sphären. Das architektonisch wie akustisch stimmige Ambiente der Jakobskirche tat sein Übriges, um diese schier überirdische Ausdruckskraft zu unterstreichen.

Weiter erstrahlte die glanzvolle Unmittelbarkeit, die zeitlose Schönheit von Monteverdis umfassend-großformatigem Werk mit dem Hymnus "Ave maris stella" und dem abschließenden "Magnificat".

Ausnahmedirigent Stefan Steinemann ließ sie in großen, präzisen Gesten mit der Musik atmen, gewährte ihnen gestalterischen Freiraum, ohne die Zügel aus der Hand zu geben. Kaum zu fassen, welche ausgeprägte Differenziertheit, welche tiefe künstlerische Reife er in jungen Jahren bereits dabei an den Tag legt. Nach dem Schlussakkord verharrte er wie reglos in seiner letzten Bewegung, so als wollte er die Töne festhalten, die gerade erklungen waren. Andächtige Stille, bevor sich die Zuhörer unter tosendem Applaus erhoben. Eindeutiges Fazit: Völlig ungeachtet der bis heute nicht geklärten Frage, ob es sich bei der Marienvesper um ein zusammenhängendes Gesamtkunstwerk oder um eine lose Sammlung liturgischer Stücke handelt - an diesem Abend hätte man kein einziges missen wollen.

Heike Haberl