London
"Ich lebe im Hier und Jetzt"

Der britische Schauspieler Gary Oldman über seine Churchill-Rolle, seine Nikotinvergiftung und worauf er besonders stolz ist

17.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:56 Uhr

London (DK) Was haben Sid Vicious, Dracula, Ludwig van Beethoven, George Smiley und Winston Churchill gemeinsam? Gary Oldman! Der britische Schauspieler hat sie im Laufe seiner über 30-jährigen Karriere alle dargestellt. Oldman gehört nicht nur zu den wandlungsfähigsten Schauspielern seiner Generation, sondern auch zu den besten. Kein Wunder also, dass ihn der Regisseur Joe Wright für sein Zweiter-Weltkriegs-Drama "Die dunkelste Stunde" (ab heute in den Kinos) unbedingt als Winston Churchill haben wollte. Es war die perfekte Wahl. Oldman wurde für sein Churchill-Porträt als bester Hauptdarsteller mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Wir trafen Gary Oldman in London zum Interview. Und zwar im vornehmen Claridge's - Churchills Lieblingshotel. In der Lobby hängt ein großes Schwarz-Weiß-Foto von Churchill. Es zeigt ihn im Cut, mit Zylinder und natürlich mit Zigarre. Als Gary Oldman daran vorbeihuscht und im Aufzug verschwindet, würde man nie im Leben auf die Idee kommen, diesen schlanken, agilen Mann mit dem vollen Haupthaar in der Rolle des eher übergewichtigen und fast glatzköpfigen Churchill zu besetzen.

Herr Oldman, was haben Sie gedacht, als man Ihnen die Rolle angeboten hat?

Gary Oldman: Ich habe zuerst mal laut gelacht. Nicht, dass ich mir nicht zugetraut hätte, Winston Churchill zu spielen - aber der physische Unterschied zwischen uns beiden ist dann doch gewaltig. Erst als ich gesehen habe, wie man mich in monatelangen Tests mit den richtigen Prothesen, Fettpolstern, Perücken, der passenden Kleidung und dem kunstvoll aufgetragenen Make-up dann tatsächlich zu Churchill machte, war ich überzeugt, dass ich es doch versuchen sollte.

 

"Churchill ist meine bisher größte Herausforderung gewesen", sagten Sie vor Kurzem ...

Oldman: ... was ich damit meinte, war vor allem die Frage: Würde ich das Durchhaltevermögen haben, den ganzen Film zu tragen? Ich bin ja fast in jeder Szene. Das ist eine wahnsinnige Verantwortung für mich als Schauspieler. Und eine gigantische physische Belastung. Die Churchill-Rolle ist ja ganz klar der Motor, die Lokomotive, die den Film zieht. Deshalb musste ich mir schon ernsthaft überlegen, ob ich wirklich die Kraft dazu haben würde, das durchzustehen. Wie sich herausstellte, war das - Gott sein Dank - der Fall. Aber es war sehr hart. Schon vier Stunden vor Drehbeginn musste ich in die Maske kommen. Die Prothesen und Fettpolster wurden mir angelegt, mir wurden die Haare gemacht, ich wurde geschminkt und verwandelte mich ganz langsam in Churchill. Nach Drehschluss dann die ganze Prozedur wieder rückwärts. Meist kam ich auf einen 18-Stunden-Drehtag. Wenn ich dann endlich zu Hause war, habe ich versucht, mich etwas zu entspannen. Aber kaum hatte ich meinen Kopf endlich aufs Kissen gelegt, klingelte schon wieder der Wecker.

 

Sie zeigen Churchill nicht als strahlenden Kriegshelden, sondern als an sich selbst zweifelnden Mann, der im Kampf gegen Hitler an seinen Aufgaben wächst.

Oldman: Es war mir sehr wichtig, Winston Churchill als Menschen, als Mann darzustellen. Mit all seinen Fehlern, Unzulänglichkeiten, Wutausbrüchen, depressiven Schüben und natürlich auch mit seinem beißenden Humor. Und nicht etwa als ikonografische Figur oder den Retter Großbritanniens. Mich da durchzubeißen - sozusagen zum Churchill-Kern vorzudringen - war sehr schwierig. Ich wollte ihn frisch und vor allem so gut es geht frei von Klischees spielen. Privat war er ja auch ganz anders als er sich in der Öffentlichkeit präsentierte. Da war er verspielt, sogar kindisch. Wenn er zum Beispiel heimkam, bellte er schon mal zur Begrüßung wie ein Hund. Und seine Frau antwortete dann mit: "Miau, miau".

 

Wie spielt man gegen Churchills ach so bekanntes Image eigentlich an? Und ist man dann noch authentisch?

Oldman: Das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hat, war ja zum großen Teil von ihm selbst inszeniert. Churchill war sein eigener Promoter. Er wusste sehr genau, wie man ein Markenbewusstsein erschaffen konnte - lange bevor es so etwas wie Branding gab. Dieser kleine, dicke, witzige Mann kleidete sich noch immer nach der viktorianischen Mode. Immer mit Stehkragen, Fliege, den Homburg auf dem Kopf. Nicht zu vergessen sein Markenzeichen: die berühmte Zigarre, Marke Romeo y Julieta, von denen er am Tag bis zu acht Stück rauchte. Da konnte ich als Schauspieler schon aus dem Vollen schöpfen.

 

Stimmt es, dass Sie als Churchill durch das viele Zigarrenrauchen Magenbeschwerden hatten?

Oldman: (Lacht) Ich hatte eine schlimme Nikotinvergiftung! Wenn ich etwas mache, dann eben richtig.

 

Ist Churchills "Blut, Arbeit, Schweiß und Tränen"-Satz eine Devise, nach der man leben sollte? Haben Sie einen moralischen Kompass?

Oldman: (Denkt lange nach) Ich habe drei Söhne und einen Stiefsohn. Sie sind keine Genies, aber sie sind sehr nette Menschen. Wirklich liebenswert. Und wenn jemand zu mir sagt: "Ich habe gestern deinen Sohn Charlie getroffen, der ist ja so ein Sweetheart, ein echt toller Kerl" - dann geht mir das Herz auf. Sie sind wirklich gute Menschen. Und dass sie so wurden, das ist meine größte Leistung im Leben. Darauf bin ich wirklich sehr stolz. Meiner Meinung nach könnte die Welt nämlich viel mehr nette und gute Menschen gebrauchen. Genies hat sie schon genug.

 

Ihre Söhne sind in einer Zeit aufgewachsen, die für ihren Vater ziemlich turbulent war.

Oldman: Das kann man so sagen. Aber für mich war Familie immer sehr wichtig. Ich hatte sehr wohl immer einen moralischen Kompass, bin allerdings des Öfteren da und dort vom Weg abgekommen. Doch meine Mitte habe ich zum Glück nie verloren. Ich habe immer versucht, ein guter Mensch zu sein.

 

Ihre Alkoholsucht haben Sie längst in den Griff bekommen, vor Kurzem haben Sie zum fünften Mal geheiratet, beruflich sind Sie so erfolgreich wie nie - bleibt nicht mehr viel zu wünschen übrig, oder?

Oldman: Wo denken Sie hin? Ich hoffe, dass ich nie an einen Punkt komme, an dem ich wunschlos glücklich bin. Das wäre doch schrecklich! Aber es ist schon so, dass ich mich zurzeit sehr gut fühle .

 

Treten Sie machmal zurück und schauen sich Ihr Film-Oeuvre an? Und was denken Sie dann?

Oldman: So etwas mache ich nicht! Ich habe überhaupt nichts übrig für diese Nabelschau oder Nostalgie-Show. Ich lebe im Hier und Jetzt. Und einige Filme, auf die ich nach all den vielen Jahren immer noch angesprochen werde, finde ich sogar schlicht schrecklich. "Sid and Nancy" zum Beispiel habe ich komplett von meiner Festplatte gelöscht. Auch in Luc Bessons Film "Das fünfte Element" finde ich mich schrecklich. Natürlich gibt es auch Filme, auf die ich etwas stolz bin; dazu gehört die John le Carré-Verfilmung "Dame, König, As, Spion", in der ich George Smiley spiele, oder Oliver Stones "JFK - Tatort Dallas".

 

"Léon - Der Profi" gehört nicht dazu?

Oldman: Doch, auch daran habe ich schöne Erinnerungen. Wogegen ich mich aber wehre, ist diese Glorifizierung des Schauspielerberufes. Wenn Ihnen ein Schauspieler erzählt, dass er "ganz eins wurde mit der Rolle", ist er entweder schizophren - oder er verarscht Sie. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe die Schauspielerei. Aber wie ich vor Jahren schon mal so richtig sagte: "Sollte ich mal sehr reich sein, höre ich auf einen Schlag mit der Schauspielerei auf und spiele lieber an einem Karibikstrand mit meinen Kindern Fußball."

 

Das Interview führte Ulrich Lössl.

Ein Rezension des Films findet sich heute in unserer Beilage "unterwegs".

 

 

ZUR PERSON

Gary Leonard Oldman (* 21. März 1958 in London) ist ein britischer Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent. In den 1990ern wurde Oldman durch Filme bekannt, in denen er den Bösewicht mimte. Im neuen Jahrtausend reüssierte er in verschiedensten Rollen und war 2012 für die Hauptrolle in "Dame, König, As, Spion" erstmals für den Oscar nominiert.