Herrenchiemsee
Wenn es selbst der Kunst zu warm wird

Gegenwartskunst in historischen Mauern: "Königsklasse IV" in Schloss Herrenchiemsee

24.08.2018 | Stand 23.09.2023, 3:54 Uhr
Duftende Kunst: "Ohne Anfang ohne Ende" heißen die beiden Bodenskulpturen von Wolfgang Laib im Königsschloss auf der Herreninsel im Chiemsee. Sie sind aus Bienenwachs und werden für die ständige Sammlung in der Pinakothek der Moderne erworben. Die leuchtende Barriere aus grünem Licht stammt von Dan Flavin. Die Art Mentor Foundation Lucerne hat 2016 den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen den Kauf ermöglicht. Nun wird die 16 Meter lange Installation erstmals gezeigt. −Foto: Fehr

Herrenchiemsee (DK) Die Hitze in diesem Sommer kann selbst Kunstwerke zum Schmelzen bringen.

Wenn die Klimaanlage ausfällt. Ganz so schlimm war es nicht, kürzlich in einem der Ausstellungsräume in Schloss Herrenchiemsee. Aber ein paar Grad mehr als vorgesehen reichten doch aus, dass eine der satt honiggelben Platten der imposanten Wachspyramiden von Wolfgang Laib einen veritablen Riss bekommen hat. Einmalig soll das gewesen sein, hieß es. Aber irgendwie auch passend zu diesem Sommer, der nicht enden wollte, und passend zu den Arbeiten des international renommierten Künstlers, der bevorzugt mit sensiblen Naturmaterialien arbeitet: Reis, Milch, Blütenstaub.

Die meterhohen Bodenarbeiten sind das Entrée der Ausstellung "Königsklasse IV" und begrüßen den Besucher nicht nur mit einem visuellen Aha-Effekt, sondern auch mit wohlig warmem Duft. "Zikkurat" nennt der Preisträger des Praemium Imperiale, der japanische Nobelpreis der Künste, seine Skulpturen, was so viel wie hoch aufragender Turm in der Sakralarchitektur bedeutet und Erinnerungen an himmelstürmerische Vorhaben wie den Turmbau zu Babel wachrufen soll.

Die Pinakothek der Moderne lädt noch bis Oktober zur Sommerausstellung auf die Insel im Chiemsee ein, zeigt im unvollendeten Nordflügel des Prachtbauwerks von Ludwig II. einen von Kuratorin Corinna Thierolf klug inszenierten weitläufigen Parcours zeitgenössischer Kunst, die ein raffiniertes und effektvolles Wechselspiel mit der rauen Backsteinarchitektur eingeht. Die großen Kreuze von Arnulf Rainer, die vogelwilden Collagen von Jean-Michel Basquiat und die gespenstischen Visionen von Louis Soutter. Faszinierend die raumgreifende Gitter-Barriere von Dan Flavin aus grünen Leuchtstoffröhren von 1973, deren Reflexionen in die angrenzenden Räume schimmern. Vom US-amerikanischen Künstler John Chamberlain, dessen Werkzeug auch die Schrottpresse war, sind expressive Skulpturen aus Autoteilen - ausrangierte Cadillacs und andere Statussymbole des "American Dream" - aufgestellt. Politisch auch die Stillleben von Andy Warhol mit Hammer und Sichel, Gegenstück zu seinen Bildern von Dollarscheinen.

Einem Außenseiter ist ein wunderbarer Raum gewidmet: Hans-Jörg Georgi, durch eine Kinderlähmung körperlich beeinträchtigt, hat in einer sozialen Einrichtung aus Papierresten aberwitzige Beförderungsmaschinen gebaut, die jedoch abends von seinen Pflegern weggeworfen wurden. So lange, bis ihn Christiane Cuticchio, die das Atelier Goldstein, eine Einrichtung der Lebenshilfe Frankfurt, gegründet hat, entdeckte. Nun fliegen und flattern seine wundersamen und fantastischen Flugobjekte aus Pappe und Kartonabfällen in Museen und in bedeutenden Sammlungen. Für die Königsklasse hat er eine eigene Installation entwickelt: "Das Gute". Und empfiehlt, sich mit den komfortab ausgestatteten Maschinen Richtung Weltall abzusetzen. Diese Idee hätte vielleicht auch dem "Kini" gefallen.

Königsklasse IV, bis 3. Oktober, Schloss Herrenchiemsee. täglich 9 bis 18 Uhr. Eintritt 6, mit Schlossführung 11 Euro, Mit dem Schiff von Prien aus erreichbar etwa alle 30 Minuten. Sehenswert auf der Insel ist auch das ehemalige Augustiner-Chorherrenstift mit einer umfassenden Ausstellung über den Verfassungskonvent 1948 und Gemälden von Julius Exter und anderen Chiemsee-Malern. Danach locken Spazierwege, Wiesen, schattige Wälder entlang des Ufers. Oder die Weiterfahrt zur nahen, beschaulichen Fraueninsel.
 

Katrin Fehr