Ein Fest für Verschwörungstheoretiker

Im Göttinger "Tatort: Krieg im Kopf" geht's um Hirnforschung zu Militärzwecken

27.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:39 Uhr
In Lebensgefahr: Der wirre Ex-Soldat Benno Vegener (Matthias Lier) hält Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ein Messer an den Hals. Ihre Kollegin Anais Schmitz (Florence Kasumba) setzt zum finalen Rettungsschuss an. −Foto: Marion von der Mehden/NDR

Die Neue bürgt für Knalleffekte. Bei ihrem ersten Einsatz mit Charlotte Lindholm vor einem Jahr hat Anais Schmitz ihrer Kollegin eine schallende Watschn verpasst. Jetzt, beim zweiten gemeinsamen Fall im Göttinger "Tatort", legt sie noch eine Schippe drauf und lässt eine Kugel direkt neben dem Kopf der Kommissarin einschlagen. Sie landet in einem anderen Kopf, dem des Soldaten Benno Vegener. Der wiederum hielt zuvor ein Messer an Lindholms Gurgel, faselte wirres Zeug über Stimmen, die ihn heimsuchen. "Die müsst ihr kriegen", zählt zu seinen letzten Worten, ehe ihn der finale Rettungsschuss trifft.

Kurz nach der spektakulären Einstiegsszene liegt schon die nächste Leiche da: Vegeners Frau, erwürgt in der Badewanne, vermutlich war's der durchgeknallte Ehemann. Von einem dubiosen MAD-Mann erfahren die Ermittlerinnen, dass Feldwebel Vegener vor einiger Zeit noch in Mali war. Dort leitete er einen Bundeswehreinsatz, der gründlich schiefging und bei dem mehrere Kameraden starben. Die vier Überlebenden kehrten traumatisiert heim, zwei brachten sich um, eine versuchte es und landete dabei im Rollstuhl, Vegener ist jetzt auch tot. Aber zuvor versuchte er zu beweisen, dass sich böse Mächte in sein Hirn eingeschlichen haben. Diese Aufgabe übernehmen nun Lindholm (Maria Furtwängler) und Schmitz (Florence Kasumba). Wenn's im "Tatort" um Hirnforschung geht, meldet sich das Bauchgefühl bei routinierten Serienfreunden. Das kann nur in die Hose gehen, denken sie und erinnern sich an einschlägige Präzedenzreinfälle in den vergangenen Jahren mit der fatalen Kombination: künstliche Intelligenz im Film, reale Inkompetenz in der filmischen Umsetzung. So schlimm kommt's in der Episode "Krieg im Kopf" zum Glück nicht. Klar, die Story um krude Science-Fiction-Experimente am menschlichen Hirn, um Attacken mit elektromagnetischen Wellen, um eine unheilige Allianz von Rüstungsindustrie und staatlichen Organen ist ein Fest für Verschwörungstheoretiker. Als totalen Humbug abtun sollte man all das aber nicht: In den USA etwa forschen Wissenschaftler längst an Methoden, wie das Gehirn von Soldaten manipuliert und stimuliert werden kann. Und "Tatort"-Drehbuchautor Christian Jeltsch ist einer, der sich seit Jahren mit Militärtechnik befasst und dies dem TV-Publikum bei aller dramaturgischen Übertreibung recht plausibel vermitteln kann.
Wer sich darauf einlässt, erhält am Sonntagabend zudem ausgiebig Gelegenheit, die Aufnahmefähigkeit des eigenen Hirns zu erforschen - etwa, wenn über transkranielle Magnetstimulation und die Gefahren des 5G-Mobilfunkstandards referiert wird. Für emotionalen Ausgleich sorgen die Protagonistinnen, die weiter darum ringen, sich zusammenzuraufen. Die heikle Beziehung des blonden und des schwarzen Alphaweibchens hat Potenzial - und noch viel Luft nach oben.

DK


Sonntag, 29. März, 20.15 Uhr, ARD.