Eichstätt
Klare Sicht auf eine verschwundene Grenze

Abschluss des Festivals "LiteraPur18" in Eichstätt mit der Lesung von Isabel Fargo Cole

21.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:18 Uhr
Stimmig: Isabel Fargo Cole war beim Eichstätter Festival "LiteraPur" zu Gast und las im Atelier Ahart. Begleitet von Rudi Trögl. −Foto: Foto: Fröhlich

Eichstätt (DK) Der Ort für die letzte Lesung im Rahmen des diesjährigen Festivals "LiteraPur18" in Eichstätt hätte nicht besser gewählt sein können: Im intimen Rahmen der Kunstgalerie Atelier Ahart, zwischen den Naturbildern Shoshanna Aharts und Andreas Karlstetters Fossilien-Zeichnungen las die amerikanische Übersetzerin und Autorin Isabel Fargo Cole aus ihrem Debüt-Roman "Die grüne Grenze".

Begleitet wurde sie dabei von Rudi Trögls Gitarrenklängen, den Hausherr Karlstetter einmal mit seiner E-Gitarre ergänzte. All das war stimmig.

Schließlich handelt der Roman (2017 bei Nautilus, Hamburg, erschienen) von einem jungen Paar, das im Jahr 1973 in das Dorf Sorge im Harz zieht, ins sogenannte Sperrgebiet. Nur mit Genehmigung konnte man dort leben. Für den Schriftsteller Thomas Grünberg, Protagonist des Romans, bietet die Abgeschiedenheit in jenem ehemaligen Herzynischen Wald, den schon Plinius beschrieb, die Möglichkeit nach innen zu sehen, sich aufzumachen, die eigene Vergangenheit zu enträtseln: Er wurde 1945 von einem russischen Soldaten gefunden und bis zum Grundschulalter aufgezogen, kam dann in ein Heim, wurde von einem kinderlosen Ehepaar adoptiert. Mit der Beschreibung dieser Kindheit hatte er debütiert. Was gut in die Ideologie jener Zeit - "der große Bruder Russland sorgt sich um uns" - passte, aber nicht mit der gelebten Wirklichkeit und den Gefühlen der Menschen übereinstimmte.

Das Paar zieht also in den Harz, weil Thomas' Frau Editha, eine Bildhauerin, dorther stammt, den Wald, die Menschen, deren Geschichten und Geschichte, die Sagen, Mythen und Märchen von Kindesbeinen an kennt. Nicht zuletzt durch ihre Mutter, Margarethe, eine Mediävistin. Editha, die in Berlin lebte und arbeitete, nimmt nun, schwanger von Thomas, gern das Erbe der ehemaligen Gaststätte ihrer Großeltern an. Das Haus wird zum Atelier und zur Begegnungsstätte, zu jenem Ort, wo Thomas an seinem neuen Romanprojekt arbeitet, das er im Mittelalter und im Harz ansiedelt. Zwischen Berlin, Kaliningrad (der Heimat des russischen Soldaten, der Thomas rettete) und dem Harz entwickelt die 44-jährige Cole auf höchst kunstvolle Weise und mit hervorragend recherchiertem Hintergrund die Lebens- und Gefühlswelt der Menschen sowie der politischen und geschichtlichen Ereignisse nach 1945 und bis zu Beginn der 1980er-Jahre. Sie hält sich selbst zurück, blickt von außen auf die Menschen, lässt erzählen.

So blitzt zwischen Thomas und seinem in Berlin lebenden Lektor Uwe wird die ideologische politische Großwetterlage und der Kulturschaffenden auf, der Alltag in den Zusammenkünften der Arbeiter und Grenzsoldaten im Harz. Die Familiengesprächen enthüllen das nach außen sorgsam verborgene private Leben.

Cole, die nach ihrem Literatur-, Geschichts- und Philosophiestudium in Chicago an der Humboldt-Universität zu Berlin Russisch und Deutsche Literaturwissenschaft studierte, hat rund zehn Jahre lang an "Die grüne Grenze" gearbeitet. Angeregt wurde sie, so erzählte sie in der Fragerunde am Freitag, durch ihre überwiegend ostdeutschen Studienfreunde, mit denen sie sowohl in den Harz als auch an die Ostsee fuhr.

Schon 1987, bei ihrem ersten Besuch in West-Berlin, war sie von der innerdeutschen Grenze fasziniert, wollte sie wissen, wie Menschen damit leben. Die Ausflüge mit den Freunden schließlich in den 90er-Jahren ließen die Idee reifen, vom Leben an und mit der Grenze zu erzählen, vom Verdrängen als menschlichem Schutzmechanismus, vom Bemühen, eine Art normales Leben zu führen. Das ließ sie sich von Zeitzeugen schildern.

Das atmosphärisch dichte Geflecht dieses auf verschiedenen Ebenen spielenden 500 Seiten starken Romans gliedert die Übersetzerin und damit beste Kennerin wichtiger DDR-Autoren (dem Roman sind Gedanken Robert Havemanns und Franz Fühmanns vorangestellt) in klare und kurze Sätze. . Das dicht gedrängt in der Galerie sitzende Publikum nahm auch ihre sehr prägnant vorgelesenen Romanauszüge lebhaft auf. Eine Autorin, die man sich merken sollte.

Barbara Fröhlich