Ingolstadt
Kassandra des digitalen Zeitalters

Die Juristin und Unternehmerin Yvonne Hofstetter hält den Eröffnungsvortrag und warnt vor Eingriffen in die Grundrechte

15.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:48 Uhr
Warnung vor den Auswüchsen der Künstlichen Intelligenz: Yvonne Hofstetter redet brilliant. −Foto: Foto-Weinretter.de

Ingolstadt (DK) Die schöne neue Welt der Digitalisierung ist angenehm, witzig, staunenerregend und macht das Leben bequemer.

Das demonstriert der Futurologische Kongress auf sehr unterhaltsame Weise. Yvonne Hofstetters Rolle ist eine andere. Die Buchautorin, Juristin und Unternehmerin, die am Wochenende mit dem Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet wird, gilt nicht nur als eine der wichtigsten deutschen Expertinnen für künstliche Intelligenz. Sie ist auch eine Art Kassandra des digitalen Zeitalters, eine Warnerin vor den Abgründen, in die wir uns unversehens begeben, wenn wir die netten neuen Apps und Gimmicks des Silicon-Valleys verwenden.

Beim Futurologischen Kongress hielt die Münchnerin den Eröffnungsvortrag unter dem Titel "Mensch Maschine! Künstliche Intelligenz und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen".

Hofstetter hat das Talent, mit griffigen Beispielen neuronale Netze, Big Data und künstliche Intelligenz zu erklären. Und dabei zu zeigen, dass all diese Analysemethoden erst problematisch werden, wenn es dabei um Human-Daten geht. "Wenn wir mit Menschen das machen, was wir mit Wetterdaten machen, dann verstoßen wir gegen die Menschenrechte", sagt sie. Und verweist dann in ihrem Vortrag immer wieder darauf, wie von den großen Tech-Konzernen der USA die wichtigsten Grundgesetzartikel unterhöhlt werden.

Wenn Datenbruchstücke aus Facebook-Likes, Klicks auf der Google-Seite und unserer Bewegungen mit dem Smartphone plötzlich zum Profil vereint werden, dann werden wir zu "virtuellen Zombies", sagt Hofstetter. Sie gibt dazu packende Beispiele: Wie in Chicago etwa die Polizei potentielle Verbrecher aus Big Data herausrechnet und sie dann gezielt anspricht und observiert - ein schwerer Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Wie in China längst Kopfnoten vergeben werden, die sich aus dem Verhalten der Bürger im Internet ergeben. Sie entscheiden über Karriere, Reisefreiheit und Wohlstand.

Vor allem aber warnt Hofstetter vor den Gefahren von Echokammern und Filterblasen im Internet. Die großen Computerkonzerne tendieren dazu, uns nur noch mit den Informationen zu füttern, die in unser eigenes Weltbild passen. "Jeder bekommt seine eigene private Welt vorgegaukelt, lebt in seinem selbstreferentiellen Zirkel,", sagt sie. "Wir wissen nicht mehr, was wirklich los ist, was wahr ist, wir sind lauter fragmentierte Individuen. " Für Hofstetter lauern hier große Gefahren. Desinformation macht Tyrannenherrschaft erst möglich.

Aber sie empfiehlt Gegenmittel gegen den teuflischen Kreislauf der Künstlichen Intelligenz: Wir sollten in Europa eine eigene digitale Infrastruktur entwickeln, unsere ethischen Prinzipien hochhalten, und der Gesetzgeber sollte den Markt regulieren. Das sei viel wichtiger als der Ausbau des schnellen Internets. Hoffen wir, dass ihre Ratschläge Gehör in Europa finden.

Jesko Schulze-Reimpell