Ingolstadt
LeseLust mit Michael Heltau: Alles Leben ist Theater

05.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:20 Uhr

Hohe Kunst der szenischen Lesung: Schauspieler Michael Heltau begeisterte das Publikum im ausverkauften DK-Forum - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Er war gekommen, um seine Autobiografie „Auf d’Nacht, Herr Direktor!“ vorzustellen, jenen außergewöhnlichen Band mit Fotos, Erinnerungen, Zitaten nicht nur von ihm selbst, sondern von jenen Großen des Theaters, denen Michael Heltau begegnet ist, mit denen er zusammengearbeitet hat. Doch las der Doyen des Wiener Burgtheaters daraus nicht vor, erzählte auch keine Anekdoten, sondern beleuchtete das Leben für das Theater und das Theaterleben mit Texten.

So wurde der letzte Abend der Herbstreihe „LeseLust“ unserer Zeitung im DK-Forum Ingolstadt zu einem grandiosen Theaterabend.

Vor 80 Jahren als Herbert Michael Huber in Ingolstadt geboren, hier zur Schule gegangen, hatte Heltau mit der Schauspielausbildung am renommierten Wiener Max-Reinhardt-Seminar die Grundlage seiner Karriere bereitet, die ihn auf die großen Bühnen führte mit der Leidenschaft, von der in den Texten die Rede war. Auch davon, dass Theater nicht Kostümfest ist, große Maskerade, Tünche gar über den Kern dessen, wovon es erzählt: vom Menschsein von Menschen.

Von jenen „sonderbaren Kindern“, die „das Leben zum Spiel gemacht haben“, liest Heltau als Erstes aus dem Prolog Hugo von Hofmannsthals zu Arthur Schnitzlers Schauspiel „Anatol“. Und, dass Theater stets beginne, wenn zwei Menschen sich treffen. Wie, davon handeln die Erinnerungen Max Reinhards, „entgegen der Meinung vieler der Erfinder des Regietheaters“. Dessen Eltern, einfache und arbeitsame Leute, nahmen sich Zeit, „im Zuschauerraum des alten Wien“ Handwerkern zuzusehen und jenem Treiben in den Weinbergen und Schenken, das dann auf den Brettern der Theater wiedergegeben wurde vor „atemlosen Zuschauern“. Die nahmen dafür sogar mit Stehplätzen vorlieb, um ihrer Theaterleidenschaft zu frönen.

Mit Stimme und Gesten erweckt Michael Heltau auch jene Szene aus Ferdinand Raimunds „Der Bauer als Millionär“ zum Leben, in der der Bauer das hohe Alter hereinlassen muss. Im Wienerschen Dialekt, mit fistelig-hoher Stimme kündigt dieses die Plagen an wie die „Kusine Gicht“. Heltau greift sich als Bauer ans Herz, verlangt mit weinerlicher Stimme nach dem Schlafrock.

Und er unterbricht einen kurzen Moment, um charmant auf den Zwischenruf aus dem voll besetzten Zuschauerraum einzugehen, dass er doch bitte lauter sprechen möge. Er bietet an, ein Mikrofon zu nehmen, mahnt aber, man müsse durchaus die Ohren spitzen, denn Zuhören gehöre zum Theater. Er bekennt sich dazu, ein „Fernsehverweigerer“ zu sein, weil man da nicht zuhören müsse, spricht und spielt eine Nuance lauter. Ohne Mikrofon, das nicht gewünscht wird.

Texte von Peter Altenburger über „Erste Liebe“ und „Die Kinder“ folgen. Mit der Erzählung Herbert Rosendorfers „Begegnung im Park“ wähnt man sich in Bayreuth nach einer Parzifal-Aufführung, amüsiert sich später über die in Komplimenten versteckten Spitzen im Text Egon Friedels, als dessen Ich-Erzähler sich einen Panamahut zulegt.

Großartig der Auszug aus Joseph Roths Roman „Radetzkymarsch“ über den alten und weisen Kaiser Franz Joseph, der die von seinen Untertanen erwartete Rolle mit Haltung ausfüllt. Gekonnt leitet Heltau über zu Ernst Jandls Gedicht „Wir sind die Menschen auf den Wiesen“ und zu Arthur Schnitzlers „Legende“, in der die Ewigkeit den Herrn fragt, wie sie den Menschen erscheinen solle – als „Liebe“. Mit dieser beschließt Michael Heltau den Abend, „weil Advent ist, mit jenem „unglaublichen bayerischen Dichter, der befreundet war mit Marieluise Fleißer, die ich beide liebe“ – mit Bertolt Brechts Gedicht von der Geburt Christi, mit „Die gute Nacht“. Applaus brandet am Ende auf, der nicht enden will. Doch: „Nach dem Brecht passt nichts mehr!“ – Nur noch das intime Gespräch mit dem Publikum am Signiertisch. Ein grandioser Theaterleseabend hat die Herbstreihe der „LeseLust“ beschlossen.