Ingolstadt
Wo ist Gott?

Die Audi-Jugendchorakademie beschäftigt sich in einem faszinierenden Konzert mit Zeit und Ewigkeit

17.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:46 Uhr

−Foto: Audi AG/Sauer

Ingolstadt (DK) Mit dem Konzert der Audi-Jugendchorakademie kommen die Sommerkonzerte zu ihrem Kern. Nichts ist dem Festival so wichtig, nichts ist so sehr ihr Aushängeschild wie dieses überragende, weltweit gefeierte Ensemble, das 2007 von Audi gegründet wurde. Nach Opernaufführungen in den vergangenen Jahren, zahlreichen spektakulären Konzertreisen und Auftritten mit dem großen Dirigenten Kent Nagano hat sich der Chor in diesem Jahr auf ein ungewöhnliches Abenteuer eingelassen. Denn diesmal benötigen die jungen Musiker kein weltberühmtes Werk oder einen namhaften Dirigenten, um sich in deren Ruhm zu sonnen. Der Jugendchor besinnt sich vielmehr auf seine eigenen Kräfte - und tut gut daran.

Am Chorleiterpult steht der Gründer und langjährige Chef des Ensembles, Martin Steidler. Wie außergewöhnlich dieser Chor ist, zeigen bereits die beiden Bach-Motetten, die das Programm im Ingolstädter Festsaal einrahmen: "Lobet den Herrn" und "Komm Jesu, komm" singen die jungen Musiker geradezu elektrisierend. Es wird dabei deutlich, was die Qualität dieses Chors ausmacht. Denn der Audi-Chor ist dreierlei: ein Jugendprojekt, zweitens eine Formation, die mit Laien besetzt ist, die drittens auf professionellem Niveau singt. Diese Kombination ist sehr selten, vielleicht sogar weltweit einmalig. Und sie ist überaus reizvoll. Anders als professionelle Chöre singen hier die Sänger mit extrem reiner, kaum vibrierender Stimme. Die Bach-Motetten dringen so mit leuchtender Klarheit, schlank, wendig, ungemein flexibel in den Festsaal. Jedes Detail ist ausgefeilt, gestaltet, gleichzeitig ist der Chor unfassbar homogen und textverständlich. Wenn das Audi-Kulturengagement irgendetwas wirklich exzellentes, weit Herausragendes hervorgebracht hat, dann diesen Chor voller leidenschaftlicher, begeisterter junger Leute.

Bach ist jedoch nur der Rahmen für ein anspruchsvolles Programm voller ungewöhnlicher zeitgenössischer Werke und in dessen Zentrum eine Uraufführung des Neuburger Komponisten Tobias PM Schneid steht. Das thematische Bindemittel der verschiedenen Stücke ist das Motto "Zeit und Ewigkeit", das ergänzende Instrumentarium ist das Schlagzeug. Dazu kommen gelegentlich einige wenige Streicher und der barocke Basso continuo.

Schneids Werk ".. . wie die Zeit vergeht . . ." für Chor, Schlagzeug und Bratsche besteht eigentlich nur aus zwei (musikalischen) Gedanken: das unaufhörliche Dahinrinnen der Zeit und ein plötzliches Innehalten: "Wo ist Gott", singt der Chor am Ende. Nach dem schier endlosen Mäandern eines einzigen Motives, dessen Durchführung, Veränderung, polyfoner Ausgestaltung wirkt der homofone Sprechgesang des Chores fast erschütternd, während die große Trommel unaufhörlich wie ein Sekundenzeiger auf die Vergänglichkeit alles Seins hinweist. Dann ein kurzes Zitat aus Mahlers "Titan"-Sinfonie, ein Naturbild, und der Chorgesang verebbt. Was für ein erschütterndes Werk!

Aber auch die anderen Stücke des Abends sind aufregend: Die Lichtmetaphorik in Wolfram Buchenbergs "O nata Lux" etwa, in der sich schrille Vibrafonklänge mit beißend hohen Soprantönen verbinden und sich ausbreitende flirrende Lichtstrahlen symbolisieren. Oder "Immortal Bach" von Knut Nystedt, das Bachs Lied "Komm, süßer Tod" zitiert, die Klänge allerdings in abgründige Dissonanzen führt, sie verlängert, als wenn die Zeit nicht mehr vergehen wollte. Etwas eintönig wirkt dagegen Eriks Esenvalds "In Paradisum". Zwischen den Chor-Werken tritt der Schlagzeuger Simone Rubino mit einigen bekannten Solowerken auf, die meisten erklangen bereits mehrfach im Festsaal. So etwa die hochvirtuosen Stücke "Asventuras" des 2006 mit dem Musikförderungspreis des Konzertvereins ausgezeichneten Perkussionisten Alexej Gerassimez und Iannis Xenakis "Rebonds B". Werke, bei denen Rubino seine fast schon sportive Virtuosität demonstriert.

Am meisten aber verblüfft der Schlagzeuger mit der Performance "Bad Touch" von Casey Cangelosi". Denn das Stück ist eigentlich keine Musik, sondern deren Simulation. Der Schlagzeuger hantiert im Dunkeln wild mit einem leuchtenden Schlägel herum, die Klänge allerdings kommen aus dem Lautsprecher, ebenso beunruhigende, kaum verständliche Wortfetzen. Ein transzendenter Schlagzeuger, der nichts berührt. Im Jenseits der Welt der Töne.