Ingolstadt
Musikalischer Höllensturz

Uraufführung im Konzertverein: Franz Hummels Werk zum Völkermord

21.03.2012 | Stand 03.12.2020, 1:41 Uhr

Die Stradivari klagt: Pavel Berman im Festsaal - Foto: Schaffer

Ingolstadt (jsr) Vor fast hundert Jahren, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, ermordeten Mitglieder der Bewegung der Jungtürken zwischen 300 000 und 1,5 Millionen Armenier in der Türkei. Franz Hummel hat über dieses Massaker ein Stück komponiert, das beim Konzertverein im Ingolstädter Festsaal von dem armenischen Pianisten Vardan Mamikonian und dem russischen Geiger Pavel Berman uraufgeführt wurde.

Wie aber kann man eine solche Untat zu Musik verwandeln? Das Geheimnis des Riedenburger Komponisten ist Poesie und Romantik. Für sein Variationen-Werk hat Hummel das armenische Volkslied Kilikia ausgesucht, eine melancholische Melodie, die er so verarbeitet hat, dass sich die ganze armenische Katastrophe darin spiegelt. Ergreifender hätte das nicht komponiert werden können.

Das Klavier beginnt mit einer Begleitfigur, die ein wenig an eine Chopin-Mazurka erinnert. Die Violine setzt ein, spielt die Liedstimme oktaviert, übergibt sie ans Klavier und greift sie wieder auf. Die ersten Variationen folgen: Hummel formt das Lied ein wenig um, entwickelt synkopische Winkelzüge. Die Variationen werden stürmischer, erinnern ein wenig an Zigeunermusik. Dann eine tieftraurige langsame Kantilene. Und ein Höllensturz. Das Klavier wühlt in schmerzhaften Dissonanzen, die Violinstimme rast in Verzweiflung, bis plötzlich im Flageolett einige gar nicht mehr patriotisch klingende fahle Töne aus der türkischen Nationalhymne aufschimmern. Das Stück endet mit einem Klagelied, vibratolos, gläsern, erschütternd wie ein Trauermarsch, nur viel inniger.

Berman und Mamikonian spielen das tonschön, so bewegend wie nichts mehr an diesem Abend. Kein anderes Stück vermag so zu berühren wie diese Musik gewordene Geschichte des Opernkomponisten Franz Hummel.

Dabei standen berühmte Werke auf dem Programm, die das Duo auf hohem Niveau interpretierte. Berman und Mamikonian sind Künstler, die bei allem Sinn für Romantik, an alle Werke mit einem gewissen Maß an Sachlichkeit herangehen. Das wird bereits deutlich beim Eröffnungsstück, der Sonate in g-Moll von Claude Debussy. Die beiden Musiker gestalten sehr bewusst die unzähligen Valenzen des Klanges. Berman spielt das auf seiner Stradivari voll bebender Inbrunst und Genauigkeit, aber stets mit schlankem, filigranen Ton.

Ganz anders der darauf folgende César Franck. Die A-Dur-Sonate ist ein Musterbeispiel der Spätromantik. Sofort verändert Berman seinen Ton, lässt ihn warm und wohlig strahlen. Aber auch hier vermeidet das Duo jede Geschmacklosigkeit, musiziert lieber sehr genau, als übermäßig temperamentvoll. In manchen Passagen hätte man sich ein zügigeres Tempo gewünscht, mehr virtuosen Überschwang.

Der folgte dann allerdings nach der Pause. Bei Sergej Prokofjews 1920 komponierten „Fünf Melodien“ ist bereits eine größere Hingabe zu spüren. Und dann folgt ein weiterer Höhepunkt: vom selben Komponisten die zweite Sonate in D-Dur. Hier scheinen sich die beiden Musiker endgültig frei gespielt zu haben. Das Scherzo ist von beißend scharfem Sarkasmus geprägt. Genauso rasant auftrumpfend gelingt der Schlusssatz, bei dem besonders Vardan Mamikonian immer wieder fein kalkulierte Akzente setzt: Das reißerische Ende eines hinreißenden Konzerts.