Ingolstadt
Mit doppelter Kraft

Eva-Maria Atzerodt dirigiert Händels "Messiah" im Ingolstädter Festsaal und setzt dabei gleich zwei Chöre ein

20.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:27 Uhr

Leichtgängiges Riesenensemble: Rund 160 Musiker führen Georg Friedrich Händels "Messiah" auf. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Manche Stücke halten viel aus. Der "Messiah" von Georg Friedrich Händel etwa, mit seinem "Hallelujah!" das wohl berühmteste Musikstück überhaupt. Uraufgeführt wurde es von lediglich einer Handvoll Musikern, später, in der Romantik, avancierte es zum Breitwandkoloss der Klassik, wurde mit Tausenden von Sängern auf die Bühne gebracht - mal sehr schnell gespielt, mal gefühlig-langsam.

Große Symphonieorchester arbeiteten sich an dem Werk genauso ab wie sublime Kammerensembles im Originalklang. Zum musikalischen Blockbuster (wie etwa das Verdi-Requiem) eignet sich das Oratorium aus dem Jahr 1742 aber eigentlich eher weniger, wenn man vom berühmten "Hallelujah!" und ein paar anderen Stellen absieht. Dazu ist die Komposition letztlich doch zu intim, zu verinnerlicht.

Die Chorleiterin Eva-Maria Atzerodt hat nun dennoch eine leicht gigantomanische Version des "Messiah" im Ingolstädter Theaterfestsaal aufgeführt. Wirklich groß besetzt war dabei der Chor. Atzerodt erreichte das, indem sie zwei Chöre, deren ständige Leiterin sie ist, zusammenlegte: den Motettenchor und den vielleicht besten Chor der Region, den Jugendkammerchor. Eine kluge Entscheidung, wie sich schnell herausstellte.

Denn die Chorpassagen klangen fantastisch. Allerdings anders, als man vorher erwarten konnte. Denn die rund 130 Sängerinnen und Sänger überwältigten keineswegs mit grotesker Lautstärke, übertönten niemals das ausgezeichnet aufgelegte Orchester La Banda. Vielmehr war die Klangbalance zwischen allen Mitwirkenden absolut perfekt. Natürlich hat das auch damit zu tun, dass Laienchöre auf der Bühne standen, die niemals die durchdringende Schlagkraft von Profis haben. Ein Nachteil war die Auswahl der Laiensänger dennoch kaum. Denn die beiden Chöre agierten auf höchstem Niveau. Verblüffend, wie es Atzerodt gelang, diese Sängermassen so flexibel, so agil, so textverständlich und beweglich und dynamisch agieren zu lassen. Dieser Chor hatte die Wärme, Homogenität und Fülle eines großen Chores und gleichzeitig die Präzision eines Kammerchors.

Gerade diese Leichtigkeit, dieses genau Abgezirkelte aller Phrasen ist immens wichtig für Atzerodts Interpretation. Denn (natürlich) stellt sich die Ingolstädter Chorleiterin in die Tradition der historischen Aufführungspraxis, wie sie einst von Nikolaus Harnoncourt (und vielen anderen) in den 1950er-Jahren begründet wurde. Daher die Auswahl des Originalklang-Ensembles La Banda. Nun setzen Originalklang-Apologeten in der Regel eher kleine Kammerchöre ein. Umso wichtiger, dass Atzerodts fülliger Doppelchor so perfekt sang.

Ein erster Höhepunkt war mit "For Unto Us A Child Is Born" erreicht. Mit hinreißender, hüpfender Leichtigkeit ließ Atzerodt den Chor die Melodie nehmen, indem das "Wonderful" immer wieder optimistisch herausstrahlte. Eine swingende, luftige, durchaus zügig-mitreißende Nummer - und ein perfektes Vergnügen für das Publikum im nahezu ausverkauften Festsaal. Oder das "Hallelujah!", das Atzerodt höchst durchdacht aufbaute, leise beginnend, dann etwas anschwellend und die Lautstärke wieder zurücknehmend, bis die Trompeten einsetzten und die Pauken für zusätzliche Erschütterung sorgten und der Chor zu gewaltigem Jubelgesang aufdrehte. Was für ein Ereignis!

Genau passend zu Atzerodts Intentionen musizierte das wunderbare Barockorchester, das über zwei grandiose Trompeter und einen wirklich feurigen Schlagzeuger verfügt.

Auch die Solisten passten hervorragend zu Atzerodts Gesamtkonzept. Sie wählte nämlich - anders als man vielleicht erwarten konnte - keineswegs besonders voluminöse Stimmen, sondern Sänger, die eher instrumental sangen. Am schlagkräftigsten war noch Michael Mogl, ein Tenor mit hervorragendem vokalem Material, das er allerdings noch geschmeidiger einsetzen könnte. Die Sopranistin Gerlinde Sämann überzeugte mit wohlklingendem Timbre, die Altistin Regine Jurda verfügt über eine trompetenhafte Tiefe. Der Bass-Bariton Andreas Burkhart war besonders ein kluger Ausgestalter seiner Arien.

Nichts allerdings überwältigte so sehr wie die großen Chorszenen. Und nichts erschütterte dabei so sehr wie das grandiose Ritardando, das Atzerodt am Ende der letzten Fuge im Amen inszenierte, eine Verlangsamung, in der drei Stunden Musik in einer einzigen schier endlosen Kunstpause kulminierten - um nach einem letzten Atemholen die Klänge im Fortissimo ausglühen zu lassen.