Ingolstadt
Märchenhaftes aus der Kiste

Gefeierte Premiere: Tobias Hofmann inszeniert "In einem tiefen, dunklen Wald" am Stadttheater Ingolstadt

19.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:11 Uhr

Krach im Königreich Großrieslingen: Prinzessin Henriette-Rosalinde-Audora (Manuela Brugger, rechts) will sich von einem Untier entführen und von einem Helden-Prinzen retten lassen. Ihre Eltern (Nina-Mercedés Rühl, Sebastian Witt) haben Bedenken. - Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Am Anfang steht da eine Kiste. Sehr groß. Sehr gewöhnlich. Kaum zu glauben, was darin alles steckt: ein Schloss, sieben Berge, zwei Flüsse, vier Wälder, ein Königspaar, ein Prinzesschen im rosaroten Kleid - und vor allem ein gefährliches Abenteuer. Eins, das von Untieren handelt, mit langen, scharfen Zähnen und Warzen auf dem Kopf. Das in tiefen, dunklen, unheimlichen Wäldern spielt, in denen verzauberte Prinzen ihr Dasein fristen. Eins, das von Angst und Mut und Freundschaft erzählt. Was für eine Kiste! Tobias Hofmann hat sie mitten auf die Bühne des Großen Hauses gestellt. Wie ein Geschenk. Und das ist es auch. Denn er hat Paul Maars Märchen "In einem tiefen, dunklen Wald" so witzig und fantasievoll, so temporeich und überraschend, so anrührend und poetisch in Szene gesetzt, dass man davon gar nicht genug kriegen kann. Wie schön, dass im Programmheft ein ganzes Papiertheater samt Bühne und Figuren steckt. So dass man nach dem tosenden Schlussapplaus zu Hause gleich weiterspielen kann.

Mittlerweile ist es schöner Brauch im Stadttheater Ingolstadt, das Familienstück mit dem großen Kinderfest des Jungen Theaters zu verbinden. Und weil der beliebte Kinderbuchautor Paul Maar in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert, hat man nicht nur einen seiner Klassiker als Weihnachtsmärchen ausgesucht, sondern ihm auch das "Schlabberschlabbura"-Fest gewidmet, bei dem man schon am frühen Samstagnachmittag allerhand Paul-Maar-Figuren treffen konnte. Bis zum Vorstellungsbeginn am Abend konnte man im ganzen Haus toben, reimen, geheimnisvolle Gärten suchen, Musik hören. Und sich dann ganz dem Theaterzauber hingeben, den Tobias Hofmann mit seiner kleinen Crew entfachte.

"In einem tiefen, dunklen Wald" handelt von Prinzessin Henriette-Rosalinde-Audora, die gern heiraten möchte. Da sie mit den bisherigen Prinzenanwärtern nicht recht zufrieden ist, denkt sie sich einen raffinierten Plan aus. Sie möchte sich von einem Untier entführen und dann von einem heldenhaften Königssohn retten lassen. Ihre Hand und das halbe Königreich sollen ihm sicher sein. Um sich nicht unnötig in Gefahr zu bringen, begibt sie sich in einen Wald, in dem ein vegetarisches Untier haust und wartet. Leider geht nicht alles nach Wunsch. Zwar wird Henriette-Rosalinde-Audora gerettet. Aber von Simplinella, der Prinzessin aus dem Nachbarland Kleinwinzlingen. Die hat es auf das halbe Königreich abgesehen, um die mehr als beengten Verhältnisse, in denen sie mit ihrer Mutter lebt, abzumildern. Sie verkleidet sich als Prinz, um gegen das Untier zu kämpfen. Doch genauso wenig, wie Simplinella ein Prinz ist, ist das Untier ein Untier. Was für ein verzwicktes Märchen. Alles anders als gedacht. Und trotzdem gibt's ein Happy End.

Paul Maars Geschichte, die hier in der Bühnenfassung von Christopher Gottwald und dem Theater Pfütze mit nur vier Darstellern gezeigt wird, spielt ironisch mit dem Märchensujet, greift aber durchaus moderne Themen wie gängige Geschlechterrollen und Emanzipation auf und sprüht voll Wortwitz und Situationskomik. Tobias Hofmanns Inszenierung trägt all dem Rechnung. Darüber hinaus stellt der Tausendsassa die Lust am Spielen und die Magie des Theaters ins Zentrum, überzeugt mit Ideenreichtum, Liebe zum Detail, einem Humor, der sowohl Kinder wie Erwachsene anspricht, und einer hinreißenden Puppenkistenmusik, die alles leicht und vergnügt macht.

Und seine Schauspieler erst! Ein Quartett, das keck aus der Kiste springt. Das spielwütig und wandelbar ist. Sich flugs von einem Erzähler in eine Majestät oder ein Schaf, dann in ein Untier und zurück in einen Prinzen verwandeln kann. Das Schlösser aus Kisten baut, Papp-Gipfel erklimmt und durch labyrinthische Wälder irrt.

Wunderbar ist Manuela Brugger als trotzköpfige Luxusgöre Henriette-Rosalinde-Audora. Nina-Mercedés Rühl als Simplinella: zart und unverzagt. Patrick Schlegel als treuer Lützel mimt einen Diener, der die Prinzessinnenpflege in Perfektion beherrscht. Und Sebastian Witt betört vor allem als grünschuppiges Untier. Köstlich ist das, wie die vier in immer neue Rollen schlüpfen und sich kopfüber ins Abenteuer stürzen. Fabian Lüdicke hat diese Märchenwelt herrlich ausgestattet. Mit einer verheißungsvollen blauen Landschaft aus Blütenwolken und Meer und einem monströsen Schattenwald, in dessen floraler Ornamentik sich leuchtende Augen, zähnebewehrte Raubtiere und eine Höhle wie ein riesiges Maul verbergen. Hier verlieren sich die Protagonisten wie im Shakespeare'schen "Sommernachtstraum".

Ein wenig Grusel, viel Gelächter, verhängnisvolle Küsse, kistenweise Theaterglück und großer Jubel. Ein schönes Geburtstagsgeschenk für Paul Maar - und vor allem fürs Publikum.

Neben zahlreichen Schülervorstellungen gibt es auch Vorstellungen im freien Verkauf am 26. Dezember sowie am 13. und 14. Januar 2018. Kartentelefon (08 41) 305 47 200.