Ingolstadt
Ein ziegelrotes Cabrio zwischen grauen SUVs

Das Wiener Büro Querkraft hat das MKKD geplant, wenn auch ein wenig anders, als es nun gebaut wird. Ein Interview mit Architekt Peter Sapp

06.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:43 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Sie galten Ende der 90er-Jahre als Boygroup der österreichischen Architektenszene; gerühmt für ihre pragmatisch-poetischen Entwürfe. Heute ist das Wiener Büro Querkraft längst hochrenommiert und hat für seinen vielleicht wichtigsten Bau, das bereits denkmalgeschützte Museum Liaunig in Neuhaus, sogar eine eigene Briefmarke bekommen. Erfahrung mit Kulturbauten hat man also - und kann sie momentan besonders gut gebrauchen.

Denn in Ingolstadt baut Querkraft bekanntermaßen derzeit das Museum für Konkrete Kunst und Design (MKKD); die Idee, das Museum mit 2000 Quadratmetern reiner Ausstellungsfläche unter die historische Gießereihalle zu legen, zeugte den Stadtrat mehr als die beiden Siegerentwürfe des Londoner Büros Stanton und Williams und der Hamburger DFZ. Doch inzwischen ist auch der Wiener Entwurf nicht mehr original; vor Kurzem erst strich der Stadtrat mit dem "Lichtband" vor dem Gebäude dessen zentrales Gestaltungselement. Peter Sapp, Mitbegründer und Mitinhaber von Querkraft, erzählt was das bedeutet, und warum das Museum für Ingolstadt so wichtig ist.

 

Herr Prof. Sapp, erst mal herzlichen Glückwunsch zum offiziellen heutigen Baubeginn! Was bedeutet das konkret für Sie?

Peter Sapp: Eine Grundsteinlegung ist ein sehr schöner und wichtiger symbolischer Akt dafür, dass ein Gebäude seinen Lauf nimmt. Das ist für uns schon ein wichtiger Meilenstein. Denn nun nimmt ein Kulturbau seinen Weg, und Kulturbauten sind besonders wichtige Elemente für die Entwicklung von Städten. Es gibt unzählige internationale Beispiele, an denen man sieht, dass gerade für Städte, die aus einer industriellen Geschichte heraus ihren Wohlstand entwickelt haben, eine Investition in Kulturbauten einen wichtigen Motor für ihre Stadtentwicklung bilden. Und da freuen wir uns natürlich, dass wir hier einen Beitrag leisten können.

 

An der Architekturbiennale in Venedig sehen wir gerade wieder einmal, dass Architektur mehr ist als Gebäude. Sie ist politisch, sie ist Heimat . . .

Sapp: Architektur ist vor allem unser gebautes Umfeld. Wir bewegen uns ständig in Architektur, und das gebaute Umfeld wirkt stark auf uns. Wir müssen uns nur vorstellen, dass wir etwa 90 Prozent unserer Zeit in Gebäuden verbringen, in guten oder schlechten. Wie es uns Menschen geht, wie gut und glücklich wir leben können, darauf hat Architektur einen großen Einfluss, eine große Verantwortung. Und gerade die Ebene der Poesie, die Voraussetzung für eine gute Architektur ist, leistet einen entscheidenden Beitrag fürs menschliche Wohlbefinden.

 

In Ihrem Entwurf für das neue Museum scheinen Sie diese Poesie in der Vergangenheit zu finden. Anders als die ersten Preisträger aus London und Hamburg, die die Gießereihalle heftig um- und überbauen wollten, haben Sie sich dafür entschieden, sie quasi original stehen zu lassen. Warum?

Sapp: Für uns war das Vorfinden dieser Gießereihalle ein Aha-Erlebnis: Wir haben gelernt, dass sie ein ganz wichtiges, auch emotionales Element für die Ingolstädter Bevölkerung darstellt, als Teil ihrer industriellen Geschichte. Die Gießereihalle ist ja das letzte Relikt dieses ursprünglichen Industrieareals von Ingolstadt. Wir haben diesen emotionalen Bezug des Gebäudes, aber auch den wunderbaren filigranen Innenraum als hohe Qualität gesehen. Dieser Innenraum ist aber mit der vorgesehenen Nutzung eines Museums absolut inkompatibel. Ein Museum braucht ein streng reguliertes Museumsklima und viele mehr. Wenn man die Museumsnutzung in diese Halle hineinbauen würde, dann würde man ihren inneren Charakter natürlich total verfälschen. Man würde Wärmedämmung brauchen, müsste die Stahlkonstruktion ummanteln, das heißt, das Wesen des Innenraums kaputt machen. Und dann ist da noch die Tatsache, dass ein Museum große Wandflächen braucht. Das Londoner Projekt beispielsweise hat die Fenster mit Beton geschlossen, um innen Vorsatzschalen drüberziehen zu können und eben so Hängeflächen zu schaffen. Deshalb haben wir uns entschieden, die ungestörte Museumspräsentation, die notwendig ist, unter das Bestandsgebäude zu legen und das Bestandsgebäude mit seiner wunderbaren Atmosphäre als Eingangshalle, als Forum für die Bevölkerung, als Wechselausstellungs- und Multifunktionshalle zu sehen - hier kann man dann etwa auch Design-Ausstellungen machen, weil hier die konservatorischen Anforderungen nicht so streng sind. Es gibt im Bestandsgebäude ein tolles Café, eine Lounge und dann natürlich auch die Nebenfunktionen des Museums wie Kassen, Garderoben, Verwaltung, Anlieferungen und so weiter.

 

Nun ist die Gießereihalle als Gebäude ja eher zierlich, betrachtet man sie im Kontext mit den riesigen Kubaturen rundum: Technische Hochschule, Audi und womöglich auch noch das Kongresshotel. Besteht da nicht die Gefahr, dass das Museum ein wenig untergeht?

Sapp: Das haben wir nie so gesehen. Stellen Sie sich einfach vor, sie haben da zehn graue elegante SUVs stehen und dazwischen parkt ein ziegelrotes 70er-Jahre-Cabrio, dann wird das Aufsehen erregen! Also: Wir denken nicht, dass man hier ganz laut trompeten muss, wir sind der Überzeugung, dass das Gebäude in seiner Proportion, mit seinen Fassaden und den Eingriffen, die wir ja noch machen und es damit stärken, ein sehr schöner, auffälliger Kontrast zu den Bestandsgebäuden bilden wird.

 

So viel zur Halle: Kommen wir zur Kunst. Für deren Präsentation haben Sie einen "White Cube" im Untergeschoss geplant. In einem früheren Interview mit unserer Zeitung haben Sie das sogenannte Lichtband, einen 60 Meter langen verglasten Boden-Sehschlitz entlang des Gebäudes als wichtigstes Element des Entwurfes genannt, als unverzichtbare Verbindung zwischen innen und außen. Kürzlich hat der Stadtrat nun genau dieses Element gestrichen. Wie gehen Sie damit um?

Sapp: Ja, für uns ist das natürlich ein sehr herber Rückschlag. Unser Grundkonzept war ja, das Museum mit seinem Umfeld zu verschmelzen und auch visuelle Blickbeziehung herzustellen. Wir wollten die Schwelle abbauen für Besucher, die sich hier der Kunst nähern. Um das zu gewährleisten, haben wir zwei Einschnitte im Gebäude vorgesehen, einer liegt offen im Inneren, hier bekommt man von der frei zugänglichen Halle aus Einblicke auf die Kunst. Der zweite war außen vorgesehen und hätte ebenfalls Ein- und Ausblicke geboten. Im Prozess hat es früher auch sehr große Bedenken gegenüber dem inneren Schlitz gegeben und auch da haben wir intensiv dafür gekämpft. Diesen offenen inneren Schlitz haben wir erhalten können, das ist uns beim äußeren, dem Lichtband, leider nicht gelungen. Für uns ist das sehr bedauerlich. Aber Planung ist eben ein Prozess, an dem verschiedenste Ebenen beteiligt sind, wir Architekten entscheiden nicht alleine. Und der Prozess ist noch nicht zu Ende, es werden noch viele Dinge auf uns zukommen, bis wir das Gebäude übergeben. Am Ende des Tages wird man das fertige Ergebnis beurteilen. Wir werden kein Schildchen draufkleben können, warum das und das nicht gegangen ist und wie es eigentlich geplant war. Man wird beurteilen, wie das Gebäude ist und ein Gebäude ist immer so gut wie der Entstehungsprozess.

 

Nun ist Querkraft ein äußert renommiertes Büro, mit reichlich Erfahrung in der Realisierung von Kulturbauten. Würden Sie sagen, dass Sie in Ingolstadt, was Planung und Prozesse betrifft, eine besondere Situation vorgefunden haben?

Sapp: Ja, das ist keine leichte Frage. Für uns war dieser Prozess unerwartet. In dieser Form und mit solchen Rahmenbedingungen war das absolut neu.

 

Im Jahr 2019 soll Eröffnung sein. Was sehen Sie als die größte Herausforderung bis dahin?

Sapp: Das ist zum einen die Komplexität des Projekts. Die Gießereihalle steht ja auf den ehemaligen Befestigungsanlagen der Stadt, das heißt, hier kreuzen sich mehrere Zeitebenen. Es werden hier Reste von Wehranlagen auftauchen, teilweise können auch noch Kampfmittel im Boden verborgen sein, Tongranaten etwa. Das sind alles Dinge, die man mit berücksichtigen muss. Es gibt natürlich auch diese sehr komplexen Gründungsverhältnisse, beispielsweise das Grundwasser betreffend. Das hat man zwar im Vorfeld genau untersucht, aber solche Untersuchungen können natürlich nicht jeden Quadratmeter umfassen. Es werden also Dinge auf uns zukommen, auf die wir dann sehr schnell reagieren müssen. Für alle Beteiligten wird das eine sehr hohe technische Herausforderung sein. Und das muss man dann auch noch in Zusammenhang sehen mit den Rahmenbedingungen der extrem engen Baukosten. Wie Sie wissen, wurde ja nach dem Vorentwurf das Budget für das Museum angehoben, da man erkannt hat, dass dieses ursprünglich sehr weit unterbudgetiert war. Das Budget jetzt liegt auf der untersten Grenze des Baukostenindexes, an dem man sich ein wenig orientieren kann. Wenn man ihn aber vergleicht mit internationalen Museen, haben ähnliche Projekte mindestens das doppelte bis zehnfache Budget. Das bedeutet natürlich in Zusammenhang mit der erwähnten Komplexität einen extremen Druck und extreme Herausforderungen an alle beteiligten Planer. Dieses Spannungsfeld wird uns bis zum Schluss begleiten und sehr stark beschäftigen.

 

Können Sie da noch Freude an dieser Museumsarbeit haben?

Sapp: Wie gesagt: In unserer Haltung und Verantwortung als Architekten sind wir der Überzeugung, dass Kulturbauten die vielleicht wichtigsten Beiträge zur Stadtentwicklung darstellen. Für das Gesellschaftsleben einer Stadt, für Zukunftsorientierung, sind sie das Rückgrat. Sie sind das, was wir unseren Kindern, unseren Nachfahren hinterlassen. Schauen Sie sich doch um: Touristen fahren in Städte, um Kulturbauten zu sehen, und nicht um eine Straßenkreuzung oder Kläranlage oder Ähnliches zu besichtigen. Auf der anderen Seite sind es die infrastrukturellen Gebäude, für die eigentlich alle Gesellschaften ohne große Diskussion sehr viel Geld ausgeben. Bei Kulturbauten gibt es immer sofort eine Finanzdiskussion und die Frage "Brauchen wir das überhaupt". Wir sind der Überzeugung, dass Baukultur die Werte von morgen bildet und wir freuen uns, damit einen Beitrag für die Stadtzukunft leisten zu können.

 

Das Interview führte

Karin Derstroff.