Ingolstadt
Lieben, leiden, untergehen

Gastspiel aus Brünn: Stimmgewaltiges und gefühlsstarkes Musical "Titanic" im Großen Haus in Ingolstadt

05.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:59 Uhr

Überzeugende Darsteller, packende Inszenierung: Eveline Suter, Viktoria MatuÅ¡ovová und Hana Kováríková bei der Aufführung des "Titanic"-Musicals im Großen Haus in Ingolstadt. Das Gastspiel wird an diesem Wochenende noch zweimal aufgeführt. - Foto: Kratochvil

Ingolstadt (DK) Mitreißende Musik, eine packende, szenisch-dichte Inszenierung, stimmlich, tänzerisch und mimisch überzeugende Darsteller, aussagekräftige Kostüme und ein frappierend schlichtes, aber gut durchkonstruiertes Bühnenbild: Das Musical "Titanic" hat alles, was der Fan erhofft. Am Ende gibt es stehende Ovationen für das Ensemble des Stadttheaters aus dem tschechischen Brünn, das durchweg in ausgezeichnetem, teils sogar akzentfreiem Deutsch singt und spricht.

Einziger Wermutstropfen bleibt die Technik mit stark übersteuerten Mikrofonen, die vor allem im - leider deutlich längeren - ersten Teil die Ohren der Zuschauer strapazieren.

Das Publikum im Großen Haus im Stadttheater Ingolstadt verzeiht es, was nicht verwundert, denn das Ensemble singt, tanzt und spielt sich mit hohem Engagement in die Herzen der Zuschauer. Packend die Geschichte, die sich mosaikartig aus diversen Einzelschicksalen zusammensetzt und die beginnenden gesellschaftspolitischen Umbrüche vor dem Ersten Weltkrieg geschickt einflicht. Da sind die Passagiere der Ersten Klasse, darunter einige (Multi)millionäre, wie Benjamin Guggenheim, John Jacob Astor IV oder der Mitinhaber der Kaufhauskette, Isidor Straus (Jan Mazák), mit Gattin Ida (Erika Kubálková). Die beiden sind absolute Sympathieträger, miteinander alt geworden und sich immer noch innig zugetan, so dass Ida sich weigert, ohne ihren Mann das Rettungsboot zu besteigen, das nur Frauen und Kinder aufnimmt. Herzzerreißend ihr Abschiedsduett, mit einem letzten Glas Champagner in der Hand und mehrfach unterbrochen vom scheußlichen Ächzen des untergehenden Schiffes.

Bewährte alte Liebe hier, junge erwachende Liebe dort: Ebenso ans Herz geht die zunächst heitere Liebesgeschichte zwischen der (fiktiven) kecken Kate McGowan (Eveline Suter) und Jim Farrell (Aris Sas), hoffnungsfroher junger Auswanderer vom dritten Deck. Schmunzeln lässt die kleinbürgerliche Alice Bean (Pia Lustenberger) vom zweiten Deck, die so gerne zur höheren Gesellschaft gehören möchte, während ihr Ehemann Edgar (Robert Jicha) an ihrem Drang nach vermeintlich Besserem zu verzweifeln droht und bis zum bitteren Abschied auf ihr "Ich liebe dich" warten muss.

Es menschelt überall, bei den Reichen wie bei den Armen. Die einen versuchen, sich beim Kapitänsdinner zu amüsieren und müssen sich alte Heldengeschichten eines zunehmend betrunkenen Majors a.D. anhören, die anderen amüsieren sich tatsächlich prächtig beim ausgelassenen Tanz "In America" zu den Klängen eines Fiedlers auf dem dritten Deck.

Das Drama kündigt sich auf der Brücke schon früh an. Sorge und Missbilligung spiegeln sich in den Mienen des Ersten und Zweiten Offiziers, William Murdoch (Jirí Mach) und Charles Lightoller (Daniel RymeÅ¡), als Kapitän Edward Smith (Jirí Horký), angestachelt vom überehrgeizigen Reeder Bruce Ismay (Nikolas Gerdell), die Geschwindigkeit schrittweise von 19 auf 22 Knoten erhöht. Was auch dem Heizer Frederick Barrett (Filippo Strocchi) missfällt, dessen Lied eindrucksvoll auf den Punkt bringt, wie die Technik die Welt ändert, die Gesellschaft jedoch bleibt wie sie ist - zumindest für die unteren Schichten. Zum Träumen sein "Heiratsantrag" an die ferne Geliebte, ahnungsvoll das Lied "Kein Mond" des Ausgucks Frederick Fleet (Radek Novotný), ergreifend "Wir sehen uns wieder" der Abschied nehmenden Familien und Paare - ein Ohrwurm reiht sich an den anderen, wenn der Hörgenuss auch durch die bereits erwähnte überzogene Lautstärke geschmälert wird - ein kleines Manko der Premiere.

Optisch gibt es nichts auszusetzen, die Kostüme im bunten Stilmix, leicht angelehnt an Jugendstil, Gründerzeit und teilweise schon die 20er-Jahre vorwegnehmend, lassen unschwer die Gesellschaftsschicht des Trägers erahnen. Das Problem, einen Giganten wie die Titanic mit gewaltiger Länge und Breite sowie insgesamt sechs Decks auf die naturgemäß begrenzte Bühne zu bringen, löst Bühnenbildner Christoph Weyers elegant. Mit einem dreistöckigen Schiffsausschnitt mit der Brücke oben, einem Zwischendeck, wo sich Passagiere und Stewards begegnen, sowie dem Funker- und dem Heizraum im Untergeschoss. Der Bühnenbereich davor dient mal als Speisesaal, mal als drittes Deck.

Absolut verdient der lang anhaltende Applaus nach unzähligen Vorhängen für das spielfreudige Ensemble und die insgesamt sehens- und hörenswerte Inszenierung.

Vorführungen an diesem Samstag und Sonntag, jeweils 19 Uhr. Karten an der Theaterkasse oder unter www.theater-ingolstadt.de" class="more"%>.