Ingolstadt
Meister des Unheimlichen

19.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:06 Uhr

Erzählt gern aus der Schreibwerkstatt: Bestsellerautor Wolfgang Hohlbein - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Zwei Jahre lang habe er an „Der Ruf der Tiefen“ geschrieben, erzählt Bestsellerautor Wolfgang Hohlbein am Freitagabend im DK-Forum Ingolstadt, wo er mit seinem neuen Fantastikroman die Herbstreihe der „LeseLust“ unserer Zeitung eröffnete.

Inspiriert habe ihn die Landschaft Neuenglands, „wo es aussieht wie in England, weil die ersten Siedler Pflanzen aus der Alten in die Neue Welt mitgebracht haben“. Im Urlaub vor zwei Jahren, als er nachts im offenen Cabrio durch die düsteren Wälder fuhr, habe er gespürt, dass er über diese Landschaft schreiben wolle. „Grusel- und Spukgeschichten gibt es dort genug. Dann entstand die Grundidee, dass ein Landvermesser verschwindet, seine Verlobte ihn sucht und dabei diese wilden Geschichten erfährt um veruntreutes Geld und dass er jemanden getötet haben soll“, erzählt Hohlbein aus der Autorenwerkstatt, als sei es das Normalste von der Welt, sich hinzusetzen und einen 560 Seiten starken Roman zu schreiben. In diesem spielt Hohlbein – wie so oft in seinen rund 200 Büchern – mit Motiven aus Legenden und Sagen, mit Ängsten, mit dem Unheimlichen, das für die menschliche Fantasie hinter den normalen Dingen lauern kann, wenn nur die Zutaten dazu stimmen. Immer wieder betont Hohlbein, dass er nicht „aus dem Nichts heraus“ schreibe, vielmehr brauche er zunächst etwas Reales, das er dann ins Fantastische wendet. „Oft sind es Kleinigkeiten. An einem brüllend heißen Tag hat der schwarze Teer auf der Straße zu schwitzen begonnen, als sei er ein lebendiges Etwas.“

So wie sich seine eigene Kreativität Schritt für Schritt an Details entzündet, entwickelt Wolfgang Hohlbein in seinen Geschichten die Spannung, verbindet Satz für Satz, Wort für Wort allmählich das Alltägliche mit dem Fantastischen, Abenteuerlichen und Bedrohlichen, legt mit Assoziationen und Bildern Fährten wie im ersten Kapitel, aus dem er an diesem Abend zunächst liest. Im Archiv, in dem die junge Janice nach „Magotty“ fragt, jenem Ort, wohin ihr Verlobter fahren wollte, bevor er verschwand, ist die linke Hand des Archivars „dürr wie eine Raubvogelklaue und so grau wie alles in diesem Raum“, der in einem „staubigen Halbdunkel“ liegt, „das alles oder auch nichts verbergen konnte“. Immer wieder streut Hohlbein solche „Samen des Zweifels“, wie es an anderer Stelle des Romans heißt, weckt er Argwohn, lauern irgendwo Geheimnisse. Seine Geschichten entwickeln sich beim Schreiben: „Deshalb werden sie oft so lang, weil ich drauflos schreibe und gar nicht weiß, wie die Geschichte weitergeht.“ Und so liest er auch; ruhig, das Tempo steigernd hinein in das Unheimliche, um dann plötzlich wieder aufzusehen, abzubrechen, den Kontakt zum Publikum suchend, das gebannt zuhört. „Hoffentlich ist niemand da mit schwachen Nerven“, sagt Hohlbein, wirft einen kurzen Blick in die große Runde, streicht eilig mit der Hand über den Tablet-PC, um das nächste Kapitel zu finden. „Das mit dem Einknicken der Seiten ist bei diesen Geräten etwas schwierig“, scherzt der Autor, der bekannt dafür ist, seine Bücher per Hand, mit einem Stift und am liebsten in alte Notizbücher zu schreiben. Nach denen stöbere er auf Flohmärkten, verrät er noch, bevor er weiterliest, „da kann sogar auf den ersten Seiten etwas stehen. Das stört mich gar nicht“.

Es ist diese Mischung aus Bodenständigkeit, Präsenz im Hier und Jetzt und dem Fantastischen, den anderen Welten, die diesen Abend bestimmt und die Leser weltweit zu Fans seiner Geschichten macht, manch Genörgel von Kritikern zum Trotz, die Tiefgang und Abwechslung vermissen. Schließlich funktionieren Hohlbeins Geschichten nach diesem immer gleichen Muster. Und dramaturgisch geschickt hat der ganz in Schwarz gekleidete Autor auch den Leseabend aufgebaut. Im zweiten Teil lässt er das Fantastische, das Grauen realer werden, im Wasserboiler blubbert und hämmert es gefährlich, etwas platscht aus dem Hahn in die Wanne zu Protagonistin Janice. Da hört Hohlbein unvermittelt auf – „wie es weitergeht, steht auf Seite 58“ –, um Fragen zu beantworten, davon zu erzählen, dass er als Zehnjähriger alle Bücher Karl Mays gelesen habe und wie dieser lange Geschichten, Abenteuer und fremde Welten liebe.

Auch nach 30 Jahren sei das Schreiben noch ein Hobby. Er bezeichnet sich nicht als Künstler, eher als Kunsthandwerker. Und wie er da so sitzt am großen Lesepult im DK-Forum, bereitwillig und bescheiden, aber durchaus selbstbewusst Auskunft gibt, ist er rundherum glaubwürdig, wenn er betont, dass er nicht den Anspruch habe, große Literatur zu schreiben, sondern für sein Publikum. Das belohnt ihn mit 43 Millionen verkaufter Bücher, die in 30 Sprachen übersetzt wurden, „nur nicht ins Englische“, wie Hohlbein achselzuckend sagt. Wen kümmert’s? Auch im DK-Forum muss er nach fast zwei Stunden Lesung und Gespräch einen großen Stapel Bücher signieren.