Ingolstadt
"Jedes Konzert sollte einzigartig sein"

Pianist Jan Lisiecki ist 22 Jahre alt und blickt bereits auf eine lange Karriere zurück Am Sonntag gastiert er in Ingolstadt

07.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:49 Uhr

Jan Lisiecki spielt an diesem Sonntag, 19.30 Uhr, mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra im Ingolstädter Festsaal das 2. Klavierkonzert von Frédéric Chopin. Karten für das Konzert gibt es in den DK-Geschäftsstellen. - Foto: Mathias Bothor

Ingolstadt (DK) Der Pianist Jan Lisiecki ist ein Phänomen. Er ist erst 22 Jahre alt, aber wenn man seinen Namen bei Google eingibt, erscheinen mehr Treffer als bei so erfahrenen und anerkannten Starpianisten wie Rudolf Buchbinder (70) oder Martin Stadtfeld (37). Trotz seines jungen Alters blickt er bereits auf eine lange Karriere zurück, hat vier CDs bei dem wichtigen Label Deutsche Grammophon herausgebracht und trat in fast allen bedeutenden Konzertsälen auf. Am Sonntag gastiert er nun zusammen mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter der Leitung der Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla bei den Audi-Sommerkonzerten im Ingolstädter Festsaal.

Herr Lisiecki, in Ingolstadt werden Sie Chopin spielen. Überhaupt sind Sie besonders bekannt als Interpret dieses Komponisten. Ist man als jemand, der aus einer polnischen Familie stammt besonders befähigt, Chopin zu spielen?

Jan Lisiecki: Meine Antwort ist hier etwas kompliziert, denn ich bin in Kanada geboren, auch wenn ich polnische Eltern habe und mit ihnen polnisch rede. Mein Zugang zu Chopin ist sehr international, wohl eher kanadisch als polnisch. Chopin drückt viele Emotionen aus, und deshalb liebe ich seine Musik.

 

Welche Komponisten liegen Ihnen denn besonders?

Lisiecki: Ich bin nicht sehr gut darin, Komponisten aufzuzählen. Aber mir fallen Bach, Mozart, Beethoven, Rachmaninow, Schubert und Grieg ein. Ich könnte beliebig weitere Komponisten nennen. All diese Komponisten hängen in einem System zusammen, sie stehen in Wechselbeziehung zueinander. Man würde etwas verlieren, wenn man einen weglassen würde.

 

Aber Sie haben jetzt keine besonders modernen Komponisten erwähnt, keinen Prokofjew, keinen Stockhausen etwa.

Lisiecki: Nein, so weit bin ich nicht gegangen. Das liegt aber nicht daran, dass ich diese Komponisten nicht mag. Ich habe zum Beispiel Olivier Messiaen gespielt und liebe ihn sehr. Aber jeder Komponist ist auch eine Verpflichtung, sich ausführlich mit ihm auseinanderzusetzen. Das ist wie das Erlernen einer neuen Sprache.

 

Woher kommt eigentlich Ihre Leidenschaft für Musik und für das Klavier?

Lisiecki: Weiß ich nicht. Alle Menschen haben eine Beziehung zu Musik, es ist etwas sehr Normales. Natürlich haben einige Menschen eine Fähigkeit, besonders leicht Zugang zur Musik zu finden, andere weniger. Mir kommt es vor, als wenn ich ziemlich leicht verstehe, was mit der Musik gemeint ist. Jedenfalls habe ich viel Spaß dabei. Ich denke überhaupt, das ist ein sehr wichtiger Faktor: Dass man Spaß an der Musik hat.

 

Sie waren ein Wunderkind und haben in der Schule vier Klassen übersprungen. Hatten Sie eine normale Kindheit?

Lisiecki: Nun, es hängt davon ab, wie Sie "normal" definieren. Und das Problem ist, es gibt keine Definition für normal. Meine Kindheit war sehr erfüllt und voller Abenteuer. Natürlich, ich habe hart gearbeitet. Ich war besessen von dem, was ich lernen konnte und wollte. Aber: Es hat mich nie jemand zu irgendetwas gezwungen. Die Beschleunigung meiner Schulzeit war absolut einmalig in meiner Provinz, das hatte es bisher noch nicht gegeben. Okay, ich hatte nicht die Gelegenheit, ganz so oft ins Kino oder auf Partys zu gehen wie andere Kinder. Aber das, was ich tat, hat mir einfach Spaß gemacht. Ich habe nichts vermisst.

 

Sie haben also sehr hart gearbeitet. War es nicht sehr leicht für Sie, das Klavierspielen zu lernen?

Lisiecki: Nun, es fühlte sich leicht an. Andererseits: Es ist immer sehr schwer, irgendeine Fähigkeit auf die Spitze zu treiben. Denken Sie nur an Sport. Sicher, einige Menschen sind besonders talentiert. Aber Talent ist immer nur ein Startpunkt. Man muss noch eine Menge harte Arbeit hineinstecken, bis wirklich etwas daraus wird.

 

Was lieben Sie an Ihrem Leben als reisender Pianist?

Lisiecki: Ich liebe daran, dass mir jeder Tag andere, neue Erlebnisse bringt. Ich lerne neue Leute kennen, ein anderes Publikum. Und ich lerne die Welt kennen. Immer, wenn ich einen Moment Freizeit habe, versuche ich mir die Städte und Länder anzusehen.

 

Haben Sie am Sonntag auch Zeit, sich Ingolstadt ein wenig anzusehen?

Lisiecki: Ja, auf jeden Fall. Ich werde ins Museum gehen, das habe ich bereits geplant. Und ich werde durch die Altstadt bummeln. Ich freue mich wirklich auf Ingolstadt.

 

War es eigentlich immer schon klar, dass Sie den Beruf des Pianisten ergreifen wollten?

Lisiecki: Nein, gar nicht. Ich begann bereits sehr früh, im Alter von fünf Jahren, Klavier zu spielen. Es fühlt sich für mich so an, als wäre Musik immer schon ein Teil meines Lebens gewesen. Aber ich habe auch andere Dinge getan, im See geschwommen, ich bin Ski gelaufen. Ich hätte mich in viele Richtungen entwickeln können. Aber Musik hat mich einfach mitgerissen.

 

Was für einen Beruf hätten Sie gewählt, wenn Sie nicht Pianist geworden wären?

Lisiecki: Das ist eine interessante Frage. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich darauf eine Antwort habe. Ich denke, ich habe immer versucht, offen für alles zu sein und ich habe noch weitere Fähigkeiten. Es gibt vieles, was ich gerne tue. Zum Beispiel macht es mir Freude, meine eigene Steuererklärung zu machen. Oder bestimmte Rechtsprobleme faszinieren mich. Ich könnte mir vorstellen, ein Rechtsanwalt zu sein.

 

Sie sind noch sehr jung. Werden Sie in 50 Jahren immer noch herumreisen und Konzerte geben?

Lisiecki: Mal sehen. Ich würde es auf jeden Fall gerne tun. Es ist ein Privileg. Im Moment erfreue ich mich einfach an jedem Tag.

 

Was ist Ihnen besonders wichtig, wenn Sie in Konzerten spielen?

Lisiecki: Am wichtigsten ist es für mich, in eine bestimmte Verbindung mit den Zuhörern zu treten. Und natürlich, jedes Konzert sollte einzigartig sein. Das ist nicht so leicht für einen Solisten. Man gibt etwa 100 Konzerte im Jahr, das heißt, man spielt ungefähr jeden zweiten Tag. Da besteht schon die Gefahr, dass nicht jedes Konzert etwas Besonderes wird. Auf der anderen Seite gibt es nichts Wichtigeres für einen Musiker, als einfach das Konzert zu genießen. Im Moment zu leben, frisch zu bleiben. Und man sollte nicht in einer bestimmten Weise spielen, von der man denkt, dass sie irgendwie gut ist. Man sollte offen sein für neue Ideen, für kleine Änderungen, die sich ergeben.

 

Wie muss ein Konzert ablaufen, dass Sie wirklich zufrieden sind?

Lisiecki: Manchmal habe ich den Eindruck, als wenn ich meine Ziele überhaupt nicht erreicht habe. Aber die Zuhörer mochten es, und die Kritiker sind begeistert. Und dann gibt es Konzerte, bei denen mir offenbar jedes Detail geglückt ist, und doch habe ich das Gefühl, die Zuhörer haben es nicht verstanden. Das ist wirklich rätselhaft. Alles, was ich letztlich tun kann, ist, mich anzustrengen, alles zu geben und vielleicht ist das dann genug, der Schönheit der Musik gerecht zu werden.

 

Das Interview führtenJesko Schulze-Reimpell.

 

 

ZUR PERSON

Jan Lisiecki kam als Sohn polnischer Eltern 1995 in Calgary, Kanada, zur Welt. Mit fünf Jahren begann er Klavier zu spielen, mit neun Jahren trat er erstmals mit Orchester auf. Seitdem konzertiert er in aller Welt. Auf Empfehlung der Schulleitung übersprang Lisiecki vier Schuljahre. Mit 16 Jahren unterzeichnete er einen Plattenvertrag mit der Deutschen Grammophon, bereits 2012 brachte er seine erste CD mit Mozart-Klavierkonzerten heraus. In wenigen Tagen wird er erstmals in der Hamburger Elbphilharmonie spielen.