Ingolstadt
In der musikalischen Hexenküche

Ingolf Turban und Matthias Kirschnereit gastieren beim Konzertverein Ingolstadt

25.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:46 Uhr

Gegensätzliches Solistenpaar: Der Geigenvirtuose Ingolf Turban und der Pianist Matthias Kirschnereit spielen Mendelssohns "Konzert für Violine, Klavier und Streichorchester". - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Der Begriff Paganini suggeriert sofort ein bestimmtes ästhetisches Konzept. Es geht um Kunst an der Grenze zum Sport, um die Überwältigung des Publikums durch nahezu übernatürliche Artistik anstelle von interpretatorischer Sinngebung. Denn natürlich bezieht sich die Musik hier auf den berühmtesten Geigenstar der Musikgeschichte, auf den Italiener Niccolò Paganini (1782-1840).

Beim Konzert des Konzertvereins Ingolstadt wird der große Geiger gleich in dreifacher Hinsicht gewürdigt: Es stehen Werke von Paganini und aus dessen Umfeld auf dem Programm, das Ensemble I Virtuosi di Paganini trägt den Namen des Musikers im Titel und Ingolf Turban steht auf der Bühne, ein Geiger, dessen Ruhm und Bedeutung in vielfältiger Weise mit dem musikalischen Hexenmeister verbunden ist.

In der Tat: Turban ist durch und durch ein Virtuose, ein Künstler, der mit seinen manuellen Fähigkeiten das Publikum zu verzaubern vermag. Virtuosität ist allerdings weit mehr, als nur besonders schnell die Finger über die Saiten zu bewegen. Virtuosität ist niemals technokratisch. Vielmehr sollte die Musik in einer verführerischen Manier präsentiert werden: quasi als Magier der Töne. Und hier ist Turban unübertrefflich. Ein sympathischer, lässig lächelnder Klangzauberer, der aus noch so banalen konzertanten Wendungen noch ein Höchstmaß an musikalischer Überzeugungskraft herauspressen kann. Weil er den Witz dieser Musik versteht, ihre Effekte mit viel Charme und kalkulierter Liebeswürdigkeit artikulieren kann.

Tatsächlich sind die Werke dieses Abends meist keine echten Meisterwerke, sondern eher Viruosenfutter. Gioacchino Rossinis "Un mot à Paganini: Elegie" würde mit den immer gleichen Begleittönen allzu eintönig wirken - wenn Turban nicht mit so verblüffender Fantasie und Augenzwinkern jeder Note einen ganz eigenen Charakter verleihen würde. Und auch Paganinis "I Palpiti" (Herzschlag) ist eigentlich nichts weiter als ein wirkungsverliebter Variationensatz, eine Art Arie ohne Worte. Aber Turban spielt ihn mit koketter Tonschönheit und Fingerfertigkeit. Das Gleiche gilt für "La Ronde des Lutins" des Paganini-Schülers Antonio Bazzini und Paganinis "Cantabile".

Die Werke sind für Orchester arrangiert, bieten aber für das Ensemble sehr wenig Entfaltungsmöglichkeiten. Letztlich wird hier Starkult betrieben, das Orchester ist nichts weiter als das harmonische Hintergrundrauschen, die Bühne für den genialischen Geiger. Und leider spielt das Ensemble I Virtuosi di Paganini auch so zurückhaltend (und immer wieder auch etwas ungenau), dass man seine Konzentration ohnehin nur auf den fantastischen Geiger fokussieren möchte.

Beim letzten Stück des Konzerts, dem "Konzert für Violine, Klavier und Streichorchester" von Felix Mendelssohn Bartholdy hätte man sich allerdings schon ein etwas stärkeres Engagement der Orchestermusiker vorstellen können.

Mendelssohn-Werke umrahmen den virtuosen Teil des Abends. Und hier kommt der hervorragende Pianist Matthias Kirschnereit zum Zuge - der übrigens ganz und gar kein Virtuose ist. Viel zu tiefsinnig, klangschön, fast introvertiert eröffnet er den Konzertabend mit einem "Lied ohne Worte" (op. 67/3) und den "Variations sérieuses". Der Hamburger Pianist vermeidet oberflächliche Effekte, lässt die Klänge und Harmonien vielmehr sich in aller Ruhe entfalten und lauscht ihnen nach. Nur ganz allmählich setzt er im Bass stärkere Akzente. Aber nichts gelingt so schön wie die choralartige Variation Nr. 14: ein zögerliches Experiment, in dem die Töne leise ertastet werden, als würde der Pianist improvisieren. Musik jenseits von aller Wirkungsmagie, noch so gewitztem musikalischem Sport. Ein ernster Augenblick der wahren Empfindung.