Ingolstadt
"Es gibt Parallelen zu heute"

Jochen Schölch bringt Joseph Roths Roman "Hiob" ins Große Haus des Stadttheaters Ingolstadt Premiere an diesem Samstag

13.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:49 Uhr

Sascha Römisch in der Inszenierung von "Hiob" im Großen Haus in Ingolstadt. - Fotos: Woelke/Lobinger

Ingolstadt (DK) "Hiob" ist nicht nur das älteste Buch der Bibel, Hiob ging als Sinnbild eines vom Schicksal geschlagenen Menschen in die Literatur ein. Joseph Roths Roman "Hiob" aus dem Jahr 1930 erzählt die Geschichte eines modernen Hiob: Mendel Singer, Vater von vier Kindern, fristet in Ostgalizien ein bescheidenes Dasein als Dorfschullehrer, bis ihn ein Schicksalsschlag nach dem anderen trifft. In Amerika hofft er auf eine bessere Zukunft für sich und die Seinen. Doch was vielversprechend beginnt, nimmt schon bald einen heillosen Verlauf. Regisseur Jochen Schölch bringt Joseph Roths "Hiob" ins Große Haus des Stadttheaters Ingolstadt. Premiere ist an diesem Samstag.

Herr Schölch, ist Ihnen der "Hiob" schon mal begegnet?

Jochen Schölch: Wie vermutlich jedem von uns - im Religionsunterricht in der Schule. Interessant ist ja, dass in Joseph Roths "Hiob"-Version Gott gar keine Rolle spielt. Gott tritt nicht auf. Es gibt keine Wette - so wie in der Bibel.

 

Was hat Sie gereizt, Joseph Roths Roman "Hiob" auf die Bühne zu bringen?

Schölch: Migration und Flucht ist derzeit unser Hauptthema. Es beschäftigt und spaltet die Gesellschaft. Wir reden dabei vom Verlust der Heimat, meinen aber stets den Verlust der äußeren Heimat, die Verortung, das Materielle. Bei "Hiob" geht es um den Verlust der inneren Heimat. Das Wertesystem geht verloren: die Traditionen, mit denen sich ein Mensch mit der Gesellschaft identifiziert. Der Verlust dieser inneren Heimat - so ist das im Roman zu erkennen - ist dabei viel tief greifender als der der äußeren.

 

Bleibt die Migration das beherrschende Thema unserer Zeit?

Schölch: Ja. Ich glaube sogar, dass es Ausmaße erreichen wird, von denen wir noch gar keine Ahnung haben. Man muss sich nur mal vor Augen führen, dass sich die Wirtschaftspolitik vor allem zu Afrika überhaupt nicht verändert hat. Wir versuchen immer noch, Afrika als einen Konsumentenkontinent zu errichten. Das wird noch viel schlimmer kommen.

 

Vergangenes Jahr haben Sie "Früchte des Zorns" in Ingolstadt inszeniert. Auch da war die Vorlage ein Roman. Inszeniert man anders, wenn man einen literarischen Stoff auf die Bühne bringt?

Schölch: Ein Roman ist reicher. Dieser Reichtum der Sprache lässt sich auf der Bühne kaum darstellen. Aber man kann lebendige Menschen zeigen, die wirklich etwas miteinander verhandeln. Das ist das, was Theater kann. Es ist ein Hin- und Herspringen zwischen dem epischen Erzählen und dem Spiel. Das ist aber eine Theaterform, die mich grundsätzlich sehr interessiert.

 

Bei "Früchte des Zorns" haben Sie es geschafft, auch die literarische Struktur auf die Bühne zu bringen, wie ist es bei "Hiob"?

Schölch: Der Roman "Hiob" ist von der Struktur her nicht mit "Früchte des Zorns" zu vergleichen. Bei John Steinbeck gab es den Wechsel zwischen Erzählen und abstrakten Gesellschaftsbeschreibungen. Joseph Roth erzählt dagegen in "Hiob" die Familiengeschichte ziemlich linear. Es gibt zwei Teile, der erste spielt in Russland, der zweite in Amerika. Und der Leser oder Zuschauer erlebt, wie diese Familie Singer langsam auseinanderbricht. Das ist auch ein sehr jüdisches Thema: die Heimatlosigkeit oder in der Diaspora irgendwo auf der Welt zu Hause zu sein. Die Familie selbst wird zur eigentlichen Heimat. Wenn dieser Zusammenhalt der Gemeinschaft zerbricht, beginnt das Schmerzvolle.

 

In der Erzählzeit spielt "Hiob" vor "Früchte des Zorns". Wie könnte dann die Fortsetzung der Geschichte in der nächsten Spielzeit aussehen?

Schölch: (lacht) Ich arbeite nicht an einer Amerika-Trilogie, obwohl mich das Thema sehr beschäftigt - wie auch der Imagewandel des Landes - und wo wir heute stehen. Aber vielleicht werde ich dazu irgendwann mal was machen.

 

Joseph Roth hat die Handlung aus dem Alten Testament auf den Beginn des 20. Jahrhunderts verlegt. Wann spielt das Stück bei Ihnen?

Schölch: Es ist sehr wichtig, es in dieser Zeit zu belassen. Es macht ein Stück nicht moderner, es heute in Jeans zu spielen. Das Stück beginnt in einem kleinen Dorf in Russland, das abgeschnitten ist von jeder Zivilisation. In dieser ruralen Situation kann sich solch ein Wertesystem wie das von Mendel Singer erhalten. Und plötzlich wird es konfrontiert mit den Wandlungen dieser Welt. Ein Prozess, der sich nicht aufhalten lässt. Da gibt es doch Parallelen zu heute. Die Menschen, die aus Syrien oder Schwarzafrika kommen und dort in ihren Traditionen aufgewachsen sind, sind hier tief greifenden Verunsicherungen ausgesetzt. Sie erleben Dinge, die ihr ganzes Wertesystem völlig durcheinanderwerfen. Und diese Zerrissenheit wird hier verhandelt. Im Grunde geht es ja auch um einen Generationenkonflikt. Der Vater versucht, an den Traditionen festzuhalten, die Kinder wollen die neuen Strömungen aufnehmen. Das setzt Fliehkräfte in der Familie frei.

 

Gibt es so etwas wie einen Kernsatz?

Schölch: Nein. Interessant war für mich, dass die Anwesenheit Gottes nie infrage gestellt wird. Es geht immer nur um die Frage, ob Gott ein gütiger oder ein zorniger Gott ist. Wir haben ja im Alten Testament einen rächenden Gott, der wie ein strenger Vater eingreift, wenn sich die Menschen nicht richtig verhalten, und Plagen schickt, Städte zerstört usw. Im Neuen Testament ist es plötzlich ein gütiger Gott, der den Menschen ihr Verhalten zugesteht. Das ist doch die spannendste Setzung der Bibel, dass wir zwischen Altem und Neuem Testament einen Gott erleben, der lernen kann. Das widerspricht eigentlich dem Gottesbegriff von anderen Kulturen.

 

Für die Bühne ist erneut Fabian Lüdicke zuständig. Wie sieht sie aus?

Schölch: Die Bühne ist ein großer drehender Ring. Dieser Ring eignet sich gut, um Fliehkräfte auszudrücken. Wie diese Kräfte eben auch eine Familie auseinanderreißen. Ich schätze an Fabian Lüdickes Arbeit seine Offenheit, seine Assoziationsreichtum und die Bereitschaft zur totalen Reduktion. Ich möchte im Theater nur das sehen, was wirklich nötig ist.

 

Gibt es Musik?

Schölch: Musik ist ein großes Thema an diesem Abend. Da gibt es diesen behinderten Sohn, der im Stück als Epileptiker beschrieben wird, aber eigentlich auch sehr autistische Züge trägt. Nur durch Musik findet bei ihm Entwicklung statt. Und eine wichtige Rolle spielt Menuchims Lied. Wir haben uns für ein Lied von Kristin Asbjørnsen entschieden.

 

Was sollen die Zuschauer mitnehmen von diesem Abend?

Schölch: Vielleicht ein Nachdenken darüber, was es bedeutet, wenn man Menschen ihre Tradition und Verwurzelung wegnimmt in der Fremde. Oder ob es für den Friedensprozess und für die Integration nicht richtiger wäre, ihnen innere Heimat zuzugestehen. Das ist eine gesellschaftliche Diskussion, der wir uns stellen müssen.

 

Die Fragen stellte Anja Witzke.

 

"Hiob" hat am Samstag um 19.30 Uhr im Großen Haus des Stadttheaters Premiere. Es spielen: Sascha Römisch, Renate Knollmann, Enrico Spohn, Sarah Horak, Péter Polgár, Maik Rogge, Claudio Gatzke und Ralf Lichtenberg. Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.