Ingolstadt
Erzählen als Erfindung der Welt

Der österreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr wurde gestern mit dem Marieluise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt ausgezeichnet

26.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:09 Uhr

Gratulationen für den 15. Fleißer-Preisträger: Fleißer-Neffe Klaus Gültig, Stadträtin Eva-Maria Atzerodt, Christoph Ransmayr, Kulturreferent Gabriel Engert und Theaterintendant Knut Weber (von links). - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Fußball und Literatur und Marielusie Fleißer - wie das zusammengeht, erklärte gestern Vormittag der österreichische Autor Christoph Ransmayr in seiner Dankesrede zur Verleihung des Fleißer-Preises im Foyer des Stadttheaters Ingolstadt. Denn da erzählte er eine Geschichte aus seiner Kindheit. Über einen Bäcker mit Faible für Sport und meerblaue Opel-Modelle, der sich für seinen eigenen Sohn eine Sportlerkarriere gewünscht hatte. Zunächst als Schifahrer, später als Fußballer. Um diese Karriere voranzubringen, machte der Bäcker sich selbst zum Trainer der Dorfmannschaft. In dieser Mannschaft nun spielte auch der junge Christoph Ransmayr und erlebte dort an einem feuchtkalten Tag auf morastigem Grund "ein schicksalhaftes Meisterspiel", bei dem sein Eigentor in den letzten Minuten den entscheidenden Treffen markierte. Zur Niederlage, versteht sich.

Von den Flüchen und Verwünschungen des Trainers merkte sich der unglückliche Torschütze vor allem jene: Er sei eine "Zierde für den Verein", habe ihm der Trainer immer und immer wieder höhnisch vorgehalten. "Es dauerte lange, bis ich den Halbsatz des Bäckers Marieluise Fleißer zuordnen konnte", so Ransmayr. Und erntete dafür natürlich Gelächter. "Eine Zierde für den Verein" - die überarbeitete Fassung der Textversion von 1931 mit dem Titel "Mehlreisende Frieda Geier" - ist Marieluise Fleißers einziger Roman. Ransmayrs Erkenntnis nach der Fleißer-Lektüre: "Wenn Prosa so lyrisch und Lyrik so erzählend sein konnte, dann wollte ich auch erzählen." Ransmayr rühmte Fleißers Kunst, dankte für den Preis und setzte lächelnd hinzu: "Ich betrachte hiermit die Schmach meines Eigentores in spielentscheidender Minute als getilgt."

Zuvor hatte er den Literaturpreis aus den Händen von Kulturreferent Gabriel Engert und CSU-Stadträtin Eva-Maria Atzerodt (als Vertreterin des Oberbürgermeisters) empfangen. Der Preis, so Engert, diene der Förderung deutschsprachiger Literatur und erinnere an Marieluise Fleißer (1901-1974), "die ich immer noch für eine unterschätzte Autorin halte". Ihre Sprache sei "einmalig" und "von einzigartigem Ton". Im Mittelpunkt ihres Werkes stünden Frauen in Abhängigkeitsverhältnissen und ihre Versuche, sich von patriarchalischen und gesellschaftlichen Unterdrückungsstrukturen zu befreien. Er dankte der Jury für einen "stets konstruktiven Dialog". Christoph Ransmayr, so steht es in der Urkunde, wurde in Würdigung seines herausragenden Gesamtwerks mit dem Fleißer-Preis ausgezeichnet. "Für mich ist Christoph Ransmayr einer der oder der sprachmächtigste deutschsprachige Autor", erklärte Engert.

Als Laudator Andreas Platthaus, Literaturchef der "FAZ", nach einem kurzen musikalischen Zwischenspiel des Streichquartetts des Georgischen Kammerorchesters ans Mikro trat, sorgt er zunächst für einen Lacher: "Das Wichtigste ist getan. Der Preis ist übergeben. Und wenn ein georgisches Streichquartett bei einer Preisverleihung in Ingolstadt für einen österreichischen Autor rumänische Tänze eines ungarischen Komponisten spielt, ist über die Weltläufigkeit des Preisträgers eigentlich schon alles gesagt." Aber dann sprach er natürlich doch sehr klug und mit viel Empathie über den Autor Christoph Ransmayr, "der permanent die Welt durchstreift, um diese schreibend zu begreifen", über die "schöpferische Macht von Literatur", über sein vielstimmiges Werk, das oftmals durch Bilder angeregt wird. Weshalb während der Veranstaltung auch zwei Kunst-werke des Amerikaners Paul Wallach auf die Leinwand projiziert wurden: "Stimmen" und "Here and elsewhere". Letzteres scheint an der Wand zu schweben. Und "Schweben" sei ein Signalwort in Ransmayrs Wörterwelt - wie etwa im "Atlas eines ängstlichen Mannes".

"Für dieses Erlebnis der Leichtigkeit haben wir unserem Preisträger zu danken. Ich stehe tief in seiner Schuld", so Platthaus. Deshalb habe ihn eine E-Mail von Christoph Ransmayr sehr amüsiert, in der sich dieser vorab bei Platthaus für die Mühen dieser Laudatio bedankte. ",Ich stehe also in Ihrer Schuld €˜, schrieb er da. ,Wenn ich mich bei entsprechender Gelegenheit dankbar zeigen kann, etwa wenn Sie in Ihrem Garten ein neues Rosenbeet anlegen wollen, Fensterflügel zu streichen oder eine andere Hilfsarbeit für eine ungelernte Kraft zu verrichten haben: Ich bin bereit. €˜ Selbst mit den Schlusspointen einer Rede macht es dieser Autor seinen Lesern noch federleicht und liefert sie frei ins Haus."