Ingolstadt
Elegante Dramatik

Konzertverein Ingolstadt: Reinhard Goebel dirigiert die Bayerische Kammerphilharmonie

12.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:05 Uhr

Wahrlich ein Erlebnis: Dirigent Reinhard Goebel führte mit der Bayerischen Kammerphilharmonie aus Augsburg Musik der "Bach-Söhne" auf. Solist war Bruno Delepelaire, der erste Solocellist der Berliner Philharmoniker. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) In dem Buch "Was der Mann trägt: Gut angezogen in zwölf Schritten" kann man nachlesen, wie man eine Bauchbinde zum Frack oder Smoking anlegt. Reinhard Goebel trägt eine in Rot, klassisch abgestimmt auf die rote Fliege. Das kleidet ihn wirklich gut, den Mann, der musikalische Aufführungsgeschichte geschrieben hat: Als Barockgeigenvirtuose und Leiter der legendären "Musica Antiqua Köln" hat er Repertoire und Spielweise der barocken Kammermusik neu definiert. Es bleibt unvergessen, wie er Bachs Brandenburgische Konzerte interpretierte: rau, drängend, impulsiv, manchmal im Highspeed-Tempo. Nun vermittelt der ehemalige Rebell sein Wissen dem Establishment. Bedeutende Symphonieorchester wie die des Leipziger Gewandhauses, der Züricher Tonhalle, des Bayerischen Rundfunks hat er dirigiert.

Für den Konzertverein Ingolstadt steht er am Pult vor der Bayerischen Kammerphilharmonie aus Augsburg, die in kleiner Streicherbesetzung wirklich kammermusikalisch agiert, angetrieben von den feinfühlig elektrisierenden Impulsen Goebels. Der Mann scheint geradezu unter Spannung zu stehen, mit präzise schnellenden Armbewegungen, immer auf Kontraste, Akzente, plötzliche Einsätze lauernd, die dann mit dem Taktstock sozusagen punktgenau aufgespießt werden. Die schnellen Sätze kommen damit sehr agil und wendig rüber, ohne hektisch oder spitz zu wirken, da die Augsburger trotz allem geschmeidig und souverän phrasieren. Mit wenig Vibrato erzeugen sie einen zumeist glasklaren, seidig schimmernden Klang.

Das alles passt hervorragend zu der Musik der "Bach Söhne", der sich das Programm widmet. Es ist Musik, die das galante Zeitalter, Barock und Rokoko verabschiedet, nicht mehr mit gefälligen Melodien und genormten Affekten dienen will. Das empfindsame Zeitalter ist da: Gefühle, Ideen scheren sich nicht mehr um höfische Contenance, sondern brechen hervor in ständigen Wechseln und Kontrasten, expressiv, dramatisch, bisweilen exzentrisch. Dabei bleibt das motivische Material selbst eher floskelhaft. Dass man sich da nicht genießerisch zurücklehnen kann, versteht sich. Man muss sehr wach dem kleingliedrigen, satztechnisch nicht sehr vertieften Geschehen folgen, was bei dieser Spielweise jedoch wirklich Spaß macht.

Neben zwei Sinfonien von Johann Christoph Friedrich und Wilhelm Friedemann standen zwei Cellokonzerte von Carl Philipp Emanuel Bach im Zentrum. Bei Bruno Delepelaire, dem ersten Solocellisten der Berliner Philharmoniker, waren sie in den besten Händen. Erstaunlich, wie leicht, präzise und plastisch selbst all die Läufe, Arpeggien, Triller und Spielfiguren rüberkamen, obwohl Goebel natürlich nicht gerade gemächliche Tempi wählte. Da huschten die Finger über das Griffbrett, dass man ihnen kaum folgen konnte - und, wie gesagt, die Interpretation blieb stets kontrolliert und musikalisch. Die melodischen und expressiven Passagen artikulierte Delepelaire ebenfalls mit leichtem eleganten Ton, wobei sich die Expressivität dennoch mitteilte. Vor allem im bekannten a-Moll-Konzert, das natürlich nicht fehlen durfte, machte er so eine blendende Figur gegen das stürmische, erregte, dreinfahrende Orchester.

Trotz der kleinen Besetzung und ohne Hau-drauf-Effekte gewann die Interpretation so eine dramatische Kraft. Die konzertante Konfrontation im Finale geriet so spannend wie großartige Ballwechsel in einem Tennisspiel.

Ein ruhiger Bach-Suitensatz wäre noch schön gewesen, doch der phänomenale und bejubelte Solist versteckte sich zur Zugabe hinter dem Orchester. So spielte die Kammerphilharmonie das Bachsche "Air". Aber auch sehr schön, diesen Hit mal nicht als aufgeschwollene Melodie zu hören, sondern schlank, beweglich, vielschichtig, berückend. Der alte Vater Bach erstaunt halt auch immer wieder.