Ingolstadt
Der Frosch im Porsche

24.03.2011 | Stand 03.12.2020, 3:01 Uhr

−Foto: Martina Persy

Ingolstadt (DK) Worin besteht die Kunst, eine Glosse zu schreiben? Ist es so schwer, "wie auf einer Glatze Locken zu drehen", wie der Wiener Kritiker Karl Kraus einst meinte? Oder produziert man mit einer solchen Art Text "ein Nichts, aber in Seide verpackt", wie sein Landsmann Alfred Polgar formulierte?


Der Hamburger Kritiker Hellmuth Karasek liefert eine andere Definition: "Glossen sollen Fragen, die niemand stellt, scheinbar dumm beantworten und damit ihre Weisheit offenbaren." Wie er das in der Praxis meint, war am Donnerstagabend im Forum des DONAUKURIER-Verlagsgebäudes zu erleben. Über hundert Zuhörer waren zum Auftakt des Festivals LeseLust mit Karasek und seinem neuen Buch "Im Paradies gibt´s keine roten Ampeln" gekommen.

 
Der Band enthält rund 80 Glossen, die zwischen 2008 und Dezember 2010 erschienen; zusätzlich las Karasek auch Kolumnen aus älteren Bänden. Unumwunden gibt er zu, als Glossenschreiber Vorbilder zu haben: den alemannischen Pfarrer Johann Peter Hebel, der einst die Postille "Der rheinische Hausfreund" mit Texten bestückte, und den weniger populären Theaterkritiker Alfred Polgar aus Wien.

In Karaseks neuen Glossen geht es um Guttenberg und Margot Käsmann (deren Rotlicht-Sünde unter Alkohol-Einfluss das neue Buch seinen Titel verdankt), um Gerhard Schröder ("bei dem man nicht mehr behaupten darf, er habe seine Haare gefärbt") und – ganz brandaktuell und noch gar nicht gedruckt – um den Fußballspieler Gerald Asamoah, dessen etwaige erotische Fehltritte zum Zoff mit der Gattin führten, wie just am Tag der Lesung bekannt wurde: Dass der Fußballer bei der verfrühten Heimkunft seiner Frau gestammelt haben soll, bei seinem Rendezvous mit zwei Begleiterinnen im Schlafzimmer sei es "um nichts Sexuelles" gegangen, erinnere ihn stark an den Frosch, der bei einem Porschefahrer einstieg und sich in dessen Bett als Prinzessin erwies.

Hellmuth Karasek beweist ein hohes Maß an Spontaneität: Als eine Mitarbeiterin der Buchhandlung ihm während des Lesens ein Glas Wasser reicht, unterbricht er sich sofort und sagt artig "Dankeschön!". Um dann die Anekdote vom Oboe-Spieler zu erzählen, der in seinem Spiel stets eine Melodie vor dem letzten Ton unterbrach, um die Noten umzublättern. Als ihm schließlich ein genervter Zuhörer das Umblättern abnimmt, habe er sein Spiel vor dem letzten Ton durch ein "Dankeschön!" unterbrochen.

Das Thema Verwechslungen variiert Karasek amüsant: Er erzählt, wie er fatalerweise einst den berühmten Verleger Giangiacomo Feltrinelli mit dem Autor Wolfdietrich Schnurre verwechselte – und zwar gleich bei zwei Begegnungen, was das Publikum zum Prusten brachte. Im Zug wurde er selbst Opfer einer Verwechslung, als ihn ein Schaffner fragte, ob er Autogrammkarten dabei habe und sich über seinen Nobelpreis freue – er hielt ihn für Grass. Der geschmeichelte wie auch feige Kritiker wagte zunächst nicht zu widersprechen.

Gelegentlich klingen Selbstironie und halbernster Hader an, wenn Karasek sich über sein Alter auslässt – seit langem Leitmotiv im Schreiben des 77-jährigen Autors. Auch dazu eine Anekdote: Einmal habe ihn seine Frau gefragt, ob er als Herausgeber des Berliner Tagesspiegel nicht Freiexemplare von Magazinen erhalte. Die möge er doch einmal mit heimbringen. Aber im Alter ist man eben vergesslich – auf dem Heimweg merkte er, dass er das Konvolut vergessen hatte. Worauf er die Illustrierten kaufte, um seine Frau nicht zu enttäuschen. Aber auch diesen Packen ließ er im Zug liegen, worauf ihn seine Frau eine Geldvernichtungsmaschine nannte.

Karasek spricht mit einer Gelassenheit, die man kaum in Einklang bringt mit der manchmal ätzenden Schärfe seiner literarischen Kritiken, wie er sie auch im legendären "Literarischen Quartett" formulierte. Die Übergänge zwischen Lesen und Plaudern sind kaum auszumachen. Ein höchst unterhaltsamer Abend und vielversprechender Auftakt der LeseLust-Reihe, bei dem man sicher noch gern länger zugehört hätte.