Im Märchenreich der Konkreten Kunst

Das MKK verabschiedet sich mit einer spektakulären Ausstellung von ihren alten Räumlichkeiten in der Tränktorstraße

06.09.2020 | Stand 23.09.2023, 13:57 Uhr
  −Foto: Woelke

Ingolstadt - Natürlich.

Das Museum für Konkrete Kunst ist ein problematischer Ort. Die Räume sind zu schmal, die Decken zu niedrig, die natürliche Beleuchtung aus den Fenstern zu ungleichmäßig. Und dann sind auch noch die Böden uneben. Für Ausstellungen sind die ehemaligen Donaukasernen jedenfalls nicht besonders gut geeignet. Deshalb auch wird gerade an einem großzügigeren, besseren Museum auf dem Gießereigelände gebaut, das übernächstes Jahr eröffnet werden soll. Aber: Das bisherige Museum hat Charme, Charakter, Ecken und Kanten, die viele Besucher auch lieben gelernt haben. Die Schönheit liegt, wie so oft, im Auge des Betrachters.

Das haben sich offenbar auch die Leiter des Museums gedacht, die Direktorin Simone Schimpf und Alexandra Liebherr, die Kuratorin der Ausstellung "Mind the gap. Zwischen bekannten und neuen Räumen". Zwölf Künstler aus verschiedenen Ländern haben sie für die Schau eingeladen, Kunstwerke speziell für die Räumlichkeiten des Museums zu schaffen: Annegret Bleisteiner, Marco Casentini, Jacob Dahlgren, Vanessa Henn, Katharina Hinsberg, Erika Hock, Markus Krug, Karim Noureldin, Jan van der Ploeg, Marleen Sleeuwits, Esther Stocker und Thomas Trum.

Herausgekommen ist eine Ausstellung voller Unikate, alle mit ganz eigenwilliger Technik gestaltet. Es soll die große Abschiedsausstellung für das Gebäude in der Tränktorstraße werden, vor dem Umzug in die neu gestaltete Kanonengießerei, dem neuen Museum für Konkrete Kunst und Design.

Die Abschiedsveranstaltung ist vor allem bunt, ironisch, überraschend und heiter. Sie zeigt nicht Kunstobjekte, sondern sie verwandelt Räume. Im besten Falle verzaubert sie den Besucher, nimmt ihn mit in eine andere Welt. Vor allem aber hat man das Museum noch nie so eindrucksvoll erleben können. Die Ausstellung "Mind the gap" ist eine tiefe Verbeugung vor dem Museumsbau - allerdings ganz ohne falschen oder übertriebenen Respekt.

Was gibt es zu sehen? Gleich am Eingang ein riesiges Dreieck, das uns den Weg in die Ausstellung weisen will von Jan von der Ploeg. Eins der typischen geometrisch bestimmten Objekte der Konkreten Kunst also - wäre da nicht ? ein kleiner Schönheitsfehler: das raumhohe Gemälde passt sich fast unmerklich dem abfallenden Boden des Raumes an - was für eine ironische Reverenz an das Museum.

Aber es gibt mehr davon. Etwa das fast surreal verfremdete Geländer, das einem weißen Kubus entspringt von Vanessa Henn. Es ist genau dem grauen Edelstahlgeländer des Museums nachempfunden, allerdings mit rotem PVC-Überzug versehen. Neben dem strengen Kubus läuft es jenseits aller geometrischer Normen, gekrümmt und verbogen durch den Raum. Und irgendwie scheint es sich auf der realen Außentreppe fortzusetzen, auch hier sinkt der rote Überzug wie geschmolzenes Plastik aus den gewohnten Bahnen.

Ja, im MKK ist der Raum das Kunstwerk. Etwa bei den Werken von Marco Casentini mit ihren leuchtenden Farben und rechteckigen Mustern. Denn die Bilder wachsen über den Rahmen hinaus. Casentini bemalt auch noch die Wand um die Bilder herum, allerdings anders, großflächiger, polygonaler. Oder die Künstler kreieren gleich selber einen Raum im Raum. So etwa Marleen Sleeuwits, die Bilder von den Neonleuchten des Museums auf Fotos zeigt, umgeben von eben diesen Neonleuchten. Wer in den Raum tritt, verirrt sich im Reich der Leuchtstoffröhren, die Decke des Museums wird zu Wänden, das Lichtkonzept zur Kunst.

Ganz ähnlich wirkt der einzige weitgehend wirklich hermetisch abgeschlossene Raum des Museums, den Esther Stocker zu einer auf das Wesentlichste reduzierten Welt gestaltet hat: der ultimative Traum der Konkreten Kunst. Ein Universum, das nur aus rechtwinkligen Gebilden in Weiß und Schwarz besteht. Wer hereintritt fühlt sich wie gefangen in einem frühen Computerspiel.

Aber es gibt noch viel mehr zu entdecken in dieser wundersam-unwirklichen Kunstlandschaft, die Simone Schimpf und Alexandra Liebherr da präsentieren. Denn selbst der letzte Winkel der Räumlichkeiten wird genutzt. So hat Annegret Bleisteiner die vielleicht unattraktivste Örtlichkeit des Hauses in eine kleine Wunderwelt verzaubert: die Toilette. Alles, was Kinder fasziniert ist hier in neuer Ordnung aneinandergereiht, aufgehängt und angebracht. Miniaturschienen, Tücher, Spielzeug, Bücher, Gießkannen, Figuren. Ein Märchenreich des Kinderkonsum-Irrsinns: Verrückt-schön und jenseitig der sonstigen Strenge der Konkreten Kunst.

Und es gibt nicht festgelegte Kunst. Oder Kunst zum mitgestalten. Oder Kunst aus Zollstöcken, Kunst zum Betreten und zum Anfassen und im Fahrstuhl. Und sogar die Idee der Rezeption selbst wird reflektiert. Die Besucher können sich an einer Umfrage beteiligen, um herauszufinden, welcher Museumstyp sie sind. Auf einem speziellen Feld können die Teilnehmer dann passende farbige Figuren in ein Modell der Museumsräumlichkeiten pinnen. Aber egal, was für ein Typ man ist: Es wird für jeden etwas geboten in diesen wunderschönen, ach so problematischen Räumlichkeiten. Wir freuen uns auf das neue Museum. Und wir werden das alte vermissen.

DK


Die Ausstellung läuft bis 11. April 2021. Öffnungszeiten: Di. bis So. 10 bis 17 Uhr.

Jesko Schulze-Reimpell