Ingolstadt
Im Dialog mit Marieluise Fleißer

Sonderausstellung im Fleißerhaus Ingolstadt: "von marie zu luise. eine collage" von Annette Lucks ab 19. Oktober

18.10.2021 | Stand 23.09.2023, 21:22 Uhr
"von marie zu luise" heißt die Installation mit Arbeiten aus Papier und Keramik, die Annette Lucks für die Sonderausstellung im Fleißerhaus Ingolstadt gestaltet hat. Diese verweist auf das Werk Marieluise Fleißers und spiegelt den kreativen Prozess der Regensburger Künstlerin. −Foto: Fröhlich

Ingolstadt - Seit fast drei Jahrzehnten beschäftigt sich die 1952 in Regensburg geborene Künstlerin Annette Lucks mit der Ingolstädter Schriftstellerin Marieluise Fleißer (1901-1974). Die neue Sonderausstellung "von marie zu luise. eine collage" im Ingolstädter Fleißerhaus zeigt, was die Lektüre der Fleißertexte in dieser Zeit an Produktivität bei Annette Lucks ausgelöst hat. Es ist eine Schau aus verschiedenen Phasen Lucks', die in ihrer besonderen Zusammenstellung nur "an diesem besonderen Ort, im Fleißerhaus funktioniert", wie die Künstlerin und ihre Kuratorin,

Ellen Maurer Zilioli, sagen. Die Schau ist als Fortschreibung der Historie und Geschichte des Fleißerhauses konzipiert.

Tatsächlich zeigt schon der Veranstaltungsraum mit der Installation "von marie zu luise", drei Hochzeitsteller in den Wandnischen und wie Collagen wirkende Arbeiten an der Stellwand, was das Werk der Fleißer und das Fleißerhaus bei Annette Lucks an innerer und äußerer Produktivität hervorrufen. Auf dem schrägen Podest liegen Arbeiten aus Papier und vier aus Gmunder Keramik eigentümlich gefaltete Teller, die mit den großen Hochzeitstellern an der Wand korrespondieren. Die Radierung "Schwarzwaldhut" und das Aquarell "Roter Zylinder" verweisen auf die Liebe von Marieluise Fleißer für Hüte und Stoffe. Wer durch das geöffnete Fenster zwischen dem Veranstaltungsraum und dem benachbarten kleinen Zimmer sieht, erblickt dort die nur 35 Zentimeter große Figur "Blaue Krone", aus Gmunder Keramik, Tuff und Stoff gefertigt.

Ganz gleich, in welcher Reihenfolge die Räume im Dachgeschoss des Fleißerhauses durchwandert werden, überall sind da Dialog, Korrespondenz, Zwiesprache und Verweise zu finden. Pinkrot ist der Punkt, der auf Zeichnungen prangt, dort Figuren verbindet oder die Form einer Figur annimmt. Und so das Thema Liebe, das Verhältnis der Geschlechter aufnimmt, das im Fleißer-Werk eine zentrale Rolle einnimmt. Ein Soldat ist auf einer Zeichnung zu sehen - einer der "Pioniere in Ingolstadt"? Zwei Helikopter fliegen auf einem anderen Blatt - Militär, Krieg - auch heute - zeigen die Aktualität der Fleißer.

So ist über 30 Jahre hinweg im Nachklang auf Lektüre und in Hinblick auf diese Ausstellung eine Fülle entstanden, die beides ist: faszinierende Schau der Arbeiten und Arbeitsweise Annette Lucks' und eine Neuentdeckung der Literatin Marieluise Fleißer. Dabei war die Beschäftigung mit Fleißer für Lucks nicht die berühmte "Liebe auf den ersten Blick". Ausgangspunkt ihrer Lektüre waren ihre Zeichnungen und Lithographien zu der 1995 bei Faber und Faber erschienenen Ausgabe von "Ein Pfund Orangen und neun andere Geschichten", die von der Stiftung Buchkunst prämiert wurde als eines der "schönsten deutschen Bücher 1996". Seitdem habe sie die Fleißer nicht losgelassen.

Es hat sich ein Dialog entwickelt zwischen beiden Frauen, die nicht nur durch ihre Kunst - hier die Literatur, dort die Bildende Kunst - verschieden sind, sondern auch in ihrem Ausdruck. Hier Fleißers klare, streng gehaltene Kunstsprache, dort Lucks, deren Wurzeln im surrealistischen Umfeld der Akademie der Bildenden Künste München liegen; Lucks, die Stimmungen, Empfindungen, Erlebtes, Gesehenes, Gelesenes, Bedrohliches und Bedrohtes im Hier und Jetzt mit ihrer Kunst materialisiert.

Dabei versteht sich Annette Lucks als Leserin im Sinne der amerikanischen Schriftstellerin Siri Hustvedt, dass "Bücher von denen, die lesen, buchstäblich mit Leben erfüllt werden, denn Lesen ist verkörpertes Handeln". Lesen hinterlasse tiefe emotionale Eindrücke, die sie in Form bringe, sagt Lucks über ihren kreativen Prozess. Die hinter dem strengen Duktus liegende Dramatik bei Marieluise Fleißer habe sie auf diese geführt. Es haben sich innere Bilder entwickelt, die es galt, in Form zu bringen, eine Brücke zu bauen zwischen Texten und dem, was sich beim Lesen direkt und aus dem Gedächtnis heraus entwickelt.

So ist dieser spannende Dialog als eine große, die Künste und ihre Ausdrucksformen übergreifende Collage entstanden. Und auch hier treffen sich die Frauen - man erinnere sich nur an "Im Wirtshaus ist heut Maskenball... Ein Bilderbuch für Klaus-Dieter und Gerdi 1942" (Marieluise Fleißer und Karl Manfred Fischer, Hrsg., Nimbus-Verlag, 88 Seiten, 95 Illustrationen).

DK

Bis 30. Januar 2022, Marieluise-Fleißerhaus, Kupferstr. 18, Di-Fr 9-12 Uhr, Sa/So 10-16 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Barbara Fröhlich