Ingolstadt
"Ich mache keine Pläne, ich lasse mich treiben"

Ruhestand? Donald Berkenhoff schreibt zwei Romane, Theaterstücke für Kinder und Erwachsene - Samstag Premiere

29.11.2018 | Stand 23.09.2023, 5:15 Uhr
Donald Berkenhoff im Bühnenbild von "Mein ziemlich seltsamer Freund Walter", das morgen in der Werkstatt Premiere hat. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Nein, von Ruhestand will Donald Berkenhoff nicht sprechen.

Auch wenn der 67-Jährige Ende der vergangenen Spielzeit seinen Abschied vom Stadttheater Ingolstadt als Chefdramaturg verkündet hatte. Denn immerhin gibt es hier noch ein paar Verpflichtungen. Zunächst mal das Kinderstück "Mein ziemlich seltsamer Freund Walter" - das erste Kinderstück von Sibylle Berg überhaupt -, das morgen, Samstag, in der Werkstatt Premiere feiert. Ende März wird er sein eigenes Stück "Wege des Helden" über Siegfried als deutschen Karrieristen im Großen Haus zur Uraufführung bringen. Und: "Ich überlege gerade, ob es nicht einen zweiten Teil geben muss - ,Wege der Kriegerin'. "

Dann ist da noch die Literalounge, die er ins Leben gerufen hat und wo er aktuelle Neuerscheinungen des Buchmarkts vorstellt - gelesen von Schauspielern des Ensembles. Beliebt ist vor allem die Dezember-Lesung, die unter dem Motto "Stille Nacht allerseits! " mit schrägen Weihnachtsgeschichten und Glühwein lockt. Dieses Mal findet sie am 12. Dezember im Kleinen Haus statt.

Alle anderen Projekte hat er erstmal abgelehnt. "Es fällt mir zunehmend schwerer zu gastieren. Oft ist man weit weg von zu Hause, sitzt an den Wochenenden in fremden Städten fest. Da muss man schon extrem für den Beruf brennen. Früher hat mir das nicht so viel ausgemacht. " Zuhause, das ist jetzt - oder eigentlich wieder - Berlin. Dort hat er die längste Zeit seines Lebens verbracht. Geboren 1951 in Marburg, studierte Donald Berkenhoff Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt/Main und arbeitete schon während des Studiums als Schauspieler und Texter am Frankfurter Kabarett "Die Schmiere". Nach neun Jahren und mehr als 3000 Vorstellungen war Schluss. "Ich hatte keine Lust mehr auf Kabarett, ich wollte etwas anderes machen. "

Etwas anderes, das war sein Theater Stükke. Er hatte einen Markt entdeckt für Ur- und Erstaufführungen amerikanischer Stücke in Berlin. "Wir hatten ein in Deutschland völlig unbekanntes Stück von David Mamet (,Sexual Perversity in Chicago') genommen. Ein Freund und ich hatten jeder einen Kredit aufgenommen, wir konnten umsonst im Bethanien proben, haben dann ein Theater gemietet und innerhalb von sechs Wochen eine Inszenierung hingekriegt - die noch dazu ein totaler Erfolg wurde", erinnert sich der Regisseur. Stükke stand fürderhin für Experimentelles, garantierte zugleich eine hohe Professionalität und wurde bald zur "Queen des Off-Theaters" in Berlin. "Wir waren in New York, sahen uns Stücke an, sprachen mit den Autoren, ließen die Stücke vom deutschen Verlag kaufen und übersetzten sie während den Proben. So konnten wir Stücke, die in New York herauskamen, sechs Wochen später in Berlin zeigen. " Lange konnte Stükke so seine Position als Bastion zeitgenössischer Dramatik behaupten. "Das habe ich 15 Jahre lang betrieben. Aber das war Selbstausbeutung. Trotz des Erfolgs: Zum Reichwerden oder Bequemsein ist es nichts. "

Berkenhoff ging inszenieren. Als freier Regisseur arbeitete er u. a. an Theatern in München, Hannover, Konstanz und Kiel. Nach Stationen als Oberspielleiter an den Städtischen Bühnen Münster, am Landestheater Tübingen und am Badischen Staatstheater Karlsruhe kam er mit Knut Weber in der Spielzeit 2011/12 nach Ingolstadt - als Chefdramaturg und stellvertretender Intendant. Seine Inszenierungen hier zeichneten sich stets durch Klugheit und Relevanz aus: Als großer Wurf erwies sich seine theatrale Verdichtung des Fleißer-Romans "Eine Zierde für den Verein". Über die Ingolstädter Dichterin hatte er schon seine Magisterarbeit geschrieben. Fulminant und hoch poetisch Kate Tempests Stück "Wasted", mit kühnem Witz Wolfgang Herrndorfs "Tschick", und im "Fall der Götter" gelang im eine verstörend scharfe Analyse der Gegenwart.

In seinem Projekt "Seniorenteller - nein, danke! " in der leerstehenden Brunnquell-Villa hatte er sich im Sommer 2014 im Rahmen der Visionenwerkstatt des Stadttheaters mit Fragen der alternden Gesellschaft auseinandergesetzt. Über sein eigenes Leben nach der Arbeit hat er sich keine Gedanken gemacht. "Ich mache keine Pläne. Ich lasse mich treiben", sagt er.

In Berlin ist das Kulturangebot groß. Er geht ins Museum, ins Kino, ins Theater. Und: Er schreibt. Zum einen einen Roman, "der sich als Krimi tarnt" und sich um eine Leiche dreht, die im exakten geografischen Zentrum Deutschlands auftaucht - im Moor von Oberdorla. Hier war mehr als 1000 Jahre lang ein sehr bedeutender Kult- und Opferplatz. Die Geschichte ist schwer zu recherchieren, erklärt Berkenhoff: Es geht um den Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW), der viel Geld von seinen Mitgliedern eingenommen hatte und unter anderem auch zwei hohe Erbschaften verbuchen konnte. Bei der Auflösung des KBW war das Geld verschwunden. Der Krimi folgt seiner Spur. Als Erscheinungstermin von "Ziemlich düster" hat er nächstes Jahr anvisiert.

Ein weiteres Romanprojekt dreht sich um seine eigene Familiengeschichte. "Die ist extrem - weil wir alles haben: von Widerstandskämpfern bis alten Nazis, die es ihr ganzes Leben lang waren. "

Und: Gerade hat er ein Theatersück für Kinder geschrieben: "Saga" vereint vier Erzählungen aus der Edda. Darin schildern Odins Raben ihre Version der Götter- und Heldensagen. Berkenhoff lacht: "Es tauchen Raben und Drachen und intrigante Eichhörnchen auf. " Vielleicht wird man es irgendwann auch in Ingolstadt sehen.

Jetzt steht erstmal die "Walter"-Premiere im Jungen Theater an. Und am Sonntagabend noch mal "Quizoola! ", das spannende Talkshow-Verhör-Duell von Tim Echtells. Zum dritten Mal wird es in Ingolstadt in der Neuen Welt über die Bühne gehen (Beginn: 20 Uhr). Mit dabei sind Matthias Zajgier und Mira Fajfer. "Diesmal wird es um die Fragen gehen, mit denen niemand etwas anfangen kann", sagt Berkenhoff. "Etwa ,Weißt du, was mit Joe passiert ist? ' Da müsste man eigentlich einen Krimi erfinden. "

Anja Witzke