"Ich empfinde Stille als inspirierend"

Martina Eisenreich über das Komponieren - gerade erschien ihr Album zum Spreewaldkrimi "Zeit der Wölfe"

30.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:26 Uhr
Zwei einsame Wölfe im Spreewald: Kommissar Krüger (Christian Redl) und der Wolf. Der "Spreewaldkrimi - Zeit der Wölfe" ist seit Montag in der ZDF-Mediathek verfügbar. −Foto: Thomaß, ZDF/Mike Meyer

Frau Eisenreich, am Montag erklang zum Spreewald-Krimi "Zeit der Wölfe" die von Ihnen geschriebene Titelmusik.

Kennen Sie den Spreewald persönlich?
Martina Eisenreich: Nein, ich war noch nie dort. Ich hatte es mir vergangenes Jahr vorgenommen, denn ich liebe das Wasser und das Bootfahren. Aber dann hatte ich so viele Projekte. Jetzt klappt es aus bekannten Gründen nicht.

Wie aber ist es Ihnen gelungen, so passgenau die Atmosphäre des Spreewaldes einzufangen?
Eisenreich: Beim Spreewald-Krimi gibt es eine lange, kreative Vorarbeit mit ungewöhnlichen Drehbüchern, was ich in der Zusammenarbeit mit Regisseurin Pia Strietmann und im Schnitt mit Sebastian Thümler sehr eindrucksvoll fand. Natürlich habe ich mir vorher die anderen Spreewald-Krimis angeschaut. Daher kannte ich die Landschaft und Atmospäre. Ich liebe deren Stimmung und die der Krimireihe. Sie ist besonders mystisch und hat so viele Ebenen. Ich habe bei der Arbeit gemerkt, dass bei den Verantwortlichen ein eigener Spirit herrscht. Das hat mit dem Team, dem Produzenten Wolfgang Esser, Drehbuchautor Thomas Kirchner und ZDF-Redakteur Pit Rampelt zu tun, für die die Serie seit 14 Jahren ein Herzensprojekt ist. Ich konnte früh ins Drehbuch einsteigen, mit der Regie arbeiten. War im Schneideraum, so konnten Musik und Bild zusammenwachsen.

Sie haben während des Schneidens die Musik komponiert?
Eisenreich: Ja, genau. Die Musik war zu großen Teilen parallel zum Schnitt fertig. Die Reihe hat lange Zeit. Es wird nur einmal im Jahr gesendet, der Film ist noch eine Weile in der Mediathek zu sehen. Es ist schön zu sehen, wie viel freie Hand der Sender hier den Kreativen lässt.

Wie kommen Sie zu solchen Kompositionsaufträgen?
Eisenreich: In diesem Fall über meine langjährige Zusammenarbeit mit der Regisseurin Pia Strietman. Wir haben zuletzt den Film "Endlich Witwer" gemacht, der auch für den Grimme-Preis nominiert war. Direkt danach haben wir uns in den Spreewald begeben. Auch das ein Glücksfall, nach der Komödie in die düstere Atmosphäre einzutauchen. Es ist für mich als Musikerin schön, in solch dunklen Melancholien zu baden.

Allein daraus schöpfen Sie Ihre Inspiration für neue Musik, neue Melodien, neue Tonfolgen?
Eisenreich: Oft spiegeln äußere Gestaltungsmerkmale das Innere wider. Manchmal gibt es andere konzeptionelle Ideen. Wenn ich das Drehbuch lese oder die ersten Bilder sehe, überlege ich mir impulsiv mein eigenes inneres Maximum, die emotionale Spannweite, in die man mit dem Film eintauchen soll. Ich frage, was könnte der Film sein, was berührt mich. Das versuche ich dann als Impulse in die Musik zu legen. In diesem Fall bin ich ganz bei den Männern im Wald. Rauh und poetisch. Mit ihren Befindlichkeiten, ihrer Ratlosigkeit. Da ist Kommissar Krüger, der in den Folgen zuvor Visionen hatte, die zur Lösung des Kriminalfalls beigetragen haben. In dieser Folge aber sieht er nichts. Plötzlich ist sein Bauchgefühl weg. Im Drehbuch steht: "Er sieht nichts mehr". Aber wie setzt man "nichts" filmisch um? So entstand die geniale Idee mit den weißen Hasen. Und die Musik setzt das Bauchgefühl um.

Sie haben von Beginn Ihrer Musikerinnen-Laufbahn an beides gemacht: Filmmusik komponiert, Auftragsarbeiten für Orchester und Musik für Ihre Bühnenprogramme. Woher kommt Ihr Faible für Filmmusik?
Eisenreich: Ich genieße zwar gerne die Freiheit, mich in die Musik um ihrer selbst Willen reinfallen zu lassen. Aber ich liebe es, beim Film mit den Köpfen anderer Menschen zu denken. Gerade beim Film arbeitet man oft mit sehr spannenden, kreativen Menschen zusammen und wird mit fremden Gedanken konfrontiert. Das sind Einflüsse, die man so alleine nicht hätte. Ich mag es auch, mich kreativen Anforderungen zu stellen. Etwas finden zu müssen. Es ist ja zunächst nur ein Gefühl, das irgendwie schon da ist, aber noch nicht konkret. Wie ein Traum, den man noch spürt, aber den Inhalt vergessen hat. Irgendwo in den eigenen Untiefen muss man das aufspüren und hochholen, es zwingen, Form anzunehmen. Ich fasse in neue Musik, was im Bild fehlt. Das ist spannend, überraschend und begeistert mich.

Gibt es für Sie ein Vorbild, einen Film oder Filmkomponisten?
Eisenreich: Es gibt zwei Kinoerlebnisse. Beim ersten wusste ich noch nicht, wohin mein musikalischer Weg gehen würde. Ich habe in meiner frühen Kindheit Volksmusik gemacht. Mit zehn oder elf Jahren habe ich mich mit Klassik und der zeitgenössischen Musik beschäftigt. Ich fand das verrückt und interessant. Aber es passte nicht zusammen. In den 80er- und 90er-Jahren war die Trennung zwischen ernster Musik und Unterhaltungsmusik noch stark spürbar. Mit elf Jahren habe ich den Film "Edward mit den Scherenhänden" gesehen, zu der Danny Elfman die Musik komponiert hat. Das war ganz großes Orchester, schräg, virtuos, kunstvoll, auch mal kitschig. Und hat den Punkt getroffen. Ich war vollkommen fasziniert und dachte: "Das will ich auch machen! " Als ich 18 war, kam "Matrix" ins Kino mit Musik von Don Davis. Auch ein Beispiel, was in Filmmusik alles möglich ist.

Sie haben sehr früh mit dem Komponieren angefangen. Was steckt dahinter?
Eisenreich: Das hat vermutlich damit zu tun, dass ich sehr früh viele Instrumente gespielt habe, was in der Volksmusik üblich ist. Ich bin gerne in den Musikschulorchestern eingesprungen, habe auch früh Ideen für Besetzungen in meiner Umgebung aufgeschrieben. Ich habe gerne und viel gespielt, aber nie gern vorgegebene Abläufe geübt. Ich habe mich nicht nur auf ein Instrument und klassische Virtuosität konzentriert. Mich hat das Experimentieren mit Klängen mehr gereizt.

Passend zum Film ist das Album erschienen. Wenn Sie wieder Konzerte geben können, spielen Sie dann auch Stücke daraus?
Eisenreich: Das ist die große Frage. Entscheidend für den Soundtrack ist unser großartiger Gitarrist Christoph Müller-Bombart. In dieser Besetzung wären auf jeden Fall Stücke aus dem Spreewald dabei. Zunächst gäbe es im Sommer Termine mit dem Trio Lauschgold, mit Evelyn Huber an der Harfe und Wolfgang Lohmeier am Schlagzeug und Percussion. Wie auch immer. Im Moment sind wir zurückgeworfen auf die Stille. Ohne die magische musikalische Inspiration von Menschen im selben Raum. Hier wächst gerade eine neue Sehnsucht, die uns mit dem Publikum verbindet. Das erinnert mich an diese Stille im ersten Augenblick eines Konzerts, auf der Bühne, wenn man die erwartungsvolle Energie des Publikums spürt.

Es fragte Barbara Fröhlich, DK.

ZUR PERSON
Martina Eisenreich (Jahrgang 1981) ist eine deutsche Violonistin, Multiinstrumentalistin, Filmkomponistin und Musikproduzentin. Mit 15 Jahren wurde sie als Komponistin an der Hochschule für Musik und Theater München aufgenommen. Sie studierte klassische Komposition, später auch Komposition für Film und Fernsehen. Seit 2009 ist sie Dozentin für Filmmusik und Sounddesign an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Sie ist mit dem Schlagzeuger Wolfgang Lohmeier verheiratet und hat drei Kinder.