Ingolstadt
Hommage an die Heimat

Das Meininger Staatstheater gastiert mit der beliebten Operette "Schwarzwaldmädel" in Ingolstadt

17.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:40 Uhr
Das "Schwarzwaldmädel" steht heute Abend noch einmal auf dem Spielplan des Stadttheaters Ingolstadt. Beginn: 19.30 Uhr. −Foto: Stolz

Ingolstadt (DK) Die ungestillte Sehnsucht nach heiler Welt, nach Harmonie, nach Naturidyll scheint gerade in der heutigen turbulenten Zeit der Umbrüche nichts an Aktualität eingebüßt zu haben. All dieser Bedürfnisse nimmt sich das Meininger Staatstheater in seiner neuesten Operetten-Produktion sanges- und (klang-)farbenfreudig an. Seit über einem Jahrhundert erweist sich Léon Jessels Lustspiel "Schwarzwaldmädel" als ungebrochener Kassenschlager.

Mag die Geschichte um das "Lumpenprinzessle" Bärbele, das sich als Haushaltshilfe beim Domkapellmeister eines fiktiven Dorfes im württembergischen Schwabenländle verdingt und durch eine unverhoffte Erbschaft plötzlich zur betuchten Partie wird, mit all ihren Ungereimtheiten noch so schablonenhaft erscheinen und teilweise ins Kitschige abdriften - die von schwungvoll bis schwärmerisch reichende musikalische Ausdeutung des Ensembles aus Meiningen unter der Leitung von Generalmusikdirektor Philippe Bach verbindet orchestrale Verve, schöne Stimmen, viel Gefühl und originellen Witz auf unterhaltsame Weise.

Einfach amüsant muten die Spannungen an, die etwa zwischen dem alternden Domkapellmeister Römer (mit viel Herz und "Schalk im Nacken": Tenor Stan Meus) und dem Ochsenwirt Jürgen entstehen (köstlich buffonesk gemimt von Peter Bernhardt), welcher als Bürgermeister zugleich sämtliche wichtigen Ämter der Ortschaft bekleidet und trotzdem allen Vorkommnissen "machtlos vis-à-vis" steht. Eine geflügelte Redensart, die er übrigens zum Dauerbrenner des ganzen Stücks avancieren lässt. Urkomisch, wie so die Konflikte zwischen den Einheimischen und den eigens zum großen Cäcilienfest angereisten Gästen immer mehr hochkochen. Allen voran die beiden als Handwerksburschen auf der Walz getarnten Freunde Hans (mit langem Atem und sicherer tenoral strahlender Höhe: Ondrej Saling) und Richard (unbeschwert-komödiantisch koloriert von Tenor Robert Bartneck). Oder der mit Lederhose, Fotoapparat und Skiern ausgerüstete Urlauber Schmusheim mit Berliner Schnauze, idealtypisch verkörpert von Peter Liebaug, der jeden und alles bis hin zur Wirtshausrauferei "todschick" findet und für zusätzliche drastisch-humorvolle Momente sorgt.

Auch das Bühnenbild (Christian Rinke) erfüllt ebenso wie die Kostüme (Kerstin Jacobssen) sämtliche optische Erwartungen an rustikale Romantik. Zusammenfügbare Schiebekulissen verwandeln sich im Handumdrehen vom Musikzimmer in einen Dorfplatz oder eine Wirtsstube, werden ergänzt durch liebevolle Details wie die charakteristischen Schwarzwald-Kuckucksuhren.

Zwischen allen Fronten bezaubert innerhalb der pittoresken Szenerie - anfangs neben Soubrette Marianne Schechtel in Gestalt der munteren Kapellmeisters-Tochter Hannele - erfrischend natürlich Laura Demjan mit ihrem beweglich-glockenhellen Sopran in der Titelpartie als Magd Bärbele, mausert sich vom Aschenputtel zur reichen Dame.

Souverän, kraftvoll und klanglich hochpräsent agiert dabei der trachtenprächtig eingekleidete Chor des Meininger Staatstheaters, der bald zischend die als Dorfhexe verschriene alte Traudl verhöhnt (Ulrike Walther vereint hier hartherzige Strenge mit gütiger Weisheit), bald zu einer ausgelassenen Polka tanzt (Choreografie: Julia Grunwald). Nuanciert und launig musiziert die Meininger Hofkapelle, schafft routiniert den Nährboden für die leichten, eingängigen Ohrwürmer und Gassenhauer wie "Wir sind auf der Walz vom Rhein nach der Pfalz", "Lockende Augen holder Sirenen", "Malwine, ach Malwine, du bist wie eine Biene" oder "Mädle aus dem schwarzen Wald".

Dass in dieser Inszenierung ein durchlaufend perfekt imitierter schwäbischer Dialekt nicht zwingend notwendig scheint, wirkt geradezu als Wohltat. Mehr noch: Regisseur Tobias Rott verzichtet bewusst darauf, allzu dichtes Lokalkolorit auf die Spitze zu treiben oder sich selbst abnutzen zu lassen. Unter Einbeziehung der immer wieder auftauchenden Frage: "Wo kommen Sie eigentlich ursprünglich her?" lässt er stattdessen die realen Herkunftsorte der Darsteller in die Handlung mit einfließen. So stammt beispielsweise Sopranistin Sonja Freitag als flirtwütige Malwine von Hainau aus Garmisch-Patenkirchen. Tenor Pedro Arroyo in der schwärmerischen Figur des Journalisten Theobald dagegen ist in Puerto Rico geboren. Auch der Ruhrpott, Polen oder die Slowakei sind vertreten. Schließlich eint doch alle der Wunsch nach der eigenen Identität, nach Zusammengehörigkeit, nach einem festen Platz im Leben, in der Gesellschaft und in der Welt. Und am Ende findet jedes "Spätzle" auch sein "Schätzle". Ausdauernder Applaus für eine vergnüglich-subtile Hommage an die Heimat - und an die belebende Kraft der Multikulturalität.

Heike Haberl