Hochdramatisch und psychologisch ausgefeilt

Karin Henkel inszeniert Euripides' Tragödie "Medea" am Residenztheater München

25.02.2020 | Stand 02.12.2020, 11:53 Uhr
Schauspielerische Meisterleistung: Carolin Conrad als Medea und Aurel Manthei als Jason. −Foto: Sandra Then

München - Was muss im Gefühlsleben einer Mutter ablaufen, ihre beiden von ihr so sehr geliebten Söhne aus Rache an ihrem Mann umzubringen?

Denn auf Geheiß des Königs Kreon von Korinth, zu dem sie mit Jason, dem Vater ihrer Kinder, geflohen ist, musste Jason sie verlassen, damit er Kreons Tochter ehelichen kann. Eine Tragödie des griechischen Dramatikers Euripides (485/480- 406 v. Chr. ) voll ergreifender Momente vor dem Hintergrund der Argonauten-Sage.

Simon Stone hat im vergangenen Jahr bei den Salzburger Festspielen Luigi Cherubinis Opernversion "Medée" in einer emotional ungemein berührenden Version ins Heute übertragen: Für einen Tag gestattet Kreon der von ihm ins Exil geschickten Medea die Rückkehr, um ihre Kinder zum letzten Mal sehen zu können. Das letzte Wiedersehen mit ihren Kindern als Traum, der zum Albtraum gerät. An einer Tankstelle übergießt sie das Auto, in dem ihre Kinder eingeschlafen sind, mit Benzin und zündet es an. Eine Wahnsinnstat. Eine Mörderin aus Rache oder Verzweiflung?

Ein hochdramatisches Finale in dieser Salzburger Festspielaufführung, der die Regisseurin Karin Henkel in dieser Neuinszenierung im Residenztheater nun nicht weniger Spannung entgegen setzte und die Tragödie mit einem hübschen Vorspiel beginnen lässt: Medeas und Jasons abenteuerlustige Buben lassen ihre selbstgebastelte Nachbildung des Argonautenschiffes unter der Anleitung ihres verschmitzten Betreuers (Nicola Mastroberardino) mittels Fernbedienung über ein Wasserbassin tuckern. Dazu ein 19-köpfiger, herzerfrischender Mädchenchor in bunten Kostümen, der das Publikum hymnisch begrüßt.

Doch das grausame Geschehen nimmt unerbittlich seinen Lauf, stets kommentierend begleitet von den Mädchen als Power-Demo: Kreon verlangt Jasons Trennung von Medea und gibt ihr noch einen Tag Zeit, bevor er sie ins Exil schickt. Die Kinder bleiben freilich bei Jason. Medeas Mordplan nimmt gespenstische Züge an, aus Rache an Kreons unabdingbarer Forderung und aus Vergeltung für Jasons Treulosigkeit, die beiden Buben zu töten.

Tabula rasa in dem in schwefelgelbes Licht getauchten, über der Bühne schwebenden Kinderzimmer, in dem sie ihre Wahnsinnstat vollbringt. Horror pur, wie sie in Trance und völlig emotionslos ihren beiden verspielten und musikbegeisterten Söhnen behutsam die Kopfhörer abnimmt und sie in Zeitlupe ersticht, während der Mädchenchor, nun im Zuschauerraum postiert, ungemein eindrucksvoll Anklage erhebt.

Mögen Michael Goldberg als keineswegs machtbewusster oder gar knallharter Tyrannen-Fiesling Kreon und Franziska Hackl als dessen Tochter wenig überzeugend sein, so brilliert hier Aurel Manthei als Kraftkerl Jason. Ein Mannsbild mit harter Schale und weichem Kern ist er, der seine innere Zerrissenheit zwischen der echten Liebe zu Medea und der Liebe aus Staatsräson zu Kreons Tochter mit Macho-Allüren zu verdecken versucht.

Am einprägsamsten und überzeugendsten in dieser Neuinszenierung, in der die Regisseurin die Protagonisten mit stetigem Blick ins Publikum spielen und (zur moralischen Reinigung? ) ständig durch das Wasserbassin waten lässt, ist jedoch Carolin Conrad in der Paraderolle aller großen Tragödinnen: Eine Medea, die trotz ihrer Erniedrigung und Demütigung keineswegs zur Furie wird, sondern sich in ihrer weiblichen Würde beraubt sieht und ihre Schreckenstat begeht. Eine schauspielerische Prachtleistung und eine hochdramatische wie psychologisch bestens ausgefeilte Inszenierung in dem mit an symbolischen Perspektiven reichen Bühnenbild von Thilo Reuther und dem imposanten, zwischen gespenstischem Neonlicht und grellen Spotlights wechselnden Lichtdesign von Tobias Löffler. Lang anhaltender, enthusiastischer Jubel des Premierenpublikums.

DK


ZUM STÜCK
Theater:
Residenztheater, München
Regie:
Karin Henkel
Dauer: 2 Stunden, 40 Minuten
Vorstellungen: 8., 11., 31. März
Kartentelefon: (089) 2185-1940