München
Havanna melancholisch

Eva-Maria Fahrner-Tutsek hat die kubanische Hauptstadt besucht und sehenswerte Fotografien mitgebracht

22.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:27 Uhr

München (DK) Eigentlich müsste man eine Banderole mit der Aufschrift "Vorsicht Glas" rund um das Münchner Jugendstilhaus wickeln, in dem sich die Alexander-Tutsek-Stiftung befindet.

Weil sich im zweigeschossigen Entrée der nobel verschachtelten Schwabinger Villa erstmal die frei im Raum hängenden und von Vitrinen unbehelligten, aber dennoch äußerst fragilen Glaskunstwerke von Tony Cragg, Mona Hatoum, Kiki Smith oder Pae White befinden. Die Stiftung, die Künstler und Wissenschaft unterstützt, hat sich nämlich auf Glaskunst in allen nur erdenklichen Formen und Erscheinungen spezialisiert. Eigentlich.

Denn neben der schon etwas länger gezeigten Glas-Schau "Das andere Sehen" ist nun in den Obergeschossen auch noch die Fotoausstellung "Havana Short Shadows" dazu gekommen, ebenfalls "anderes Sehen" - aber auch eine etwas andere Dimension.

Die Mäzenin Eva-Maria Fahrner-Tutsek, die seit früher Kindheit mit der Kamera vertraut ist, präsentiert 20 ihrer Havanna-Fotografien. 60 sind im Katalog abgebildet, der im Hirmer Verlag erschienen ist und zwei Texte des Londoner Fotografen Michael Friedman und des kubanischen Autors Leonardo Paduro enthält.

Fahrner-Tutsek, die einst Soziologie, Psychologie und Politik studierte, widmet sich freilich nicht der "Trophäenfotografie", wie Friedman auf der Vernissage die allbekannten Touristen-Bilder von Fifties-Odltimern vor klassischen Gebäuden im Kolonialstil bezeichnete. Der Zauber der Dekadenz und pittoreske Folklore lässt die Fotografin kalt.
Sie präsentiert das Straßenleben in Havanna, die Menschen, die dort unter schwierigsten (Embargo-)Bedingungen ihr Leben fristen. Und denen sie immer ihre Würde lässt.

Etwa den Fahrrad-Rikscha- oder Mopedfahrern, die über eine geradezu unfassbar heruntergekommene Kreuzung fahren. Verrottete Straßen, herumliegender Bauschutt von zusammengebrochenen Häusern, schwarze Fassaden, deren Öffnungen nicht mit Fenstern sondern häufig bloss mit Holz- oder Metallgittern gefüllt sind - das findet man außerhalb der für Touristen hergerichteten Prachtstraßen in Havanna überall. Freilich auch etwas abgeblätterte Che-Guevara-Wandbilder oder farbenfroh frisch getünchte Gebäude.

Mangel und Armut werden nie demonstrativ zur Schau gestellt. Das vermittelt sich mitunter subtil in betörenden Aufnahmen: Ein Laden in der Calle Lealtad in Centro Habana präsentiert etwa vier Hühnereier, die auf mehreren übereinander gestapelten Eierkartons geradezu thronen - wie Kronjuwelen auf dem roten Samtkissen. Das Lachen bleibt einem allerdings im Hals stecken. Die ästhetische fotografische Komposition verführt vielleicht zum heimlichen Schmunzeln, stimmt aber vor allem nachdenklich. Ähnliches gilt für die völlig unprätentiös abfotografierten fünf gläsernen Behältnisse, gefüllt mit rationierten Lebensmitteln.

Dann das Unerwartete, was aber ebenso zu Kuba gehört wie die legendären Zuckerrohrplantagen oder der Welt beste Boxer: Aufs Feinste hergerichtete Bauten, innen wie außen perfekt restauriert. Meistens beherbergen sie offizielle Institutionen oder geschätzte Hotelgäste - wie etwa das zum Weltkulturerbe gehörende Hotel Nacional de Cuba am Malecon.

Eva-Maria Fahrner-Tutsek widmet sich den piekfeinen Innenräumen der "Escuela nacional cubana de Ballet", mit 3000 Schülern die größte Ballettschule der Welt. Sie bildet nach dem sowjetischen System der klassischen Ballettausbildung aus und entlässt 40 Absolventen pro Jahr. Auch das ist Havanna.

Aber die meisten Bilder zeigen das Überleben in einer Gesellschaft, die seit langer Zeit in all ihren Möglichkeiten begrenzt ist - und das auch weiß. Die Stagnation, die Depression ist mit Händen zu greifen, die immer wieder enttäuschte Hoffnung auf bessere politische, gesellschaftliche und ökonomische Zeiten ebenso. Uns gefällt das, rührt das an. Warum eigentlich?

Alexander-Tutsek-Stiftung, Karl-Theodor-Straße 27, München-Schwabing: "Das andere Sehen" und "Havana Short Shadows, bis 16. November, Öffnungszeiten Di bis Fr 14 bis 18 Uhr, Eintritt frei. Katalog Hirmer Verlag, 29.90 Euro.

Joachim Goetz