Neuburg
Gottes Würfelspiel

Das Neuburger Volkstheater bringt einen neuen "Bairischen Jedermann" auf die Open-Air-Bühne

17.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:16 Uhr
Der Tod will Jedermann mitnehmen: Sebastian Englschall (links) und Sepp Reichart in der Neufassung vom "Jedermann auf Bairisch". Am 21. Juni hat das Freilichtspiel in Neuburg Premiere. −Foto: Fotos: Spieß, Chloupek

Neuburg (DK) "Jetzt langt's! Des hoit doch koana aus. / Das Mensch da unt is mir ein Graus. / Koa Andacht mehr und koan Respekt, / Im Innern is jeds Herz vadreckt. " So wettert Gott gleich zu Beginn im "Jedermann" über die Gottlosigkeit der Menschheit. Und schickt den Tod zum reichen Mann, ihn vor das göttliche Gericht zu rufen.

In Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" geht es so weiter: Jedermann erbittet sich vom Tod eine Frist, um sich einen Begleiter für diesen Weg zu suchen. Die Bitte wird ihm gewährt. Doch vergebens fleht Jedermann Freunde und Familie um Beistand an. Schon reibt sich der Teufel die Hände. Gleich wird er mit Jedermanns schuldbeladener Seele zur Hölle zu fahren. Doch in letzter Minute findet dieser zum Glauben zurück, bereut seine Sünden und wird durch die Gnade Gottes gerettet.

1911 wurde das "Spiel vom Sterben des reichen Mannes", für das Hugo von Hofmannsthal auf das englische Mysterienspiel "Everyman" aus dem 15. Jahrhundert als auch auf Hans Sachs' Version des traditionsreichen Stoffes aus dem 16. Jahrhundert zurückgriff, uraufgeführt. Aber bei Hugo von Hofmannsthal hörte sich Gottes Zorn noch sehr verhalten an: "Fürwahr mag länger das nit ertragen, / dass alle Kreatur gegen mich / ihr Herz verhärtet böslich, / dass sie ohn einige Furcht vor mir /schmählicher hinleben als das Getier. "

"Ich fand diese Sprache, dieses künstliche Altdeutsch, ermüdend", erklärt Florian Schmidt (kleines Foto). Schon als er das Stück vor gut 20 Jahren zum ersten Mal gelesen hatte - "weil es mich als Theatermacher natürlich interessiert hatte" -, lautete das Urteil: "wahnsinnig langweilig". "Der Hofmannsthal kommt so schwer auf den Punkt. " Als der Eichstätter Autor und Regisseur im Sommer 2017 den Auftrag erhielt, einen neuen bairischen "Jedermann" für das Neuburger Volkstheater zu schreiben, sagte er freudig zu. "Es ist ja viel spannender, das Jedermann-Thema, das Sterben eines reichen Menschen, mit zeitgemäßen Gedanken zu füllen. "

Florian Schmidt lebt zwar schon seit 40 Jahren in Eichstätt, ist aber gebürtiger Mittelfranke. Und deshalb besorgte er sich als erstes ein bairisches Lexikon und eine bairische Grammatik. Beide Bücher arbeitete er durch und erstellte Listen von bairischen Begriffen. "Diridari wäre so ein Beispiel. Das sagt nur der Bayer", meint Florian Schmidt. Dann machte er sich ans Übersetzungswerk, konzentrierte, strich radikal, dichtete um und neu. "Der Jedermann-Stoff ist einfach großartig. Der gehört zu solchen Jahrhundert-Ideen wie ,Faust' oder ,Brandner Kaspar'", schwärmt der Autor.
In seiner "Jedermann"-Fassung wirkt die Hauptfigur viel sympathischer, auch reflektierter. Denn neben dem gewieften Geschäftsmann zeigt sich auch der Mensch - der veranwortungsvolle Gutsherr, der wertschätzende Sohn, der wahrhaft Liebende. "Es gibt eine Achsenverschiebung von gut/böse zu richtig/falsch", sagt der Autor. Zeitlich siedelt er den ersten Teil seines Stücks in der Hofmannsthal-Zeit, also Anfang des 20. Jahrhunderts, an. Der zweite Teil lässt sich zeitlich nicht verorten, denn er spielt - nach dem Schlaganfall - in Jedermanns Kopf. "Er befindet sich im Delirium. Es fällt auf, dass er immer weniger Text hat, weil sein eigenes Formulieren mit ihm stirbt. Und die Figuren werden immer verrückter", berichtet Schmidt.

Auch er lässt allegorische Figuren auftreten: Mammon, Glaube, Liebe, Hoffnung. Sie verhandeln mit drei Sünden und drei Teufelinnen das weitere Schicksal von Jedermanns Seele. Und da setzt er auf inhaltliche Bezüge: "Bei mir spricht die Mutter über den Glauben - und später taucht sie als Glaube auf. Das Bäsle hofft auf Jedermann als Paten - und kehrt später als Hoffnung zurück. Der Geselle spricht mit Jedermann übers Geld - und wird zum Mammon. Die Buhle spielt die Liebe. Und die Schuldknechtsfamilie, die Jedermann unterstützt, verwandelt sich in die Guten Werke. "

Zusätzlich zur Autorenschaft wurde Florian Schmidt auch die Regie angetragen. Seit Januar wird geprobt. Premiere ist am 21. Juni auf dem Karlsplatz in Neuburg. Rund 30 Schauspieler umfasst das Ensemble. Die Hauptrolle übernimmt Sepp Reichart, der hier schon als Brandner Kaspar glänzen konnte. Ihm zur Seite stehen bekannte Gesichter des Neuburger Volkstheaters wie Rene Schmager als Geselle, Sylvia Schmager als Buhle oder Eberhard Spieß als Vetter. Aber auch neue Spieler - wie Sebastian Englschall als Tod - sind zu entdecken.

Vor der Kulisse der Hofkirche wird sich dann ein überdimensionaler Spieltisch erstrecken. Mit riesigen Würfeln, Münzstapeln und einem Kartenspiel, auf dem zuoberst der Gras-Ober liegt - als kleine Reminiszenz an den erst kürzlich mit dem Amateurtheaterpreis Larifari ausgezeichneten "Brandner Kaspar". Denn mit dem Gras-Ober betrügt der Kaspar den Boanlkramer. Warum ein Spieltisch? "Im Grunde ist es Gottes Würfelspiel", sagt Florian Schmidt. "Denn es geht nicht darum, dass Gott einen Plan für den Mensch hat, sondern er hat ihm einen freien Willen gegeben - und überlässt ihm selbst die Verantwortung für sein Tun. "

Anja Witzke