Gottes Labor

09.03.2008 | Stand 03.12.2020, 6:04 Uhr

Niemand will für den König sterben: Admeto (Carsten Süß) liegt am Boden. - Foto: Missbach

Nürnberg (DK) Gleißendes Neonlicht flutet über die Bühne der Staatsoper Nürnberg in den Zuschauerraum und sticht schmerzhaft in den Augen. Apollo steht vor der Lichtwand, ein smarter Gentleman im weißen Anzug. Während die Ouvertüre zu Christoph Willibald Glucks Oper "Alceste" ertönt, schreitet er durch die Reihen seiner Anhänger. Wen er gerade nicht braucht, den stößt er mit lässig-arroganter Geste um. Zurück bleiben vier Personen, eine Familie. Dem Vater drückt er eine Krone auf den Kopf, es ist Admeto. Dann macht er ihn krank, ebenfalls mit einer herrischen Handbewegung. Admeto übergibt sich, stürzt zu Boden. Seine besorgte Frau versucht ihn zu stützen, die beiden Kinder sind entsetzt. Apollo aber gefällt die Situation. Durch ein Orakel lässt er verkünden, dass Admeto sterben wird, wenn sich nicht ein anderer findet, der freiwillig sein Leben für ihn lässt. Alceste beschließt schweren Herzens, sich für ihren Mann zu opfern. Genüsslich beobachtet der Gott bis zum Ende des Stücks das Leiden der Königsfamilie. Er weidet sich an den Gewissensqualen, er liebt das Experiment mehr als die Menschen.

Regisseur Bruno Klimek hat die selten gespielte Gluck-Oper bis an die Grenze des Vertretbaren umgedeutet. Aus dem Konflikt um Gattenliebe macht er ein religionskritisches Werk, in dem Apollo als böser Gott Menschen testet. Das widerspricht mit Sicherheit den Intentionen des Komponisten. Und doch ist Klimeks Inszenierung gelungen – weil sie in sich stimmig ist und weil sie mit großer ästhetischer Eigenwilligkeit umgesetzt ist. Dem Zuschauer wird ein völlig überzeugendes, modernes, packendes Musikdrama geboten, in dem zudem glänzend musiziert, gesungen und gespielt wird.

Das ist eigentlich fast ein Wunder: Denn die Eröffnungsproduktion der zweiten Internationalen Gluck-Opern-Festspiele Nürnberg stand unter einem unglücklichen Stern. Gleich zwei Sänger fielen bei der Premiere krankheitsbedingt aus: So musste Regisseur Bruno Klimek zusammen mit dem Sänger Sebastian Kitzinger die Rolle des Apollo übernehmen, Alceste sang nicht Frances Pappas, sondern Anne Salvan, auf der Bühne wurde ihre Rolle von Helen Malkowsky dargestellt. Die Götter haben es offensichtlich nicht gut gemeint mit "Alceste".

Und doch: Die Intentionen, die Dramatik, die Schönheit dieser Inszenierung wird trotz der widrigen Umstände in jedem Augenblick deutlich. Bühnenbildner Hermann Feuchter hat das Musikdrama in einen klinisch weißen Bühnenraum gestellt: Ein Labor für die menschlichen Versuchskaninchen des Gottes Apollo. Klimek hat in seiner Inszenierung die Dramatik der ziemlich handlungsarmen Oper zugespitzt. Apollo übernahm auch noch die Partien des Herolds und des Hohepriesters und ist nun als Drahtzieher des Geschehens immer auf der Bühne präsent. Und die Regie findet immer wieder schlüssige Bilder für die Not der Königsfamilie: Wenn Alceste sich zum Tod entschließt, reißt sie sich das Kleid vom Leib als wäre es bereits ihre Selbstentleibung und sucht für das Kostüm eine andere Frau: Ihr Mann Admeto soll sich nach ihrem Tod eine neue, schönere Frau nehmen. Die Oberspielleiterin Helen Malkowsky spielt das mit solcher Intensität, dass man sich diese Szene kaum bewegender und anrührender vorstellen kann. Und auch Klimek verkörpert den kalt-überheblichen Apollo, der triumphierend auf Leichenbergen steht, mit größter Glaubwürdigkeit.

Anne Salvan hingegen kann vom Orchestergraben aus souverän Alcestes Seelennöte ausloten. Ihr dunkelgetönter Leidensgesang ist das musikalische Ereignis des Abends. Aber auch die anderen Sänger agieren hervorragend: Carsten Süß als Admeto mit seinem männlich-leichtgängigen Tenor, und Sebastian Kitzinger charakterisiert Apollo in ätherisch heller Stimmlage. Der Staatstheater-Chor spielt und singt mitreißend engagiert. Am Dirigentenpult der Nürnberger Philharmoniker steht mit Bruno Weil ein ausgewiesener Experte für die Musik der Klassik. Feinnervig, aber vielleicht nicht immer drastisch und farbig genug gestaltet er die stets unheilsschwangere Klänge, die gelegentlich volltönend den Chor überdecken.

Am Ende von Klimeks Inszenierung schweigt die Musik. Gerade hat der Chor noch das von Apollo gerettete Königspaar gefeiert – da wendet er sich abrupt ab. Der Gott aber steht ratlos da und versteht nicht, warum die Menschen ihm nicht danken: "Wo geht Ihr hin", ruft er aufgebracht. "Was habe ich Euch getan"