Gundamsried
Glück im Unglück

Pianistin Anna Gourari musste in Galerie Pennarz das Programm umstellen

02.05.2019 | Stand 23.09.2023, 6:51 Uhr
Pianistin Anna Gourari wollte eigentlich einen Klavierduo-Abend geben. Aber ihr Kollege sagte kurzfristig ab. −Foto: jsr

Gundamsried (DK) Zum ersten Mal seit dreieinhalb Jahren veranstaltete Magdalene Pennarz in ihrer Galerie in Gundamsried wieder ein Konzert - und gleich ging alles schief. So könnte man es sehen, und doch geriet der Konzertabend am Ende zu einem seltenen Glücksfall.

Was war geschehen? Eigentlich sollten die Pianisten Anna Gourari und Mikhail Lidsky ein Konzert unter dem Titel "Zwiesprache" geben, in der von Gourari initiierten Reihe Musicaè. Eine Konzertserie, die über München hinaus mit "Satellitenkonzerten" in die Welt hinausstrahlt mit Auftritten im Gran Teatro La Fenice in Venedig, in der Peterskirche in Wien, im Konzerthaus Blaibach, in der New Yorker Carnegie Hall - und in Deutschlands vielleicht kleinstem Konzertsaal, im Alten Schulhaus Gundamsried. Aber: Am Tag des Konzertes, am Mittwoch, erreichte Magdalene Pennarz um 17.15 Uhr ein Anruf: Man müsse improvisieren, Mikhail Lidsky könne beim Konzert nicht dabei sein, er müsse aus familiären Gründen sofort zurück nach Moskau reisen.

In großer Eile wurde ein neues Programm zusammengestellt. Ein Programm, das funktionierte, dem man am Ende kaum anmerkte, dass es nicht so geplant war.

Statt des Dialogs der beiden Musiker, entstand nun ein Zwiegespräch zwischen Literatur und Musik. Die Münchner Filmschauspielerin Melanie Leyendecker las zwischen Bach, Liszt und Rachmaninow Gedichte von Ingeborg Bachmann, Gedichtzeilen voller Metaphern, großer Gefühle, von Natur, Liebe, Licht, trüben Walzern und Tod. Leyendecker rezitierte die Zeilen voller Klarheit, durchdrungen von großem Verständnis dieser schwierigen Texte. Für Lidsky sprang pianistischer Nachwuchs ein. So eröffneten Julius und Konstantin Egensperger (12 und 13 Jahre alt) den Abend, wobei Julius, der jüngere der beiden, ein fein ausgetüfteltes Siciliano von Bach (in der Bearbeitung von Wilhelm Kempff) zum Klingen brachte, dabei mit großer Geschicklichkeit die verschiedenen übereinanderliegenden Stimmen auseinanderhielt; um danach mit Edvard Griegs "Karnevals-Szene" pianistischen Furor und Witz im Saal zu versprühen. Sein Bruder hingegen konnte bei Frédéric Chopins g-Moll-Ballade besonders bei den zurückhaltenden, intim-romantischen Passagen überzeugen.

Immer noch Student, längst aber auch ein absolut souverän agierender Konzertpianist ist Dmitry Mayboroda, der mit den wichtigsten Orchestern bereits aufgetreten ist, etwa den Wiener Philharmonikern. Der Schüler der weltweit immer noch bedeutendste Pianistenschmiede, dem Moskauer Konservatorium, spielte in der kleinen Galerie das krachende Virtuosenschlachtross schlechthin, den Mephisto-Walzer von Franz Liszt. Über technische Probleme muss sich Mayboroda dabei keine Gedanken machen, jeder Lauf, jede Oktavkette, jedes Tremolo läuft mit uhrwerkhafter Präzision ab. Bewunderungswürdig ist aber der Umgang mit dem musikalischen Gehalt. Mayboroda schien das Stück (besonders im langsamen Teil) quasi neu zu instrumentieren. Man glaubte Oboen und Trompeten zu erkennen, warme Bässe und schillernde Streicher. Mayboroda entwickelte aus dem Schwarz-Weiß des Flügels eine Illusion von Orchesterfarben.

Der Star des Abends war allerdings Anna Gourari. Wie sie in Bachs Adagio g-Moll (BWV 974) aus dem einzelnen Ton d heraus ganz allmählich sich einschwingend die Melodie hervorzauberte, wie sie aus dem musikalischen Nullpunkt der Stille heraus, Höhenflüge entwickelte, das ist einfach einzigartig.

Gourari und Mayboroda spielten auch vierhändig am Flügel: Franz Schuberts f-Moll-Fantasie und Walzer von Johannes Brahms. Stücke, bei denen man spürte, dass die beiden noch nicht wirklich aufeinander eingespielt waren, in denen die Münchner Pianistin frei schwingen wollte und Mayboroda eher vorsichtig ihr musikalisch die Hände reichte. Und wo auch mal die Koordination noch nicht so klappte. Und doch machte gerade dieser spontane Elan, diese Spielfreude enormen Spaß: eben das pianistische Glück der Improvisation. Hoffentlich dauert es nicht wieder dreieinhalb Jahre bis zum nächsten Konzert im Alten Schulhaus Gundamsried.

Jesko Schulze-Reimpell