München
Globale Architektursprache

Aspekte-Galerie in München: Eine Ausstellung des Fotografen Jean Molitor zeigt Bauten der klassischen Moderne in aller Welt

24.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:45 Uhr
Die fotografische Weltreise auf den Spuren der Avantgarde führte Jean Molitor auch nach Beirut. −Foto: Molitor

München (DK) Mehr als 100 Länder stehen auf seiner Liste, die er zu einem Drittel abgearbeitet hat. Jean Molitor (geboren 1960 in Berlin) fotografiert "Bauhaus-Architektur" nicht nur in Berlin, Dessau und Weimar - sondern in aller Welt. Eine Auswahl seiner beindruckenden Fotos, die geradezu einen optischen Sog entwickeln, ist derzeit unter dem Titel "Bauhaus - eine fotografische Weltreise" in der Aspekte Galerie im Münchner Gasteig Kulturzentrum zu sehen.

Man glaubt kaum was die Bildtitel vermerken: Burundi, Kongo, Kuba, Guatemala, Finnland, Israel, Indien, China, Chile und so weiter. Und man fragt sich, wie sich die ästhetischen Leitlinien dieser in Weimar von Walter Gropius gegründeten Reformschule, die nun 100 Jahre alt ist, wohl über den ganzen Globus ausbreiten konnten.

Aber das ist eine andere, komplizierte Geschichte. Das was man heute in der Architektur als Klassische Moderne, als Internationaler Stil, als Funktionalismus bezeichnet, hatte seinen Ursprung in neuen technischen Methoden, Konstruktionen, neuen Baustoffen und Ideen. Stahlbeton, vorgehängte Fassaden (curtain wall), stützenfreie, verglaste Ecken und viele andere Errungenschaften wurden möglich - und faszinierten etwa zeitgleich die architektonischen Avantgardisten in vielen westlichen Ländern. Die Ästhetik folgte: Mit weißen Bauten, schwarzen Fensterrahmen und unterschiedlichen, formalen und farbigen Kontrapunkten. In den Niederlanden nannte man das "De Stijl". In Russland entwickelte sich der Konstruktivismus, in den USA und Frankreich "Art Déco". In der Schweiz und Paris wirkte Le Corbusier.
Und am berühmtesten wurde das Bauhaus. Weil es eine echte Schule war, die international agierte. Ein Programm, das man wie ein Rezept umsetzen, nachkochen konnte. Und weil seine Protagonisten schließlich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ins Exil vertrieben wurden, sich gezwungenermaßen mitsamt ihrem Können und ihren Ideen in der ganzen Welt verteilten.

Gebaut haben die von Molitor in Schwarz-Weiß fotografierten Tankstellen, Kinos, Restaurants, Wohnhäuser freilich selten die (vertriebenen) Bauhäusler - sondern die vom geometrischen weißen Stil der klassischen Moderne begeisterten lokalen Bauherren, Architekten, Ingenieure. Meist unbekannt und nicht berühmt.

Womöglich sind auch deshalb viele dieser Bauten, die oft erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, heute in erbärmlichem Zustand. So wie das Wohnhaus des konstruktivistischen russischen Architekten Konstantin Melnikow in Moskau und andere in Afrika oder Südamerika.

In einigen Ländern sorgt der Denkmalschutz für den Erhalt solchen Kulturgutes. In Barcelona baute man 1986 (zum 100. Geburtstag von Mies van der Rohe) dessen verloren gegangenes Meisterwerk an der ursprünglichen Stelle sogar wieder neu auf: Den "Barcelona Pavillon", mit dem die moderne Weimarer Republik zur Expo 1929 das Bild der Deutschen in der Welt gerade rücken - sowie Präzision und Leistungsfähigkeit von Industrie und Handwerk in Deutschland am praktischen Beispiel demonstrieren wollte.

Aber das sind die Ausnahmen. Und so will Molitor, der per Zufall durch einen Auftrag in Afrika zu seinem Projekt fand, diese vom Zerfall oder Abriss bedrohten Gebäude wenigstens fotografisch bewahren.

Das widerspiegelt sich auch in der Art seiner fotografischen Annäherung. Er versucht sich zuerst einmal vorzustellen, wie der Architekt sein Haus gerne sehen würde. Bestimmt nicht mit angeklebten Mülleimern, zehn Dixieklos davor und in der Rushhour - wie er schon mal sagt. Am schönsten zu fotografieren seien Gebäude ein paar Jahre nachdem sie gebaut wurden. Wenn die Umgebung noch intakt ist, die Bepflanzung den Bau noch garniert und ihn nicht verdeckt. Wenig Menschen drauf, schöner Standort, ästhetische Aufnahme trotz aller Bauschäden, gute Belichtung, entzerrt.

Solche Bilder zu schaffen war - speziell in südlichen Gefilden, wo sich die Menschen lieber im Freien als im Gebäudeinneren aufhalten - nicht so einfach. Teils musste der Fotograf stundenlang auf den geeigneten Moment warten oder mehrmals zum Objekt gehen. Dessen erstmaliges Auffinden mitunter auch nicht einfach war. Molitor besaß oftmals nur ein paar kleine Aufnahmen (aus dem Netz) ohne Adresse - und musste sich dann etwa in einer afrikanischen Millionenstadt ohne Kenntnis indigener Sprache zurecht finden.

Inzwischen aber hat er ein gut funktionierendes Netzwerk, das ihm sogar hilft, zu vielen Bauten die Architekten, das Baujahr und interessante Aspekte zur Entstehung heraus zu finden.

Aspekte Galerie im Gasteig München, bis 2. Juni, täglich 10 bis 22 Uhr, Eintritt frei. Kataloge sind erschienen im Verlag HatjeCantz und im BeBra Verlag.
 

Joachim Goetz